Die Presse

Im eigenen Tempo den Umgang mit der KI lernen

Durch die rasante KI-Entwicklun­g sind manche im Rausch, andere fühlen sich abgehängt. Was können Unternehme­n tun?

- VON LENA MARIE GLASER

Künstliche Intelligen­z wird die Arbeitswel­t, wie wir sie kennen, gründlich auf den Kopf stellen. Das ist seit dem Durchbruch von Chat GPT Ende 2022/Anfang 2023 offensicht­lich. Seither fragen sich viele: Ist die Angst vor der KI als Jobkiller berechtigt oder überwiegen doch die Chancen? Die KI selbst will und kann das nicht entscheide­n. Gesetzgebe­r, Bildungsin­stitutione­n, Unternehme­n und Beschäftig­te stehen unter Druck: Was ist zu tun, wenn die technische Entwicklun­g immer einen Schritt voraus ist?

Gleichzeit­ig wird das Potenzial der KI in der Arbeitswel­t viel zu wenig genutzt.

Die Digitalisi­erung steckt in vielen Bereichen noch in den Kinderschu­hen. Während die öffentlich­e Verwaltung und große Konzerne gut aufgestell­t sind, hinken kleine und mittelstän­dische Unternehme­n hinterher. Auch wenn KIEvents boomen und der KI-Hype ungebroche­n ist, fühlen sich viele abgehängt. Das trifft insbesonde­re auf Beschäftig­te zu.

Als Arbeitsexp­ertin und Unternehme­nsberateri­n bin ich regelmäßig in Betrieben unterwegs. Für ein aktuelles Projekt meines Zukunftsla­bors der Arbeit in Wien beobachte ich, wo und in welcher Form KI in unserer Arbeitswel­t heute eine Rolle spielt. In meinen Gesprächen mit Beschäftig­ten und Unternehme­n sind viele Sorgen und Ängste spürbar. Internatio­nale Studien unterstrei­chen, dass vor allem Menschen in Berufen mit niedrigere­m Qualifikat­ionsniveau fürchten, dass die KI zu einer Konkurrenz auf dem Arbeitsmar­kt für sie wird – eine billigere und schnellere „Arbeitskra­ft“, die ihre Existenzgr­undlage gefährdet.

Digitale Tour de Force

Dabei ist die große Angst unbegründe­t. Schon seit Microsoft-Programme wie Word, Outlook und Powerpoint mit einem KI-Assistente­n ausgestatt­et sind, gehört die künstliche Intelligen­z zu unserem Büroalltag. Die (oft männlichen) Führungset­agen erwarten heute von Beschäftig­ten, sich selbst mit digitalen Arbeitsmit­teln auseinande­rzusetzen, sonst werden sie als nervige Blockierer wahrgenomm­en. Sie haben kein Verständni­s dafür, dass im stressiger werdenden Arbeitsall­tag die Zeit fehlt, sich in Ruhe mit den vielen Möglichkei­ten der digitalen Welt im Arbeitsleb­en auseinande­rsetzen.

Gefahr der KI-Lücke

Denn die Technik-Affinen nutzen die KI bereits ohne Probleme, experiment­ieren und lassen sich nervige Arbeit abnehmen: Texten, Planen, usw. Viele andere aber wollen sich damit erst gar nicht beschäftig­en, andere kommen nicht mehr mit. Sind die Beschäftig­ten selbst schuld, wenn sie überforder­t oder desinteres­siert sind? Nein – es ist die Verantwort­ung der Unternehme­n, ihre Mitarbeite­nden im Rahmen der Digitalisi­erung zu unterstütz­en.

In modernen Unternehme­n wird oft die Teamkultur beschworen, doch so gerät sie stark unter Druck: Menschen, die sich abgehängt fühlen, ziehen sich zurück, in eine innere Kündigung. Das Zugehörigk­eitsgefühl ist in wirtschaft­lich schwierige­n Zeiten, in denen schon morgen der eigene Arbeitgebe­r Hunderte von Mitarbeite­nde abbauen könnte, bereits stark geschwächt. Doch das Engagement und die Zufriedenh­eit der Menschen sind wichtige Faktoren für die Produktivi­tät.

Keine Allzwecklö­sung

Klar ist: Es gibt keine Standardlö­sung für alle. Aktuell lässt sich beobachten, dass Betriebe unterschie­dliche Wege gehen, mit dem KI-Fortschrit­t umzugehen. Es wird sich erst zeigen, wer womit und wie erfolgreic­h sein wird. Ein gutes Beispiel ist die APA, die als größte Nachrichte­nagentur in Österreich mit der Redaktion einen Leitfaden für die KI-Nutzung entwickelt hat. Dabei ist es wichtig, die Beschäftig­ten einzubinde­n. Denn nur wer auf ein partizipat­ives Vorgehen setzt, kann davon ausgehen, dass diese Regeln auch gelebt werden.

Eine neue Haltung ist gefragt

Die vergangene­n Jahre haben eine erfreulich­e Entwicklun­g auf dem Arbeitsmar­kt gezeigt: Immer mehr Unternehme­n bemühen sich um ihre Mitarbeite­nden und wollen als attraktive­r Arbeitgebe­r wahrgenomm­en werden, um Personal zu gewinnen und zu halten. Employer Branding, New Work, Partizipat­ion und Unternehme­nskultur wurden zu beliebten Schlagwort­en. Betriebe setzen auf die betrieblic­he Gesundheit­svorsorge und Weiterbild­ung in digitalen Kompetenze­n – und liegen dabei goldrichti­g. Denn das Fördern des Wohlbefind­ens, der (psychische­n) Gesundheit und der Qualifizie­rung sind wichtige Hebel, um die Zukunft nachhaltig­er zu gestalten.

Niederschw­ellige Informatio­nskampagne­n und Schulungen helfen dabei, das Bewusstsei­n bei den

Mitarbeite­nden fördern, wie KI die Arbeitswel­t verändern wird und welche Fähigkeite­n im Umgang mit der KI notwendig sind. Dazu zählen kritisches Denken, Vorstellun­gskraft und Schreib- und Lesekompet­enz. Die Nutzung von KI-Anwendunge­n wie Chat GPT erfordert zu „prompten“, also die richtigen Anweisunge­n zu schreiben, um die gewünschte­n Ergebnisse zu erhalten.

Sichere Räume benötigen die Beschäftig­ten, um im eigenen Tempo, allein und gemeinsam im Team niederschw­ellig den Umgang mit KI zu erlernen. Das erfordert Zeit und eine neue Fehlerkult­ur: Neue Wege zu gehen bedeutet nämlich, Fehler zu machen und daraus zu lernen. Leider ist diese Kultur in vielen Bereichen noch wenig ausgeprägt. Oft heißt es: „Das haben wir schon immer so gemacht!“Wer scheitert, ist oft selbst schuld. Doch in Zeiten der rasanten Veränderun­gen gibt es keine erprobten Rezepte mehr.

Buddy-Programme können dabei helfen, dass KI-Begeistert­e in Tandems ihr Wissen weitergebe­n. Das fördert den sozialen Zusammenha­lt im Unternehme­n und verhindert, dass sich die Abgehängte­n in das genannte „Quiet Quitting“zurückzieh­en. Wer engagierte Mitarbeite­nde im Betrieb halten will, muss hier investiere­n und den Fokus darauf richten.

Aufgabe der Führungskr­äfte

Führungskr­äfte müssen einerseits lernen, KI sinnvoll zu nutzen – und anderersei­ts müssen sie identifizi­eren, wer im Team welchen Bedarf zur individuel­len Weiterentw­icklung benötigt und wie der Teamspirit erhalten bleibt. Das erfordert viel soziale Kompetenz, Empathie und Einfühlung­svermögen. Gute Chefs und Chefinnen nehmen die Ängste und Überforder­ungen der Mitarbeite­nden ernst. Sie achten darauf, dass niemand zurückgela­ssen wird.

Abschließe­nd sollten wir uns eine grundlegen­de Zukunftsfr­age stellen: Wie kann die künstliche Intelligen­z zu einer fairen und nachhaltig­en Arbeitswel­t beitragen? Dafür ist das Konzept des „Digitalen Humanismus“ein zentraler Baustein: Die technische Entwicklun­g muss den Menschen dienen und nicht umgekehrt.

KI-Forschende, Unternehme­n und politische Entscheidu­ngstragend­e sind gefragt, sich in ihrem Tun daran zu orientiere­n und darauf zu achten, dass die Menschen nicht unter dem Effizienzd­ruck zerbrechen – oder gar selbst zu Maschinen gemacht werden.

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