Vielleicht doch eine Operette?
Lotte de Beer frisiert Puccinis Schmerzenskind „La rondine“feministisch auf – auch mit einem neuen Schluss. Hörenswert ist Matilda Sterby, ein passender Tenor fehlt.
Eine prachtvolle Nummer, „Chi il bel sogno di Doretta“, dieser Wehmutsgesang der Magda. „Folle amore! Folle ebrezza! – Wahnsinnige Liebe! Wahnsinniger Rausch!“, heißt es da. Wie ließe sich das vertonen? Hochschnellend, jubelnd, exaltiert? Giacomo Puccini wusste es besser. Die im Lied genannte Doretta vergisst beim Kuss eines armen Studenten all das Gold, das ihr zuvor der König geschenkt hat – und die Edelkurtisane Magda erblickt darin sich selbst.
Aus dem plötzlichen Gefühlsschauer schlägt Puccini keine äußerlichen Funken, sondern gießt ihn um in gedehnte Seufzer, in Dolcissimo-Zärtlichkeitsgesten. Zwei Töne im Terzabstand, vom hohen A aus zart, aber akzentuiert niedersinkend, dann eine Stufe tiefer wiederholt. Wenige Takte später weitet sich das Motiv aus, nun steigt die Stimme bis zum hohen C an …
Seinen Traum-Einfall melkt Puccini nicht nur ausgiebig als Leitmotiv, sondern imprägniert ihn geradezu mit Sentiment. Da mag man einen Hauch von Kalkül verspüren, eine nur allzu klare Rührungsabsicht. Aber man lässt sie sich gefallen.
Die gute Nachricht: Matilda Sterby weiß das mit ihrem cremig-gedeckten, aparten Sopranklang lohnend zu präsentieren. Freilich, manchmal wünschte man sich mehr PianoLeichtigkeit, und im zweiten Akt will sie in exponierten Momenten mehr geben, als ihr innerhalb der Grenzen des Wohlklangs zur Verfügung steht. Aber sie dominiert diesen Abend stimmlich ebenso wie mit ihrer noblen Darstellung.
„Traviata“minus Tuberkulose
„La rondine“ist das halb vergessene Schmerzenskind des Komponisten, das im PucciniJahr 2024 wieder öfter auf die Bühne kommt. Einst für das Wiener Carltheater auf Deutsch geplant, dann aber wegen des Ersten Weltkriegs 1917 auf Französisch in Monte Carlo uraufgeführt, ließ sich diese „Schwalbe“erstmals 1920 in Wien nieder, an der Volksoper. Das Libretto ist leider eine etwas dürftige Verquickung von „La traviata“minus Tuberkulose und Tod, aber plus etwas „Fledermaus“. Und gewiss keine Operette, sondern reinster, durchkomponierter Puccini – wobei in den Ensembles des zweiten Akts nur ein, zwei Stolperer im rauschenden Walzertaumel fehlen, und man wäre bei Ravels Donaumonarchie-Endzeitstück „La valse“angelangt.
Unter Alexander Joel schmiegen sich das Orchester, Chor und Solostimmen flexibel aneinander an, der Gesang wird getragen, nicht ertränkt, und das Auskosten der Kantilenen steht in gutem Verhältnis zum dramatischen Impetus. Trotzdem, die gut zwei Stunden ziehen sich. Optisch wähnt man sich zumindest im Mittelakt beim Prinzen Orlofsky: Christof Hetzer benutzt die Drehbühne für rasche Verwandlungen und teilt den Hintergrund mit gerafften Vorhängen ab. Das harmoniert mit Jorine van Beeks Kostümen, die die Belle Époque auferstehen lassen – inklusive historischer Bademode für Herren und Damen im dritten Akt. Da gibt freilich die Bühne schon den Blick auf eine Art (emotionales) Eismeer frei – ein anderes Blau, als es der Schauplatz Côte d’Azur vermuten ließe.
Magda: „Blöde Gans“
Lotte de Beer inszeniert also keineswegs ohne Brechung. Auf der Mitte der Bühne ragt eine weiße Säule empor, die sich als überdimensionaler Papierstreifen entpuppt. Auf dem erscheinen nicht nur die deutschen Übertitel der italienisch gesungenen Produktion, sondern auch aus heutiger Sicht verfasste Kommentare der Regisseurin, die Kritik üben sowohl an der Protagonistin als auch an der Handlung der Oper selbst. „Blöde Gans“wird Magda da etwa gescholten, wenn sie die Chance auf echte Liebe über soziale Sicherheit stellt. Und hinter dem Papierstreifen wird immer wieder der Dichter Prunier sichtbar, der das offenbar autobiografisch motivierte Libretto der „Rondine“tippt – inspiriert, assistiert und schließlich feministisch bekämpft von seiner „Muse“Lisette, Magdas Zofe, die recht heutig klingende Dialogzeilen in das Typoskript kritzelt. Dieses Buffopaar ist bei Rebecca Nelsen und Timothy Fallon in komödiantischen Händen, wenn auch stimmlich Wünsche offen bleiben. Als herbe Enttäuschung entpuppt sich Leonardo Capalbo, der Magdas naiv-schwärmerischen Liebhaber Ruggero gibt – mit sprödem Tenor ohne Schmelz und Expansionskraft.
Dass er sich Ehe und Kinder wünscht, was Magda glaubt, ihm wegen ihres moralisch zweifelhaften Vorlebens nicht geben zu können und zu dürfen, weshalb sie ihn verlässt: Das ist das tatsächlich schwache originale Ende der „Rondine“. Lotte de Beer hat sich zu einer Verschlimmbesserung entschlossen, für die der Dirigent auch noch ein paar Minuten „Rondine“-Potpourri an den Schluss anhängt.
Während Prunier und Lisette sich um ein adäquates Finale balgen, stellt Magda ironisierend einige Todesarten anderer PucciniHeldinnen zur Diskussion – Mimìs Schwindsucht, Butterflys (oder Liùs) Harakiri, Toscas Todessturz. Zuletzt gehen die beiden Frauen Hand in Hand ab: frei und selbstbestimmt.
Von vereinzelten Buhs für das Regieteam abgesehen, nahm es das Premierenpublikum mit Humor: Vielleicht ist „La rondine“ja doch so etwas wie eine Operette.
12., 18., 23., 26. April, 3., 6., 10. Mai.