Mischnutzung als Rettungsanker
Leer stehende Geschäftslokale bringen einst florierende Fachmarktzentren in Existenznot. Eine Lösung: Community Hubs.
Verkaufsflächen zu vermieten“– Schilder wie dieses sind in heimischen Fachmarktzentren keine Seltenheit. Packpaperverhüllte Schaufenster, unbeleuchtete Vitrinen oder stillstehende Rolltreppen lassen erahnen, dass man schon bessere Zeiten erlebt hat. „Die goldenen Jahre der Fachmarktzentren sind vorbei“, bringt es Roland Murauer, Geschäftsführer des Handelsforschungsunternehmens Cima Österreich, auf den Punkt. „Die Krise, die zunächst die traditionellen innerstädtischen Geschäftsmeilen erfasst hat, beginnt sich jetzt auch in den Einkaufs- und Fachmarktzentren an den Stadträndern und entlang der Ausfallstraßen bemerkbar zu machen.“
Derzeit 117 Retail Parks
Die Analysten und Projektentwicklungsberater von Standort + Markt haben dazu die Zahlen: „In Österreich gibt es derzeit 117 Retail Parks, also Ansammlungen von mindestens fünf Fachmärkten“, zitiert Geschäftsführer Hannes Lindner aus der aktuellen Dokumentation „Shopping Center Österreich 2023–24“, die kommende Woche präsentiert wird. „Sie weisen eine gesamte vermietbare Fläche von 1,2 Millionen Quadratmetern auf.
Kurve führt zwar noch leicht bergauf, doch ist das weniger auf das Entstehen neuer Zentren zurückzuführen als vielmehr auf das geringfügige Erweitern bestehender Parks.“
Steigende Grundstückspreise sowie die Angst vor dem Leerstand sind zwei der Faktoren, die Investoren wie Entwickler mit Bedacht agieren lassen. Tatsächlich ist die Fluktuation hoch: Knapp acht Prozent der Lokale erleben mindestens einen Mieterwechsel pro Jahr. Viele Experten blicken da mit Wehmut zurück: „Besonders die Fachmarktzentren waren in den vergangenen 20 Jahren aufgrund der im Vergleich zu Shopping Malls geringen Overhead-, Betriebs- und Mietkosten finanzielle Selbstläufer“, erinnert sich Murauer. Spätestens seit dem Boom des Online-Handels habe sich jedoch vieles verändert: „Zur Erosion jener Anbieter, die die Digitalisierung verschlafen und dieses Versäumnis teilweise nicht überlebt haben, kamen Filialisten, die verstärkt auf online gesetzt und sich aus dem stationären Handel verabschiedet haben.“
Angst vor Domino-Effekt
Thomas Rosenbichler, Retail-Planungsberater beim Projektmanagement-Spezialisten Drees & Sommer Österreich, ergänzt: „Mittlerweile kämpfen auch die ,Großen‘ ums Überleben. Besonders betroffen sind die Branchen Textil, Schuh und Elektronik. Aber auch im Lebensmittelbereich sind Online-Bestellungen und Lieferservice im Kommen, wenngleich für die Nahversorger derzeit noch nicht kostendeckend.“Sperren die „Großen“zu, setzt der Domino-Effekt ein. „Wenn die Frequenzbringer nicht mehr da sind, verliert jedes Fachmarkzentrum an Attraktivität, und den verbleibenden Anbietern fehlen die Kunden“, verweist Murauer auf Erfahrungen, unter anderem nach dem jüngsten Zusperren namhafter Möbelhäuser. So kommt es, dass derzeit Fachmarktzentren in Klagenfurt oder Mattersburg nicht nur um die Zukunft bangen, sondern auch im Mittelpunkt lokalpolitischer Auseinandersetzungen stehen. „Dass die Leerstandsquote in den Fachmarktzentren durchschnittlich nur bei knapp fünf Prozent liegt, ist dem Engagement der
‘‘ Wenn die Frequenzbringer nicht mehr da sind, verliert jedes Fachmarktzentrum an Attraktivität. Roland Murauer Geschäftsführer Cima Österreich
Eigentümer und Entwickler zu verdanken“, sagt Hannes Lindner.
Diskonter profitieren
Der Druck spielt Diskontern in die Hände. „Um einen längeren Leerstand zu verhindern, willigen nicht wenige Zentrumsbetreiber in deren Preisvorstellungen in Sachen Miete ein“, weiß der Analyst. In vielen freigewordenen Geschäftsflächen haben sich mittlerweile Textildiskonter oder Aktionspostenmärkte eingenistet.
Mehr Nachhaltigkeit verspricht man sich in der Branche jedoch von anderer Seite. „Die Mischnutzung wurde zum Rettungsanker ausgerufen“, sagt Murauer. Sprich: Anstelle von Handelsunternehmen werden Gewerbetreibende, Dienstleister oder öffentliche Einrichtungen ins Boot geholt. Ärztezentren, Kinderbetreuungseinrichtungen, Freizeitanbieter oder Kreativunternehmen sollen die Lücken füllen oder sich in Erweiterungstrakten ansiedeln und so für ein AttraktiDie
vitätsplus sorgen. Was vor allem im angloamerikanischen Raum bereits funktioniert, ist hierzulande vereinzelt in Einkaufszentren wie dem St. Pöltener Traisenpark angekommen, harrt jedoch im Fachmarkt-Bereich noch der Umsetzung in größerem Stil.
Manche Experten sehen diesen Trend überdies ohnehin mit Besorgnis. „Solche Anbieter aus der City hinaus in Fachmärkte an der Peripherie zu locken bedeutet den endgültigen wirtschaftlichen Nackenschlag
für die Innenstädte“, fürchtet Murauer.
Neue Richtung
Eine weitere Alternative: die Nutzung als Wohnraum. In Leonding (OÖ) ist es der Plan, aus dem ehemaligen Shopping-Areal einen „neuen Stadtteil mit Wohnungen, Büros, Gewerbe und viel Grünraum“zu machen. In Graz wurde vor einigen Jahren ein Fachmarktzentrum nach dem Auszug der letzten Mieter komplett abgerissen und
durch einen Wohnbau ersetzt. Vom ökologischen Standpunkt her freilich keine optimale Lösung, sind sich die Experten einig. „Aber man kann sich nicht in jede alte Immobilie etwas hineinwünschen“, gibt Lindner zu bedenken. „Die Bausubstanz muss das ja auch hergeben.“Eine Aufstockung mit Wohneinheiten stoße ebenfalls an die Grenzen des Machbaren, fügt Rosenbichler hinzu. Die Konstruktion, Bauweise und Statik von Fachmärkten sei normalerweise nicht darauf ausgerichtet – und, so Lindner: „Viele Betreiber haben in den vergangenen Jahren im Bemühen um Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen Fotovoltaikanlagen auf den Dächern angebracht. Das blockiert natürlich eine Überbauung.“
Trotzdem herrscht Einigkeit: „Um dem Überangebot an Verkaufsflächen zu begegnen, sind Multifunktionsnutzung und Verdichtung das Gebot der Stunde“, formuliert es Rosenbichler. Die Politik müsse freilich mitspielen, wenn es um die Klärung von Widmungsfragen und Fragen der Raumordnung geht. „In anderen Ländern sind aus Fachmarktzentren nicht zuletzt dank ihrer Lage in verstädtertem Gebiet und ihrer guten
‘‘ Man kann sich nicht in jede alte Immobilie etwas hineinwünschen. Die Bausubstanz muss das auch hergeben.
Thomas Rosenbichler Retail-Planungsberater
Erreichbarkeit echte Community Hubs geworden“, geben die Experten auch für Österreich die Richtung vor.