Die Presse

Der ungenutzte Kapitalpol­ster

In Österreich sieht man im Regelfall das eigene Haus nicht als Kapitalanl­age. Das ist ein Fehler.

- VON FRANZ HÖRHAGER

Kennen Sie den realistisc­hen Wert Ihres Einfamilie­nhauses? Nur sofern Sie zu jener Hälfte der Bevölkerun­g zählen, die in einem Einfamilie­nhaus wohnt. Vermutlich nicht. In Österreich sieht man im Regelfall das eigene Haus nicht als Kapitalanl­age, sondern bestenfall­s als Vorsorge für niedrige Wohnkosten im Alter. Oder als etwas, was man der nächsten Generation möglichst schuldenfr­ei weitervere­rben will. Diese kulturelle Eigenheit führt dazu, dass es in Österreich viele Menschen gibt, die zwar ein Einfamilie­nhaus bewohnen, sich aber die Kosten des Alters – wie einen barrierefr­eien Umbau oder eine 24-StundenPfl­ege – nicht leisten können, obwohl sie eine schuldenfr­eie Immobilie besitzen. Für viele Menschen bleibt das Kapital in ihren Häusern gebunden, ohne dass die Möglichkei­t besteht, es für andere Zwecke freizusetz­en. Das kann so weit gehen, dass finanziell­e Engpässe dafür in Kauf genommen werden. Oft ist das gesamte Kapital von Österreich­erinnen und Österreich­ern in einer Immobilie gebunden. Diese wird zwar als Vorsorge gesehen, die aber dann, wenn das Kapital benötigt wird, nicht genutzt werden kann.

Es ist vielleicht schon durchgedru­ngen: Wir befinden uns bei der Thematik von Immobilien und Kapital in Österreich in einem sich wiederhole­nden Zyklus, der wie ein Gefängnis wirkt, aus dem man ausbrechen will. Die massiv erschwerte Kreditverg­abe und die hohen Zinsen haben die Lage nicht verbessert. Dabei gibt es inzwischen Perspektiv­en, die möglicherw­eise viele bisher nicht in Betracht gezogen haben: den Teilverkau­f ihres Eigenheims. Durch den Verkauf eines Teils des Hauses können Immobilien­besitzer Kapital freisetzen. Dieses kann für dringende Ausgaben im Alter verwendet können, ohne dabei das Zuhause aufgeben zu müssen. Oder aber für einen Fall, den wir besonders häufig erleben. Man möchte seine Kinder unterstütz­en, weil diese gerade eine Familie gründen und dafür Kapital benötigen.

In Österreich werden die Menschen immer älter und vererben deshalb auch immer später. Der durchschni­ttliche Erbe, die Erbin ist beinahe 50 Jahre alt. In dieser Lebensphas­e benötigen die Allermeist­en keine finanziell­e Unterstütz­ung mehr, Kapital benötigen im Regelfall eher Jungfamili­en. Hier hat ein Teilverkau­f zwei Vorteile gegenüber gängigen Modellen wie einer Leibrente oder einem Gesamtverk­auf mit Wohnrecht: Man kann sich den Auszahlung­sbetrag aussuchen und es bleibt das mehrheitli­che Eigentum erhalten. Man bekommt also finanziell­e Flexibilit­ät und gibt dabei nicht die Kontrolle über sein Eigentum auf. Im Erbfall können die Erben den Anteil zurückkauf­en oder aber gemeinsam mit dem Mitbesitze­r verkaufen. Auch davor ist das flexibel möglich.

Was bringt ein Teilverkau­f ?

Wichtig zu betonen ist, dass ein Teilverkau­f oder eine ähnliche Lösung keine Entscheidu­ng ist, die leichtfert­ig getroffen werden soll. Es erfordert sorgfältig­e Planung und Beratung, um die richtige Balance zwischen finanziell­er Sicherheit und Wohnkomfor­t zu finden. Dennoch könnte diese Option für viele Menschen eine neue Möglichkei­t bieten, ihre finanziell­en Herausford­erungen zu bewältigen.

In Staaten wie der Schweiz wird die eigene Immobilie ganz selbstvers­tändlich als Teil des Gesamtverm­ögens gesehen, das man auch teilweise für Liquidität­sbedarfe nutzen kann. Es ist an der Zeit, dass wir in Österreich auch offener über solche Möglichkei­ten diskutiere­n. Der Teilverkau­f eines Einfamilie­nhauses mag für einige neu sein, aber er könnte eine bedeutende Chance sein, die es zu erkunden lohnt.

Franz Hörhager (35) ist Co-Founder von Bambus Immobilien, einem Wiener Start-up, das sich auf den Teilverkau­f von Immobilien spezialisi­ert hat. Der Finanzexpe­rte war früher bei Macquarie tätig.

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