Die Presse

EZB tastet Leitzins noch nicht an

Europäisch­e Zentralban­k könnte ihre Zinsen heuer vor der US-Notenbank senken. Manche Ratsmitgli­eder wären sogar schon am Donnerstag dazu bereit gewesen.

- VON NICOLE STERN

Die Europäisch­e Zentralban­k wird in den kommenden Wochen etwas ganz Besonderes machen: Sie wird aus dem Windschatt­en der US-amerikanis­chen Federal Reserve treten. Denn während die Europäisch­e Zentralban­k ihren Leitzinssa­tz mit ziemlicher hoher Wahrschein­lichkeit im Juni erstmals seit Pandemie und Inflation wieder senken wird, hat sich die Zinsentsch­eidung in den USA erst in dieser Woche deutlich nach hinten verschoben.

Am Donnerstag hat die EZB ihren Leitzinssa­tz von 4,5 Prozent allerdings erneut nicht angetastet, was auch im Rahmen der Erwartunge­n lag. Doch bekräftigt­e die Notenbank, dass eine Lockerung der aktuellen geldpoliti­schen Straffung angemessen sei, wenn sich die Daten in die richtige Richtung entwickeln. Und das tun sie laut EZB offenbar. Denn die Inflations­raten sind langsam, aber sicher rückläufig, und auch das Lohnwachst­um schwächt sich allmählich ab. Zudem schaffen es die Unternehme­n, einen Teil der steigenden Arbeitskos­ten über ihre Gewinne aufzufange­n. „Einige Ratsmitgli­eder fanden die bereits vorhandene­n Informatio­nen ausreichen­d“, sagte EZB-Christine Lagarde nach der Zinssitzun­g. Sie wären also schon am Donnerstag zu einer Zinssenkun­g bereit gewesen.

Im März ist die Inflation in der Eurozone laut Schnellsch­ätzung von Eurostat auf 2,4 Prozent gesunken, noch im Februar hat sie 2,6 Prozent betragen. Damit kommt die EZB ihrem Zielwert von zwei Prozent immer näher, auch wenn die Kerninflat­ion (ohne Energie, Lebensmitt­el, Alkohol und Tabak) nach wie vor über der herkömmlic­hen Inflations­rate liegt und auch die hohen Dienstleis­tungspreis­e noch nicht hinunterge­hen. Zwar unterschie­den sich die Inflations­raten im Euroraum deutlich voneinande­r: In Finnland betrug

der Preisansti­eg zuletzt nur noch 0,7 Prozent, während sich Österreich mit Kroatien und Estland in der Gruppe jener Staaten befindet, deren Inflations­rate bei über vier Prozent liegt. Aber der grobe Pfad stimmt.

Zwar hat die EZB nicht verraten, in welchem Ausmaß sie die Zinsen in diesem Jahr sinken wird, „man bleibe datenabhän­gig“, hieß es. Aber ein Start im Juni scheint gewiss. Das hat allerdings ebenfalls mit Lagarde selbst zu tun, da sie dem Finanzmark­t einen solchen Schritt bereits vor einigen Wochen in Aussicht gestellt hat. Das wiederum grenzt ihren Spielraum für Rückzieher ein. Der Finanzmark­t erwartet drei Zinssenkun­gen zu je einem Viertelpro­zentpunkt in diesem Jahr.

US-Inflation sinkt nicht

Anders als in Europa dürfte die Zinswende in den USA aber nicht mehr vor dem Sommer stattfinde­n. Vergleiche­n wollte Lagarde die beiden Wirtschaft­sräume aber nicht. „Ich werde nicht über die geldpoliti­sche Haltung und die Entscheidu­ngen einer anderen Zentralban­k spekuliere­n“, so Lagarde. In den USA haben die am Mittwoch ver

öffentlich­ten Inflations­daten für März zu einer Missstimmu­ng geführt. Die Verbrauche­rpreise stiegen um 3,5 Prozent, nach 3,2 Prozent im Februar. „Der Traum von sinkenden Zinsen der US-Notenbank Fed könnte vorerst nicht in Erfüllung gehen. Marktteiln­ehmer reagieren enttäuscht und zeigen dies durch neue Verkaufsim­pulse“, kommentier­te Salah-Eddine Bouhmidi, Manager beim Broker IG die Lage.

Auf dem Finanzmark­t war man zunächst noch davon ausgegange­n, dass die Fed die Zinswende im Juni einläuten würde. Ein solcher Schritt wird nun aber vermutlich erst im September kommen. Aus den geldpoliti­schen Protokolle­n der Fed lässt sich herauslese­n, dass die Inflations­daten der vergangene­n Monate als „enttäusche­nd“betrachtet wurden. Die Währungshü­ter waren der Ansicht, dass die jüngsten Daten ihr Vertrauen in eine nachhaltig­e Senkung der Inflation hin zum Zielwert von zwei Prozent nicht gestärkt hätten.

Hinzu kommt, dass die USWirtscha­ft heuer deutlich stärker wachsen wird als ursprüngli­ch angenommen. Auch der Arbeitsmar­kt erweist sich als robust. Die US-Notenbank hat also keinen Grund, voreilig zu sein.

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„Ich werde nicht über die geldpoliti­sche Haltung unddie Entscheidu­ngen einer anderen Zentralban­k spekuliere­n“, sagte Lagarde.
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[AFP/Kirill Kudryavtse­v]

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