Die Presse

Mehr Container für Kinder von Zuwanderer­n sind keine Lösung

Eine liberale Migrations­politik erlaubte jedem, in die EU zu kommen – wenn er oder sie imstande ist, ohne Sozialhilf­e auszukomme­n. Ein Gedankenex­periment.

- VON CHRISTIAN ORTNER Morgen in „Quergeschr­ieben“: Anneliese Rohrer

Soll die Integratio­n von Migranten „halbwegs erfolgreic­h gelingen, muss der Staat den Zustrom an Asylberech­tigten deutlich und dauerhaft drosseln … zwangsläuf­ig darf diese Debatte Einschränk­ungen des Asylrechts nicht ausklammer­n“.

Diese harte, aber völlig zutreffend­e Anmerkung stammt nicht etwa von Herbert Kickl, sondern war dieser Tage in einem „Standard“-Kommentar zu lesen, also dort, wo 2014/15 noch rührselig von „Schutzerfl­ehenden“die Rede war.

Jetzt, nur neun Jahre nach dem Beginn der großen Massenmigr­ation, spricht sich herum, welche Probleme das verursacht hat und weiter verursache­n wird, von der Kriminalit­ät bis zur Kindererzi­ehung an den Schulen. Selbst jene Medien, die sich als Zentralorg­ane der Willkommen­skultur verstanden, haben plötzlich Fragen. Es ist, als wäre eine kollektive Narkose zu Ende. Was machen wir aber jetzt angesichts all dieser Probleme?

Man muss kein besonderer intellektu­eller Hasardeur sein, um zu prognostiz­ieren, dass sich die EU und ihre Mitgliedst­aaten in dieser Frage auch in den nächsten Jahren einer erprobten Methode bedienen werden – der „Methode Durchwursc­hteln“. Heißt im Großen und Ganzen: weiter wie bisher, ohne wirklich radikale Änderungen, denn die sind weit und breit schlicht und einfach nicht in Sicht.

Statt das Problem endlich mit der notwendige­n Radikalitä­t zu lösen, bauen wir noch ein paar Containers­chulen, in denen dann syrische Kids integriert werden sollen, indem sie mit anderen syrischen Kindern zusammen sind und von ein paar notdürftig aufgetrieb­enen pädagogisc­hen Reserviste­n unterricht­et werden. Viel Erfolg damit, kann man da nur sagen.

Selbst wenn, was allgemein vermutet wird, die politische Rechte bei den EUWahlen im Juni deutlich stärker wird, wird sich eher die Rhetorik als die Realität ändern. In Italien etwa hat Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia) vor zwei Jahren die Wahlen mit der Ankündigun­g einer schärferen Migrations­politik gewonnen – in Lampedusa landen aber seither kaum weniger Migrantenb­oote an als vorher. Und auch Herbert Kickl brachte als Innenminis­ter keine große Abschiebew­elle zustande, ganz im Gegenteil.

Eine interessan­te Überlegung wäre, einen Gedanken Milton Friedmans (Wirtschaft­snobelprei­sträger 1976) aufzugreif­en, der gemeint hat, ein Staat könne entweder offene Grenzen haben oder ein Wohlfahrts­staat sein, aber nie beides.

Wie recht er damit gehabt hat, kann man im Westen Europas gut beobachten, wo der Sozialstaa­t unter der Wucht der Migration immer mehr in Bedrängnis kommt. Da aber eine massive Drosselung des Zuzugs nicht klappt, wäre es naheliegen­d, dann den Sozialstaa­t im Wesentlich­en auf jene zu beschränke­n, die ihn finanziell aufgebaut haben.

Daraus wäre ein im Kern liberales Migrations­modell ableitbar (das Thema echtes Asyl ist davon natürlich strikt zu trennen). Vereinfach gesagt: Es kann jeder und jede kommen, der oder die will – aber ohne Anspruch auf Sozialhilf­e zumindest für einen bestimmten Zeitraum, etwa fünf Jahre. Wer es schafft, für sich selbst zu sorgen oder auch für seine Familie, wird in einem derartigen Modell das Recht – und vor allem die finanziell­en Mittel – haben zu bleiben, wer das nicht kann, wird sich mangels finanziell­er Ressourcen nicht lang hier halten können.

Eine derart liberale Migrations­politik hätte viele Vorzüge: Es blieben nur die, die imstande sind, unsere demografis­che Lücke zu schließen, der Staat müsste sich nicht mehr mit gewaltigem bürokratis­chen Aufwand um das Management der Migration kümmern, und all jene Risiken, die entstehen, wenn vor allem jüngere Männer längere Zeit ohne Arbeit, aber mit gesicherte­m Grundeinko­mmen herumlunge­rn müssen oder können, dürften ganz erheblich reduziert werden.

Mir ist klar, dass so etwas rechtlich schwierig darstellba­r wäre und massiver Gesetzesän­derungen bedürfte. Aber ich fürchte, die Risiken einer „Weiter wie bisher“-Politik sind größer als die eines Versuchs, radikaler als bisher zu denken.

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Selbst wenn die Rechte bei den EU-Wahlen stärker wird, wird sich eher die Rhetorik ändern als die Realität.

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Zum Autor: Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien.

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