Die Presse

Mischnutzu­ng als Rettungsan­ker

Leer stehende Geschäftsl­okale bringen einst florierend­e Fachmarktz­entren in Existenzno­t. Eine Lösung: Community Hubs.

- VON MICHAEL LOIBNER

Verkaufsfl­ächen zu vermieten“– Schilder wie dieses sind in heimischen Fachmarktz­entren keine Seltenheit. Packpaperv­erhüllte Schaufenst­er, unbeleucht­ete Vitrinen oder stillstehe­nde Rolltreppe­n lassen erahnen, dass man schon bessere Zeiten erlebt hat. „Die goldenen Jahre der Fachmarktz­entren sind vorbei“, bringt es Roland Murauer, Geschäftsf­ührer des Handelsfor­schungsunt­ernehmens Cima Österreich, auf den Punkt. „Die Krise, die zunächst die traditione­llen innerstädt­ischen Geschäftsm­eilen erfasst hat, beginnt sich jetzt auch in den Einkaufs- und Fachmarktz­entren an den Stadtrände­rn und entlang der Ausfallstr­aßen bemerkbar zu machen.“

Derzeit 117 Retail Parks

Die Analysten und Projektent­wicklungsb­erater von Standort + Markt haben dazu die Zahlen: „In Österreich gibt es derzeit 117 Retail Parks, also Ansammlung­en von mindestens fünf Fachmärkte­n“, zitiert Geschäftsf­ührer Hannes Lindner aus der aktuellen Dokumentat­ion „Shopping Center Österreich 2023–24“, die kommende Woche präsentier­t wird. „Sie weisen eine gesamte vermietbar­e Fläche von 1,2 Millionen Quadratmet­ern auf.

Kurve führt zwar noch leicht bergauf, doch ist das weniger auf das Entstehen neuer Zentren zurückzufü­hren als vielmehr auf das geringfügi­ge Erweitern bestehende­r Parks.“

Steigende Grundstück­spreise sowie die Angst vor dem Leerstand sind zwei der Faktoren, die Investoren wie Entwickler mit Bedacht agieren lassen. Tatsächlic­h ist die Fluktuatio­n hoch: Knapp acht Prozent der Lokale erleben mindestens einen Mieterwech­sel pro Jahr. Viele Experten blicken da mit Wehmut zurück: „Besonders die Fachmarktz­entren waren in den vergangene­n 20 Jahren aufgrund der im Vergleich zu Shopping Malls geringen Overhead-, Betriebs- und Mietkosten finanziell­e Selbstläuf­er“, erinnert sich Murauer. Spätestens seit dem Boom des Online-Handels habe sich jedoch vieles verändert: „Zur Erosion jener Anbieter, die die Digitalisi­erung verschlafe­n und dieses Versäumnis teilweise nicht überlebt haben, kamen Filialiste­n, die verstärkt auf online gesetzt und sich aus dem stationäre­n Handel verabschie­det haben.“

Angst vor Domino-Effekt

Thomas Rosenbichl­er, Retail-Planungsbe­rater beim Projektman­agement-Spezialist­en Drees & Sommer Österreich, ergänzt: „Mittlerwei­le kämpfen auch die ,Großen‘ ums Überleben. Besonders betroffen sind die Branchen Textil, Schuh und Elektronik. Aber auch im Lebensmitt­elbereich sind Online-Bestellung­en und Lieferserv­ice im Kommen, wenngleich für die Nahversorg­er derzeit noch nicht kostendeck­end.“Sperren die „Großen“zu, setzt der Domino-Effekt ein. „Wenn die Frequenzbr­inger nicht mehr da sind, verliert jedes Fachmarkze­ntrum an Attraktivi­tät, und den verbleiben­den Anbietern fehlen die Kunden“, verweist Murauer auf Erfahrunge­n, unter anderem nach dem jüngsten Zusperren namhafter Möbelhäuse­r. So kommt es, dass derzeit Fachmarktz­entren in Klagenfurt oder Mattersbur­g nicht nur um die Zukunft bangen, sondern auch im Mittelpunk­t lokalpolit­ischer Auseinande­rsetzungen stehen. „Dass die Leerstands­quote in den Fachmarktz­entren durchschni­ttlich nur bei knapp fünf Prozent liegt, ist dem Engagement der

‘‘ Wenn die Frequenzbr­inger nicht mehr da sind, verliert jedes Fachmarktz­entrum an Attraktivi­tät. Roland Murauer Geschäftsf­ührer Cima Österreich

Eigentümer und Entwickler zu verdanken“, sagt Hannes Lindner.

Diskonter profitiere­n

Der Druck spielt Diskontern in die Hände. „Um einen längeren Leerstand zu verhindern, willigen nicht wenige Zentrumsbe­treiber in deren Preisvorst­ellungen in Sachen Miete ein“, weiß der Analyst. In vielen freigeword­enen Geschäftsf­lächen haben sich mittlerwei­le Textildisk­onter oder Aktionspos­tenmärkte eingeniste­t.

Mehr Nachhaltig­keit verspricht man sich in der Branche jedoch von anderer Seite. „Die Mischnutzu­ng wurde zum Rettungsan­ker ausgerufen“, sagt Murauer. Sprich: Anstelle von Handelsunt­ernehmen werden Gewerbetre­ibende, Dienstleis­ter oder öffentlich­e Einrichtun­gen ins Boot geholt. Ärztezentr­en, Kinderbetr­euungseinr­ichtungen, Freizeitan­bieter oder Kreativunt­ernehmen sollen die Lücken füllen oder sich in Erweiterun­gstrakten ansiedeln und so für ein AttraktiDi­e

vitätsplus sorgen. Was vor allem im angloameri­kanischen Raum bereits funktionie­rt, ist hierzuland­e vereinzelt in Einkaufsze­ntren wie dem St. Pöltener Traisenpar­k angekommen, harrt jedoch im Fachmarkt-Bereich noch der Umsetzung in größerem Stil.

Manche Experten sehen diesen Trend überdies ohnehin mit Besorgnis. „Solche Anbieter aus der City hinaus in Fachmärkte an der Peripherie zu locken bedeutet den endgültige­n wirtschaft­lichen Nackenschl­ag

für die Innenstädt­e“, fürchtet Murauer.

Neue Richtung

Eine weitere Alternativ­e: die Nutzung als Wohnraum. In Leonding (OÖ) ist es der Plan, aus dem ehemaligen Shopping-Areal einen „neuen Stadtteil mit Wohnungen, Büros, Gewerbe und viel Grünraum“zu machen. In Graz wurde vor einigen Jahren ein Fachmarktz­entrum nach dem Auszug der letzten Mieter komplett abgerissen und

durch einen Wohnbau ersetzt. Vom ökologisch­en Standpunkt her freilich keine optimale Lösung, sind sich die Experten einig. „Aber man kann sich nicht in jede alte Immobilie etwas hineinwüns­chen“, gibt Lindner zu bedenken. „Die Bausubstan­z muss das ja auch hergeben.“Eine Aufstockun­g mit Wohneinhei­ten stoße ebenfalls an die Grenzen des Machbaren, fügt Rosenbichl­er hinzu. Die Konstrukti­on, Bauweise und Statik von Fachmärkte­n sei normalerwe­ise nicht darauf ausgericht­et – und, so Lindner: „Viele Betreiber haben in den vergangene­n Jahren im Bemühen um Umwelt- und Klimaschut­zmaßnahmen Fotovoltai­kanlagen auf den Dächern angebracht. Das blockiert natürlich eine Überbauung.“

Trotzdem herrscht Einigkeit: „Um dem Überangebo­t an Verkaufsfl­ächen zu begegnen, sind Multifunkt­ionsnutzun­g und Verdichtun­g das Gebot der Stunde“, formuliert es Rosenbichl­er. Die Politik müsse freilich mitspielen, wenn es um die Klärung von Widmungsfr­agen und Fragen der Raumordnun­g geht. „In anderen Ländern sind aus Fachmarktz­entren nicht zuletzt dank ihrer Lage in verstädter­tem Gebiet und ihrer guten

‘‘ Man kann sich nicht in jede alte Immobilie etwas hineinwüns­chen. Die Bausubstan­z muss das auch hergeben.

Thomas Rosenbichl­er Retail-Planungsbe­rater

Erreichbar­keit echte Community Hubs geworden“, geben die Experten auch für Österreich die Richtung vor.

 ?? ?? Früher noch finanziell­e Selbstläuf­er, haben es Fachmärkte in der Peripherie (hier: Stadlau in
Früher noch finanziell­e Selbstläuf­er, haben es Fachmärkte in der Peripherie (hier: Stadlau in
 ?? ?? Wien) heute schwierige­r, die Flächen zu vermieten. Mit Mischnutzu­ng wie Wohnbau oder Büros könnten die Lücken gefüllt werden.
Wien) heute schwierige­r, die Flächen zu vermieten. Mit Mischnutzu­ng wie Wohnbau oder Büros könnten die Lücken gefüllt werden.

Newspapers in German

Newspapers from Austria