Maria Lassnig kennt kein Alter
Es ist der beste Film über Maria Lassnig, den man sich vorstellen kann: Anja Salmonowitz’ Spielfilm „Mit einem Tiger schlafen“mit Birgit Minichmayr. Ab heute im Kino.
Der Blick fällt in einen Frauennacken, klar zu erkennen. Dann wird er abstrakter. Die in der Kunstgeschichte erotisch konnotierte Haut zeigt ihre Makel. Verzieht sich weiter zum Muskelspiel. Zum Spiel mit Licht und Schatten. Zum Krampf des Fleischs. Und erschlafft.
Birgit Minichmayr stellt sich vor, wie Maria Lassnig ihren Körper spürte, ihn „wahrnahm“, wie sie das nannte, um ihn in ihre „Body Awareness“-Formen und -Farben umzusetzen. Wie sie das wirklich tat, wie sie diese teils unangenehm sensitiven Selbstporträts tatsächlich schuf, bei denen man meint, einen Körper wie durch eine Schmerzenskamera zu betrachten – dem kommt man hier nicht wirklich näher. Das bleibt geheimnisvoll. Das ist eines der schönen Assets dieses neuen Spielfilms über die große österreichische Malerin, die 2014 starb.
Filmemacherin Anja Salomonowitz hat sich an diese Ikone der Kunst nach 1945 gewagt, die sicher das war, was Minichmayr als „harte Nuss“bezeichnete. Diese Worte fielen bei der Verleihung des Diagonale-Schauspielpreises für ihre Darstellung der Künstlerin. Ohne geringste Scheu vor Hässlichkeit, vor allem ohne Maske verkörpert sie Lassnig in allen Altersstufen. Ein auch konzeptuell grandioser Kniff. Er sorgt zwar manchmal für Verwirrung, wenn man nicht weiß, in welcher Jahreszeit des Lassnig-Lebens man sich gerade befindet – vor allem, wenn man Natalie Lettners Biografie nicht auswendig kann. Er zielt aber auch ohne Schnörkel auf den Kern, auf das, was Lassnig nicht nur als Person, sondern auch als Künstlerin ausgemacht hat: eine verstörende Alterslosigkeit.
Den Mund immer halboffen
Allein deswegen ist zu sagen: Was Salomonowitz hier in ihrem typischen Hybrid aus Fiktion und Dokumentation schuf, ist der beste Lassnig-Film, den man sich vorstellen kann. Gerecht werden? Kann ihr ein Film sowieso nie. Näher an ein Gefühl von Person und Weltsicht kommen? Geht auch nicht. Dazu gehört die Beiläufigkeit, mit der die Kunst hier existiert. Sie ist einfach da. Wie Kopf, Fuß, Hand. Allein der halbgeöffnete Mund, der einem bei Minichmayr auffällt: Man beginnt, ihn immer wieder auch in den Bildern zu entdecken. Ob das wirklich eine Parallele war? Das kann man auch in Kenntnis von Lassnigs Person nicht mehr sagen. Als Verschränkung von Kunst und Leben funktioniert er jedenfalls.
Der Erzählstrang verschränkt sich, die Handlung springt nicht nur zeitlich vor und zurück, sondern auch stilistisch. Immer wieder passieren Dinge, die gar nicht passieren können. Ein bisschen magischer Realismus, wenn sich etwa plötzlich tatsächlich ein Tiger in Richtung von Lassnigs Bett zu bewegen scheint. „Mit einem Tiger schlafen“heißt der Film schließlich auch, nach einem ihrer berühmtesten Bilder. Oder wenn sich Lassnig aus der Kinderposition neben der Mutter erhebt, aus ihrem Körper herauszutreten scheint, auf den die Mutter weiter einredet.
Ja, die Männer und die Kärntner Mutter: Das waren Lebensthemen für Lassnig, beide durch Absenz geprägt. Arnulf Rainer (Oskar Haag) ist einem etwas zu penetrant als zehn Jahre jüngerer, kurzzeitiger Liebhaber präsent, schablonenhaft in seiner Anzüglichkeit und Arroganz, wie auch alle anderen Nebenfiguren durch Überzeichnung klar zur Staffage werden.
Rainers Präsenz hätte Lassnig sicher auch diesen Film vermiest. Wie auch anderes wahrscheinlich. Sie kommt nicht sonderlich gut weg – auch das eine wesentliche Qualität dieses Porträts, für das Salomonowitz sich die besten Berater gesucht hat (Biografin, Kuratoren, Assistenten, ehemalige Schülerinnen). Lassnig wird dargestellt, wie sie eben auch war, neben ihrem Genie: paranoid, berechnend, karrieristisch, geizig. Ein bisschen allzu klar ist die Schuldige an diesen Schwächen: die Mutter war‘s, hart und verlogen. Grausam die gestellten Szenen am Sofa, in der sie der Tochter sagt: „Pack die Koffer, such‘ dir eine andere Mutti.“Das wäre der einzige Makel, den man vielleicht monieren könnte, der doch in einer abendländischen Künstlertradition steht: dass das Leid im Vordergrund steht. Wobei das bei Lassnig gestimmt haben mag. Also: große Empfehlung.