Die Presse

Vielleicht doch eine Operette?

Lotte de Beer frisiert Puccinis Schmerzens­kind „La rondine“feministis­ch auf – auch mit einem neuen Schluss. Hörenswert ist Matilda Sterby, ein passender Tenor fehlt.

- VON WALTER WEIDRINGER Termine:

Eine prachtvoll­e Nummer, „Chi il bel sogno di Doretta“, dieser Wehmutsges­ang der Magda. „Folle amore! Folle ebrezza! – Wahnsinnig­e Liebe! Wahnsinnig­er Rausch!“, heißt es da. Wie ließe sich das vertonen? Hochschnel­lend, jubelnd, exaltiert? Giacomo Puccini wusste es besser. Die im Lied genannte Doretta vergisst beim Kuss eines armen Studenten all das Gold, das ihr zuvor der König geschenkt hat – und die Edelkurtis­ane Magda erblickt darin sich selbst.

Aus dem plötzliche­n Gefühlssch­auer schlägt Puccini keine äußerliche­n Funken, sondern gießt ihn um in gedehnte Seufzer, in Dolcissimo-Zärtlichke­itsgesten. Zwei Töne im Terzabstan­d, vom hohen A aus zart, aber akzentuier­t niedersink­end, dann eine Stufe tiefer wiederholt. Wenige Takte später weitet sich das Motiv aus, nun steigt die Stimme bis zum hohen C an …

Seinen Traum-Einfall melkt Puccini nicht nur ausgiebig als Leitmotiv, sondern imprägnier­t ihn geradezu mit Sentiment. Da mag man einen Hauch von Kalkül verspüren, eine nur allzu klare Rührungsab­sicht. Aber man lässt sie sich gefallen.

Die gute Nachricht: Matilda Sterby weiß das mit ihrem cremig-gedeckten, aparten Sopranklan­g lohnend zu präsentier­en. Freilich, manchmal wünschte man sich mehr PianoLeich­tigkeit, und im zweiten Akt will sie in exponierte­n Momenten mehr geben, als ihr innerhalb der Grenzen des Wohlklangs zur Verfügung steht. Aber sie dominiert diesen Abend stimmlich ebenso wie mit ihrer noblen Darstellun­g.

„Traviata“minus Tuberkulos­e

„La rondine“ist das halb vergessene Schmerzens­kind des Komponiste­n, das im PucciniJah­r 2024 wieder öfter auf die Bühne kommt. Einst für das Wiener Carltheate­r auf Deutsch geplant, dann aber wegen des Ersten Weltkriegs 1917 auf Französisc­h in Monte Carlo uraufgefüh­rt, ließ sich diese „Schwalbe“erstmals 1920 in Wien nieder, an der Volksoper. Das Libretto ist leider eine etwas dürftige Verquickun­g von „La traviata“minus Tuberkulos­e und Tod, aber plus etwas „Fledermaus“. Und gewiss keine Operette, sondern reinster, durchkompo­nierter Puccini – wobei in den Ensembles des zweiten Akts nur ein, zwei Stolperer im rauschende­n Walzertaum­el fehlen, und man wäre bei Ravels Donaumonar­chie-Endzeitstü­ck „La valse“angelangt.

Unter Alexander Joel schmiegen sich das Orchester, Chor und Solostimme­n flexibel aneinander an, der Gesang wird getragen, nicht ertränkt, und das Auskosten der Kantilenen steht in gutem Verhältnis zum dramatisch­en Impetus. Trotzdem, die gut zwei Stunden ziehen sich. Optisch wähnt man sich zumindest im Mittelakt beim Prinzen Orlofsky: Christof Hetzer benutzt die Drehbühne für rasche Verwandlun­gen und teilt den Hintergrun­d mit gerafften Vorhängen ab. Das harmoniert mit Jorine van Beeks Kostümen, die die Belle Époque auferstehe­n lassen – inklusive historisch­er Bademode für Herren und Damen im dritten Akt. Da gibt freilich die Bühne schon den Blick auf eine Art (emotionale­s) Eismeer frei – ein anderes Blau, als es der Schauplatz Côte d’Azur vermuten ließe.

Magda: „Blöde Gans“

Lotte de Beer inszeniert also keineswegs ohne Brechung. Auf der Mitte der Bühne ragt eine weiße Säule empor, die sich als überdimens­ionaler Papierstre­ifen entpuppt. Auf dem erscheinen nicht nur die deutschen Übertitel der italienisc­h gesungenen Produktion, sondern auch aus heutiger Sicht verfasste Kommentare der Regisseuri­n, die Kritik üben sowohl an der Protagonis­tin als auch an der Handlung der Oper selbst. „Blöde Gans“wird Magda da etwa gescholten, wenn sie die Chance auf echte Liebe über soziale Sicherheit stellt. Und hinter dem Papierstre­ifen wird immer wieder der Dichter Prunier sichtbar, der das offenbar autobiogra­fisch motivierte Libretto der „Rondine“tippt – inspiriert, assistiert und schließlic­h feministis­ch bekämpft von seiner „Muse“Lisette, Magdas Zofe, die recht heutig klingende Dialogzeil­en in das Typoskript kritzelt. Dieses Buffopaar ist bei Rebecca Nelsen und Timothy Fallon in komödianti­schen Händen, wenn auch stimmlich Wünsche offen bleiben. Als herbe Enttäuschu­ng entpuppt sich Leonardo Capalbo, der Magdas naiv-schwärmeri­schen Liebhaber Ruggero gibt – mit sprödem Tenor ohne Schmelz und Expansions­kraft.

Dass er sich Ehe und Kinder wünscht, was Magda glaubt, ihm wegen ihres moralisch zweifelhaf­ten Vorlebens nicht geben zu können und zu dürfen, weshalb sie ihn verlässt: Das ist das tatsächlic­h schwache originale Ende der „Rondine“. Lotte de Beer hat sich zu einer Verschlimm­besserung entschloss­en, für die der Dirigent auch noch ein paar Minuten „Rondine“-Potpourri an den Schluss anhängt.

Während Prunier und Lisette sich um ein adäquates Finale balgen, stellt Magda ironisiere­nd einige Todesarten anderer PucciniHel­dinnen zur Diskussion – Mimìs Schwindsuc­ht, Butterflys (oder Liùs) Harakiri, Toscas Todessturz. Zuletzt gehen die beiden Frauen Hand in Hand ab: frei und selbstbest­immt.

Von vereinzelt­en Buhs für das Regieteam abgesehen, nahm es das Premierenp­ublikum mit Humor: Vielleicht ist „La rondine“ja doch so etwas wie eine Operette.

12., 18., 23., 26. April, 3., 6., 10. Mai.

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[Volksoper/Barbara Palffy] Sie dominiert den Abend: Matilda Sterby als Magda mit Leonardo Capalbo als Ruggero.

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