Der ungenutzte Kapitalpolster
In Österreich sieht man im Regelfall das eigene Haus nicht als Kapitalanlage. Das ist ein Fehler.
Kennen Sie den realistischen Wert Ihres Einfamilienhauses? Nur sofern Sie zu jener Hälfte der Bevölkerung zählen, die in einem Einfamilienhaus wohnt. Vermutlich nicht. In Österreich sieht man im Regelfall das eigene Haus nicht als Kapitalanlage, sondern bestenfalls als Vorsorge für niedrige Wohnkosten im Alter. Oder als etwas, was man der nächsten Generation möglichst schuldenfrei weitervererben will. Diese kulturelle Eigenheit führt dazu, dass es in Österreich viele Menschen gibt, die zwar ein Einfamilienhaus bewohnen, sich aber die Kosten des Alters – wie einen barrierefreien Umbau oder eine 24-StundenPflege – nicht leisten können, obwohl sie eine schuldenfreie Immobilie besitzen. Für viele Menschen bleibt das Kapital in ihren Häusern gebunden, ohne dass die Möglichkeit besteht, es für andere Zwecke freizusetzen. Das kann so weit gehen, dass finanzielle Engpässe dafür in Kauf genommen werden. Oft ist das gesamte Kapital von Österreicherinnen und Österreichern in einer Immobilie gebunden. Diese wird zwar als Vorsorge gesehen, die aber dann, wenn das Kapital benötigt wird, nicht genutzt werden kann.
Es ist vielleicht schon durchgedrungen: Wir befinden uns bei der Thematik von Immobilien und Kapital in Österreich in einem sich wiederholenden Zyklus, der wie ein Gefängnis wirkt, aus dem man ausbrechen will. Die massiv erschwerte Kreditvergabe und die hohen Zinsen haben die Lage nicht verbessert. Dabei gibt es inzwischen Perspektiven, die möglicherweise viele bisher nicht in Betracht gezogen haben: den Teilverkauf ihres Eigenheims. Durch den Verkauf eines Teils des Hauses können Immobilienbesitzer Kapital freisetzen. Dieses kann für dringende Ausgaben im Alter verwendet können, ohne dabei das Zuhause aufgeben zu müssen. Oder aber für einen Fall, den wir besonders häufig erleben. Man möchte seine Kinder unterstützen, weil diese gerade eine Familie gründen und dafür Kapital benötigen.
In Österreich werden die Menschen immer älter und vererben deshalb auch immer später. Der durchschnittliche Erbe, die Erbin ist beinahe 50 Jahre alt. In dieser Lebensphase benötigen die Allermeisten keine finanzielle Unterstützung mehr, Kapital benötigen im Regelfall eher Jungfamilien. Hier hat ein Teilverkauf zwei Vorteile gegenüber gängigen Modellen wie einer Leibrente oder einem Gesamtverkauf mit Wohnrecht: Man kann sich den Auszahlungsbetrag aussuchen und es bleibt das mehrheitliche Eigentum erhalten. Man bekommt also finanzielle Flexibilität und gibt dabei nicht die Kontrolle über sein Eigentum auf. Im Erbfall können die Erben den Anteil zurückkaufen oder aber gemeinsam mit dem Mitbesitzer verkaufen. Auch davor ist das flexibel möglich.
Was bringt ein Teilverkauf ?
Wichtig zu betonen ist, dass ein Teilverkauf oder eine ähnliche Lösung keine Entscheidung ist, die leichtfertig getroffen werden soll. Es erfordert sorgfältige Planung und Beratung, um die richtige Balance zwischen finanzieller Sicherheit und Wohnkomfort zu finden. Dennoch könnte diese Option für viele Menschen eine neue Möglichkeit bieten, ihre finanziellen Herausforderungen zu bewältigen.
In Staaten wie der Schweiz wird die eigene Immobilie ganz selbstverständlich als Teil des Gesamtvermögens gesehen, das man auch teilweise für Liquiditätsbedarfe nutzen kann. Es ist an der Zeit, dass wir in Österreich auch offener über solche Möglichkeiten diskutieren. Der Teilverkauf eines Einfamilienhauses mag für einige neu sein, aber er könnte eine bedeutende Chance sein, die es zu erkunden lohnt.
Franz Hörhager (35) ist Co-Founder von Bambus Immobilien, einem Wiener Start-up, das sich auf den Teilverkauf von Immobilien spezialisiert hat. Der Finanzexperte war früher bei Macquarie tätig.