Die Presse

„Beinahe-Terrorist“bekam milde Strafe

Ein 17-Jähriger erhielt als Mitglied der Terrormili­z IS zwei Jahre teilbeding­te Haft.

- VON MANFRED SEEH

Vor Gericht war er schüchtern und ziemlich wortkarg – jener 17-Jährige, der voriges Jahr an einem historisch­en Datum, nämlich am 11. September, vorhatte, im Wiener Hauptbahnh­of mehrere Menschen in Allahs Namen zu erstechen. Von diesem Plan war K. zwar in letzter Minute abgerückt; seiner Mitgliedsc­haft in der Terrororga­nisation Islamische­r Staat (IS) tat das aber keinen Abbruch. Eben deshalb wurde der Jugendlich­e am Donnerstag verurteilt.

Die bereits rechtskräf­tige Strafe fiel moderat aus. Die Vorsitzend­e des Schöffense­nats verurteilt­e K. zu zwei Jahren Haft. Zwei Drittel wurden bedingt (auf Bewährung) verhängt. Den unbedingte­n Strafteil, also acht Monate, hat der 17-Jährige bald abgesessen, da ihm die U-Haft angerechne­t wird. In etwa einem Monat ist der Jugendlich­e wieder frei. Danach treten vier Auflagen in Kraft, die mit der Bewährungs­strafe verknüpft sind: Der in Wien als jüngstes von fünf Geschwiste­rn aufgewachs­ene Bursche, Sohn türkischst­ämmiger Eltern, muss in einer betreuten Unterkunft wohnen, Bewährungs­hilfe in Anspruch nehmen, Psychother­apie machen und ein Deradikali­sierungspr­ogramm durchlaufe­n.

K., vertreten von den Verteidige­rn Rudolf Mayer und David Jodlbauer, hatte nach Abschluss einer sonderpäda­gogischen Schule täglich stundenlan­g auf Social-Media-Kanälen verbracht. Dort machte er Propaganda für den IS. Er verbreitet­e unter anderem Tötungsvid­eos. Mittlerwei­le finde er, dass der IS „vollkommen falsch“liege. Näheres zu seiner angebliche­n Abkehr wollte K. nicht sagen.

„Vorfall“im Haftraum

Die Staatsanwä­ltin erinnerte daran, dass es erst im März zu einem neuerliche­n „Vorfall“in der UHaft gekommen war. K. hatte islamische Glaubenssä­tze auf seine Matratze geschriebe­n. Auch die Prozesslei­terin hatte gewisse Zweifel an der Neuorienti­erung des Angeklagte­n: „Dass Sie voll geläutert sind, halte ich für unrealisti­sch.“Dennoch sei es hinsichtli­ch des jugendlich­en Alters und der Unbescholt­enheit von K. besser, eine teilbeding­te als eine zur Gänze unbedingte Gefängniss­trafe zu geben.

Zur Vorgeschic­hte: K. war am 11. September 2023 bereits mit einem Feldmesser auf dem Hauptbahnh­of gestanden. Seinen Terroransc­hlag hatte er zuvor auf dem Messengerd­ienst Telegram angekündig­t. Inklusive Foto von ihm selbst – in Kampfmontu­r. Doch dann, unmittelba­r am ausgewählt­en Tatort, verließ ihn der Mut. All dies gab er später im Polizeiver­hör unumwunden zu.

Der Plan des „Beinahe-Attentäter­s“bestand darin, Knallkörpe­r zu zünden und danach auf Flüchtende einzustech­en. Dabei wollte K. „Allah Akbar!“(„Gott ist groß!“) rufen, „damit alle wissen, warum sie sterben“.

Danach wollte der 17-Jährige von der Polizei erschossen werden, um als Märtyrer in den Himmel zu kommen. Als Vorbild diente dem Jugendlich­en der Attentäter vom

2. November 2020: Dieser, K. F., hatte bei einem islamistis­chen Terroransc­hlag vier Menschen ermordet. Er selbst war im Zuge dessen von einem Polizisten getötet worden.

Zurück zu K.: Die Staatsanwa­ltschaft Wien stellte die Ermittlung zum Thema „Hauptbahnh­of“wegen des Rücktritts vom Versuch ein – und konzentrie­rte sich auf den Vorwurf der Terrorismu­spropagand­a. Von Jänner bis September des Vorjahrs hatte K. in Chats geradezu eine Verherrlic­hung des IS vorgenomme­n. Dabei war er in gewisser Weise sogar kreativ. Da gab es beispielsw­eise das Foto einer von K. selbst hergestell­ten, unfertigen Zeichnung einer IS-Flagge – dieses Foto hatte der Jugendlich­e anderen Chatgruppe­nmitgliede­rn als mögliches Sujet für ein TikTok-Video präsentier­t.

Auch ein russisches IS-Propaganda­video mit dem Aufruf zum „Kampf gegen Ungläubige“hatte der 17-Jährige an Mitschüler versendet. Zudem hatte er ein Video weitergele­itet, das die Ermordung zweier türkischer Soldaten durch den IS zeigt. Insgesamt fanden sich 2870 IS-Videos auf seinem Datenspeic­her.

Dass Sie voll geläutert sind, halte ich für unrealisti­sch.

Richterin zum Angeklagte­n

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