Wie Premier Modi Indien umbaut
Die Partei des Regierungschefs gilt als sicherer Gewinner bei der Megawahl ab nächster Woche. Modi verwandelt die größte Demokratie der Welt in einen neuen Staat – und punktet bei der Elite.
Auf Instagram war Indiens Premier für einige Tage Gottessohn und Krieger: Narendra Modi tauchte dort im März mit wehenden weißen Haaren auf, trug eine glänzende Rüstung und ein Sonnenzeichen auf der Stirn. Der Regierungschef war der heldenhafte Bhishma, der im „Mahabharata“, dem bekanntesten indischen Epos, im hohen Alter gegen fremde Mächte kämpft. Das Foto hatte eine AI generiert und wurde Hunderttausende Male angeklickt.
Die Darstellung sagt viel über den zunehmenden personalisierten Führungsstil des Hindu-Nationalisten aus, der nun in der umfassendsten Superwahl des Superwahljahrs 2024 den Test der Urnen bestehen muss: Ab 19. April wählt die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt bis 1. Juni ein neues Parlament. Der hindunationalistischen Partei BJP des 73-jährigen Premiers werden beste Chancen vorausgesagt.
Sollte die BJP wie erwartet siegen, wird der Premier in seiner dritten Amtszeit das Projekt eines „neuen Indiens“vollenden. Im Mai ist Modi genau zehn Jahre im Amt, in dieser Zeit hat er das Riesenreich umgestaltet. Hier wichtige Bausteine des Modi-Systems.
Wirtschaft und Reichtum
Schon lang vor Donald Trump prägte Modi das Motto „Make India great again“: Damit meinte er zu Beginn die Wirtschaft. Als Modi an die Macht kam, versprach er radikale Reformen, seine konservative BJP war immer schon unternehmerfreundlich. Er baute Indiens Transportsystem aus, ließ Staatsunternehmen privatisieren, förderte Liberalisierung, Digitalisierung und Bürokratieabbau. Das zog Investoren an und bescherte, trotz einiger Tiefs, dem Land anhaltendes Wirtschaftswachstum. Davon profitierte die urbane Mittelschicht. Die Zahl der Inder mit mehr als 10.000 Dollar Jahreseinkommen verdreifachte sich. Kein Wunder, dass Indiens Elite ihn liebt: 80 Prozent der Befragten mit Hochschulabschluss äußerten sich in einer Umfrage „sehr zufrieden“mit seinem Führungsstil, unter Indern mit nur einem Volksschulabschluss waren es 66 Prozent. Auch pflegt Modi gute Kontakte mit Tycoons, allen voran Mukesh Ambani und Gautam Adani, beide aus seinem Heimatbundesstaat Gujarat. Viele Unternehmer sehen Vorteile in Modis autoritärer Führung, da Entscheidungen schneller fallen.
Die Kosten des Booms sind hoch. Indien ist nach China und den USA der weltweit drittgrößte Verursacher von Treibhausgasemissionen; Smog und Umweltzerstörung bedrohen die Lebensgrundlagen der Ärmsten, immer wieder kommt es zu gewaltsamen Bauernprotesten. Zwar hob Modi 135 Millionen Menschen, vor allem im ländlichen Raum, aus der Armut. Aber seine Bilanz ist durchwachsen, Indien rangiert bei den meisten Sozialindikatoren der UNO (Gesundheit, Bildung, Chancengleichheit) weit unten. Ein akutes Problem sind schlechte Perspektiven für junge Inder, also für die Hälfte der 1,4 Milliarden Einwohner: Die Arbeitslosigkeit steht auf dem höchsten Stand seit 45 Jahren.
Kultur und Religion
Die Gründerväter des demokratischen Indien, allen voran Jawaharlal Nehru (1889– 1964), träumten von einem laizistischen, liberalen Staat. Der Säkularismus ist auch in der indischen Verfassung verankert. Schließlich war Indien immer schon ein Land mit vielen Religionen und Ethnien, auch wenn die meisten Einwohner Hindus sind.
Modi kehrt der Tradition Nehrus den Rücken: Er will Indien in einen Hindu-Staat verwandeln und setzt die radikalnationalistische Ideologie der „Hindutva“in die Praxis um. Laut neuem Gesetz dürfen nur Einwanderer aus Nachbarländern Staatsbürger werden, wenn sie keine Muslime sind. Im mehrheitlich islamischen Kaschmir wurde 2019 quasi über Nacht die Autonomie aufgehoben, Politiker und Journalisten weggesperrt, die Region isoliert.
Am eindringlichsten war Modis Botschaft, als er im Jänner mit einer pompösen Zeremonie den hinduistischen Ram-Tempel in Ayodhya einweihte: Das Gebäude wurde auf den Ruinen einer Moschee erbaut, die Hindu-Fanatiker 1992 zerstörten, bei anschließenden Unruhen gab es 2000 Tote.
Modi und seiner Regierung wird vorgeworfen, nicht nur die zunehmende Gewalt gegen Muslime und Christen bewusst zu ignorieren, sondern diese auch über radikale soziale Organisationen wie die RSS zu schüren. Beobachter beklagen eine gefährliche, bürgerkriegsähnliche Stimmung und befürchten eine Radikalisierung der Jugend, da extremistischer Hindu-Nationalismus über Schulen, Internet oder TV verbreitet wird.
Angriffe auf Kritiker
Im System Modi werden Kritiker und Gegner systematisch mundtot gemacht – oder gar getötet. Für Schock sorgte im vergangenen
Sommer der Vorwurf Kanadas, die indische Regierung habe in Kanada einen Sikh-Führer ermorden lassen. Nach Informationen von Beobachtern war das kein Einzelfall. Massive Proteste löste indes die Festnahme Ende März eines populären Oppositionspolitikers aus: Dem beliebten Regierungschef der Metropolregion Delhi, Arvind Kejriwal, wurde just vor Wahlbeginn „Korruption“vorgeworfen. Besuch von den Steuerbehörden bekommen regelmäßig kritische Medien und NGOs, zuletzt traf es die britische BBC, die eine Doku über Modi ausgestrahlt hatte. Auch Amnesty International hatte „Steuerprobleme“. Viele Medien sind inzwischen auf Regierungslinie, TV-Sender gehören Modi-freundlichen Unternehmen. Über zahlreiche Skandale, etwa die dubiose Wahlkampffinanzierung der BJP, wird kaum berichtet.
Daher ist es kein Wunder, dass Indien in sämtlichen Freiheitsrankings abstürzt. Auf dem „World Press Freedom“Index fiel es 2023 gleich um elf Plätze ab und rangiert nun auf Platz 161 von 180 Ländern. „Freedom House“degradierte Indien 2021 von „freier Demokratie“zu partiell freier Demokratie, steil war auch der Fall auf dem DemokratieIndex
des „Economist“. Die Antwort Modis: Er lässt sich von einem regierungsnahen Thinktank einen eigenen Index erstellen.
Globaler Player
Modi verspricht, aus Indien eine Weltmacht zu machen. Das Netzwerk hat er: Im geopolitischen Machtpoker kann er mit vielen WeltGranden gut. Bei Besuchen im Weißen Haus wird Modi wie ein Popstar empfangen, ebenso in Paris. Zugleich kauft Delhi billiges Öl aus Russland und weigert sich, die UkraineInvasion zu verurteilen, um die Gunst Moskaus nicht zu verlieren. Man sei „neutral“, sagt er. Dabei nimmt Modi auch gern widersprüchliche Positionen ein: Im Gaza-Krieg gibt sich Modi proisraelisch, inszeniert sich aber zugleich als Fürsprecher des Globalen Südens. Vor allem liebt es der Premier, auf der Bühne der Weltpolitik im Rampenlicht zu stehen. Denn das kommt bei seinen Wählern gut an. So geht es immer um indischen Stolz, auch dann, wenn er einen Sitz für Indien im UNO-Sicherheitsrat fordert. Denn wie Modis Show während des G20-Vorsitzes 2023 zeigte: Weltpolitische Termine verwandelt der Premier am liebsten in Mega-Events.