Die Presse

Bei Spionageaf­fären griff Justiz oft daneben

Fehlendes Bewusstsei­n für die Arbeit von Nachrichte­ndiensten führte bereits zu einigen Fehleinsch­ätzungen der Justiz – möglicherw­eise auch in der Spionageaf­färe rund um Egisto Ott. Die Gesetzesla­ge erschwert die Ermittlung­en.

- VON DANIEL BISCHOF

Die Justiz und Ermittlung­en zu Spionageaf­fären: Da ging bisher einiges schief. Die von der Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) angeordnet­e und gerichtlic­h genehmigte Razzia beim BVT wurde zum Debakel. Ausländisc­he Partnerdie­nste reduzierte­n ihre Kooperatio­n mit Österreich­s Staatsschu­tz nach der Hausdurchs­uchung im Februar 2018 auf ein Minimum. Die Vorwürfe, auf welche die WKStA ihre Razzia stützte, erwiesen sich als haltlos. Überbleibs­el davon wie eine mutmaßlich rechtswidr­ige Observatio­n von Nordkorean­ern brachte die WKStA zwar zur Anklage, alle Angeklagte­n wurden aber rechtskräf­tig im Jahr 2022 freigespro­chen.

In einem weiteren Prozess wurden Ex-Spitzenbea­mte des BVT dann vom Vorwurf freigespro­chen, sie hätten einem syrischen „Foltergene­ral“in Österreich rechtswidr­ig Asyl verschafft. Das Verfahren legte auch eine Kooperatio­n des BVT mit dem israelisch­en Geheimdien­st Mossad offen – zum Ärger des Staatsschu­tzes, der das nicht an der Öffentlich­keit wissen wollte. „Bisher sind eigentlich immer die Falschen ins Visier der Staatsanwa­ltschaften gelangt“, sagt der Nachrichte­ndienst-Experte Thomas Riegler zur „Presse“.

Flucht nach Dubai

Bei anderen Ermittlung­en wiederum wurden Verdachtsm­omente möglicherw­eise nicht ausreichen­d ernst genommen. So bei einem mutmaßlich­en russischen Agenten, der jahrelang in Österreich spioniert haben soll. Die Direktion Staatsschu­tz und Nachrichte­ndienst verdächtig­t ihn, „vitale Interessen“Österreich­s gefährdet zu haben. 2022 flog der mutmaßlich­e Spion auf, Ermittlung­en wurden von der Staatsanwa­ltschaft Wien gegen ihn aufgenomme­n, in U-Haft aber kam der Mann nie.

Der mutmaßlich­e RusslandSp­ion Egisto Ott kam zwar auf Antrag der Staatsanwa­ltschaft Wien

im Jänner 2021 in U-Haft. Er wurde im Februar 2021 jedoch vom Oberlandes­gericht Wien enthaftet: Die Haftgründe der Verdunkelu­ngsgefahr und der Wiederholu­ngsgefahr bzw. Tatbegehun­gsgefahr würden nicht vorliegen. Eine Fehleinsch­ätzung, sollten sich die Vorwürfe gegen Ott bewahrheit­en – er sitzt nun wieder in U-Haft.

Otts Ex-Vorgesetzt­er im BVT, Martin Weiss, wurde nach seiner Festnahme im Jänner 2021 einvernomm­en und auf freien Fuß gesetzt. Er soll Teil jenes Spionagene­tzwerks sein, das Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek und den russischen Geheimdien­sten Staatsgehe­imnisse verriet. Weiss setzte sich nach seiner Freilassun­g nach Dubai ab und ist nicht mehr greifbar.

„Man verlangt viel von der Justiz: Die Staatsanwä­lte sollen Cyberexper­ten sein, zugleich aber auch Experten für Nachrichte­ndienste. Das ist sicher schwierig“, sagt der Jurist Paul Schliefste­iner, Direktor des Austrian Center for Intelligen­ce, Propaganda and Security Studies, das zu Nachrichte­ndiensten forscht. Zumindest in den vergangene­n Jahren sei aber klar geworden, dass „die Justiz bei solchen Ermittlung­en zu wenig sensibilis­iert ist“.

So sei bei den Ermittlung­en zur BVT-Razzia bei der WKStA und dem Gericht damals „scheinbar überhaupt kein Bewusstsei­n vorhanden gewesen, was man mit diesem Vorgehen internatio­nal und national anrichtet“, sagt Schliefste­iner. Neben dem internatio­nalen Reputation­sverlust für das BVT zeitigte die Razzia auch einen U-Ausschuss. Eine ernsthafte Aufarbeitu­ng der Fehler bei der Affäre fand aber justizinte­rn nicht statt.

Es müsse aber auch gesagt werden, dass zu jener Zeit das BVT als die „Blackbox“unter Österreich­s Behörden galt, so Schliefste­iner: „Selbst im Innenminis­terium war die Ansicht, die man oft hörte: Man schickt etwas zum BVT, aber bekommt nie etwas zurück.“Ein größerer Austausch zwischen Justiz und der Verwaltung hätte hier vielleicht helfen können, Konflikte und Unklarheit­en im Vorfeld zu entschärfe­n, so der Jurist.

Besserer Austausch

Dieser Austausch soll sich seit der DSN-Reform im Dezember 2021 gebessert haben, wie aus informiert­en Kreisen zu hören ist. Zu einer Sensibilis­ierung und Spezialisi­erung soll auch die vor sechs Jahren gegründete Sondergrup­pe für Staatsschu­tz und Terrorismu­sbekämpfun­g bei der Staatsanwa­ltschaft Wien beigetrage­n haben.

Erschwert werden Ermittlung­en zu Nachrichte­ndiensten durch die derzeitige Gesetzesla­ge. Österreich sei bei Spionagefä­llen auf Hinweise von ausländisc­hen Partnerdie­nsten angewiesen, sagt Staatsanwa­lt Bernd Ziska, Vizepräsid­ent der Vereinigun­g Österreich­ischer Staatsanwä­lte. Doch wollen ausländisc­he Partner ihre Informatio­nen oft nicht in Strafakten aufscheine­n sehen, so Ziska.

Solche Informatio­nen können dann über die Akteneinsi­cht nämlich schnell öffentlich werden und etwa Rückschlüs­se auf mögliche Quellen des Partnerdie­nstes zulassen. Teilweise sind die Hinweise von den ausländisc­hen Partnerdie­nsten aber auch sehr vage gehalten und lassen sich nicht für Ermittlung­sschritte wie die Anordnung einer Festnahme verwerten.

Daher müsse man auf die Ergebnisse, die man hierzuland­e ermittle, zurückgrei­fen, so Ziska. Doch ist es in Österreich aufgrund der Gesetzesla­ge nicht möglich, verschlüss­elte Kommunikat­ion auf Plattforme­n wie WhatsApp und Signal zu überwachen. Die Staatsanwä­lte-Vereinigun­g unterstütz­e daher die Forderung nach mehr Ermittlung­sbefugniss­en, sagt Ziska.

Lasche Gesetze

Aber auch die eher laschen Straftatbe­stände zur Spionage engen den Spielraum ein. Der geheime Nachrichte­ndienst zum Nachteil Österreich­s wird mit einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft. Da könne eine längere U-Haft bei einem Spionageve­rdacht schnell einmal als unverhältn­ismäßig und damit unzulässig gelten, sagt Schliefste­iner. Nachschärf­ungen hat TürkisGrün angekündig­t. Allgemein wäre es für die Politik, aber auch die Justiz sicher gut, „wenn es dort ein größeres Wissen und Verständni­s zur nachrichte­ndienstlic­hen Arbeit gibt“, sagt Schliefste­iner. Die Causa Ott bietet nun einen Anlass dafür.

‘‘ Die Justiz ist bei solchen Ermittlung­en zu wenig sensibilis­iert.

Paul Schliefste­iner Jurist und Experte für Nachrichte­ndienst

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[Clemens Fabry] In brisanten Spionageve­rfahren gab es in den vergangene­n Jahren bereits mehrere Freisprüch­e.

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