Bei Spionageaffären griff Justiz oft daneben
Fehlendes Bewusstsein für die Arbeit von Nachrichtendiensten führte bereits zu einigen Fehleinschätzungen der Justiz – möglicherweise auch in der Spionageaffäre rund um Egisto Ott. Die Gesetzeslage erschwert die Ermittlungen.
Die Justiz und Ermittlungen zu Spionageaffären: Da ging bisher einiges schief. Die von der Wirtschaftsund Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) angeordnete und gerichtlich genehmigte Razzia beim BVT wurde zum Debakel. Ausländische Partnerdienste reduzierten ihre Kooperation mit Österreichs Staatsschutz nach der Hausdurchsuchung im Februar 2018 auf ein Minimum. Die Vorwürfe, auf welche die WKStA ihre Razzia stützte, erwiesen sich als haltlos. Überbleibsel davon wie eine mutmaßlich rechtswidrige Observation von Nordkoreanern brachte die WKStA zwar zur Anklage, alle Angeklagten wurden aber rechtskräftig im Jahr 2022 freigesprochen.
In einem weiteren Prozess wurden Ex-Spitzenbeamte des BVT dann vom Vorwurf freigesprochen, sie hätten einem syrischen „Foltergeneral“in Österreich rechtswidrig Asyl verschafft. Das Verfahren legte auch eine Kooperation des BVT mit dem israelischen Geheimdienst Mossad offen – zum Ärger des Staatsschutzes, der das nicht an der Öffentlichkeit wissen wollte. „Bisher sind eigentlich immer die Falschen ins Visier der Staatsanwaltschaften gelangt“, sagt der Nachrichtendienst-Experte Thomas Riegler zur „Presse“.
Flucht nach Dubai
Bei anderen Ermittlungen wiederum wurden Verdachtsmomente möglicherweise nicht ausreichend ernst genommen. So bei einem mutmaßlichen russischen Agenten, der jahrelang in Österreich spioniert haben soll. Die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst verdächtigt ihn, „vitale Interessen“Österreichs gefährdet zu haben. 2022 flog der mutmaßliche Spion auf, Ermittlungen wurden von der Staatsanwaltschaft Wien gegen ihn aufgenommen, in U-Haft aber kam der Mann nie.
Der mutmaßliche RusslandSpion Egisto Ott kam zwar auf Antrag der Staatsanwaltschaft Wien
im Jänner 2021 in U-Haft. Er wurde im Februar 2021 jedoch vom Oberlandesgericht Wien enthaftet: Die Haftgründe der Verdunkelungsgefahr und der Wiederholungsgefahr bzw. Tatbegehungsgefahr würden nicht vorliegen. Eine Fehleinschätzung, sollten sich die Vorwürfe gegen Ott bewahrheiten – er sitzt nun wieder in U-Haft.
Otts Ex-Vorgesetzter im BVT, Martin Weiss, wurde nach seiner Festnahme im Jänner 2021 einvernommen und auf freien Fuß gesetzt. Er soll Teil jenes Spionagenetzwerks sein, das Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek und den russischen Geheimdiensten Staatsgeheimnisse verriet. Weiss setzte sich nach seiner Freilassung nach Dubai ab und ist nicht mehr greifbar.
„Man verlangt viel von der Justiz: Die Staatsanwälte sollen Cyberexperten sein, zugleich aber auch Experten für Nachrichtendienste. Das ist sicher schwierig“, sagt der Jurist Paul Schliefsteiner, Direktor des Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies, das zu Nachrichtendiensten forscht. Zumindest in den vergangenen Jahren sei aber klar geworden, dass „die Justiz bei solchen Ermittlungen zu wenig sensibilisiert ist“.
So sei bei den Ermittlungen zur BVT-Razzia bei der WKStA und dem Gericht damals „scheinbar überhaupt kein Bewusstsein vorhanden gewesen, was man mit diesem Vorgehen international und national anrichtet“, sagt Schliefsteiner. Neben dem internationalen Reputationsverlust für das BVT zeitigte die Razzia auch einen U-Ausschuss. Eine ernsthafte Aufarbeitung der Fehler bei der Affäre fand aber justizintern nicht statt.
Es müsse aber auch gesagt werden, dass zu jener Zeit das BVT als die „Blackbox“unter Österreichs Behörden galt, so Schliefsteiner: „Selbst im Innenministerium war die Ansicht, die man oft hörte: Man schickt etwas zum BVT, aber bekommt nie etwas zurück.“Ein größerer Austausch zwischen Justiz und der Verwaltung hätte hier vielleicht helfen können, Konflikte und Unklarheiten im Vorfeld zu entschärfen, so der Jurist.
Besserer Austausch
Dieser Austausch soll sich seit der DSN-Reform im Dezember 2021 gebessert haben, wie aus informierten Kreisen zu hören ist. Zu einer Sensibilisierung und Spezialisierung soll auch die vor sechs Jahren gegründete Sondergruppe für Staatsschutz und Terrorismusbekämpfung bei der Staatsanwaltschaft Wien beigetragen haben.
Erschwert werden Ermittlungen zu Nachrichtendiensten durch die derzeitige Gesetzeslage. Österreich sei bei Spionagefällen auf Hinweise von ausländischen Partnerdiensten angewiesen, sagt Staatsanwalt Bernd Ziska, Vizepräsident der Vereinigung Österreichischer Staatsanwälte. Doch wollen ausländische Partner ihre Informationen oft nicht in Strafakten aufscheinen sehen, so Ziska.
Solche Informationen können dann über die Akteneinsicht nämlich schnell öffentlich werden und etwa Rückschlüsse auf mögliche Quellen des Partnerdienstes zulassen. Teilweise sind die Hinweise von den ausländischen Partnerdiensten aber auch sehr vage gehalten und lassen sich nicht für Ermittlungsschritte wie die Anordnung einer Festnahme verwerten.
Daher müsse man auf die Ergebnisse, die man hierzulande ermittle, zurückgreifen, so Ziska. Doch ist es in Österreich aufgrund der Gesetzeslage nicht möglich, verschlüsselte Kommunikation auf Plattformen wie WhatsApp und Signal zu überwachen. Die Staatsanwälte-Vereinigung unterstütze daher die Forderung nach mehr Ermittlungsbefugnissen, sagt Ziska.
Lasche Gesetze
Aber auch die eher laschen Straftatbestände zur Spionage engen den Spielraum ein. Der geheime Nachrichtendienst zum Nachteil Österreichs wird mit einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft. Da könne eine längere U-Haft bei einem Spionageverdacht schnell einmal als unverhältnismäßig und damit unzulässig gelten, sagt Schliefsteiner. Nachschärfungen hat TürkisGrün angekündigt. Allgemein wäre es für die Politik, aber auch die Justiz sicher gut, „wenn es dort ein größeres Wissen und Verständnis zur nachrichtendienstlichen Arbeit gibt“, sagt Schliefsteiner. Die Causa Ott bietet nun einen Anlass dafür.
‘‘ Die Justiz ist bei solchen Ermittlungen zu wenig sensibilisiert.
Paul Schliefsteiner Jurist und Experte für Nachrichtendienst