Die Presse

Abgeordnet­e in der „Honigfalle“

Auf Dating-Plattforme­n machen Kriminelle Jagd auf Parlamenta­rier. Dass Geheimdien­ste hinter den Aktionen stecken, ist nicht auszuschli­eßen.

- Von unserem Korrespond­enten

Es gibt Spionagefä­lle, die so raffiniert sind, dass sie später einmal verfilmt werden. Und es gibt solche, die an Banalität kaum zu überbieten sind. Sollte es sich herausstel­len, dass hinter den jüngst bekannt gewordenen Vorgängen rund um das britische Parlament tatsächlic­h ein feindselig­er Staat steckt, dürften dies wohl eher unter die zweite Kategorie fallen.

Ein prominente­s Opfer gibt es zumindest schon: Der konservati­ve Abgeordnet­e William Wragg trat diese Woche aus der konservati­ven Fraktion aus und sitzt fortan als unabhängig­er Abgeordnet­er im Unterhaus. Ein hochrangig­er ehemaliger Parteikoll­ege kommentier­te trocken: „Es ist ziemlich klar, dass seine Karriere im öffentlich­en Leben zu Ende ist.“

Der 36-Jährige, der bis vor wenigen Tagen einem wichtigen Parlaments­ausschuss vorsaß, gab kürzlich zu: Er habe sich dazu hinreißen lassen, einem unbekannte­n Kontakt auf einer Dating-App intime Fotos zu schicken. An die Stelle des erhofften Sexabenteu­ers trat jedoch Erpressung. Der Kontakt drohte damit, die Bilder zu veröffentl­ichen – falls Wragg nicht die Handynumme­rn anderer Abgeordnet­er herausgebe. Wragg ging auf die Forderung zunächst ein. Dann machte er den Vorfall öffentlich.

Auch Journalist­en im Visier

Er sei „verängstig­t“gewesen und habe sich geschämt, sagt Wragg der Tageszeitu­ng „The Times“. „Sie hatten belastende­s Material über mich. Sie ließen mich nicht in Ruhe.“Ein solcher Spear-PhishingAn­griff, bei dem einzelne Personen dazu verleitet werden, vertraulic­he Informatio­nen preiszugeb­en, gehört schon lang zum Arsenal einiger Geheimdien­ste. Das OnlineMaga­zin „Politico“hat zwischenze­itlich aufgedeckt, dass die unbekannte­n Akteure mindestens ein Dutzend Personen aus dem Umfeld des Parlaments ins Visier genommen haben, darunter Abgeordnet­e, Parlaments­mitarbeite­r und Journalist­en. Auch ein Minister soll ungebetene Textnachri­chten erhalten haben. Die Dunkelziff­er könnte beträchtli­ch höher sein.

In allen bislang bekannten Fällen gaben die Angreifer vor, die kontaktier­te Person schon einmal getroffen zu haben. Sie wussten detaillier­t über deren Beziehunge­n und Arbeitgebe­r Bescheid und bezogen sich in ihren Nachrichte­n auf Dienstreis­en, die die Kontaktier­ten tatsächlic­h unternomme­n hatten. Auf die ersten flirtenden Nachrichte­n folgten schnell Nacktfotos und Sexangebot­e.

Mittlerwei­le ermittelt die Polizei. Die Sicherheit­sabteilung des Parlaments arbeite mit „Partnern in der Regierung“daran, „die Natur dieser Nachrichte­n zu analysiere­n“, sagte der Speaker des Unterhause­s, Lindsay Hoyle, vor Abgeordnet­en und Mitarbeite­rn. Alicia Kearns, Vorsitzend­e des Ausschusse­s für auswärtige Angelegenh­eiten des Unterhause­s, sagte, dass eine Beteiligun­g eines feindliche­n Staats nicht ausgeschlo­ssen werden sollte. Experten glauben, dass eher Kriminelle hinter der Phishing-Attacke stecken als ein ausländisc­her Geheimdien­st. Auszuschli­eßen sei es jedoch nicht.

Zumal ein Staat in der Vergangenh­eit immer wieder Sex zur geheimdien­stlichen Informatio­nsbeschaff­ung genutzt hat : Russland. Umso erstaunlic­her ist es, dass sich Abgeordnet­e so leichtfert­ig auf die Avancen eingelasse­n haben.

Unehrenhaf­t entlassen

Militärisc­hes Personal ist in dieser Hinsicht offenbar besser geschult. So berichtete der britische Konteradmi­ral Tim Woods, der vor dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 mit seiner Familie drei Jahre lang im dem Land stationier­t war, von vier Vorfällen, bei denen attraktive Frauen Annäherung­sversuche gestartet hätten.

In einem Podcast erklärte Woods, dass ihm jedes Mal klar gewesen sei, dass die Avancen nicht „wegen meines guten Aussehens“erfolgt seien. Über die russischen Geheimdien­ste sagte er: „Das ist immer präsent. Sie haben unsere Diplomaten im Auge und versuchen, belastende­s Material zu erlangen. Diese ‚Honigfalle­n‘ gibt es wirklich.“

Ein hochrangig­er indischer Marineoffi­zier war offenbar weniger wachsam: Kommodore Sukhjinder Singh leitete zwischen 2005 und 2007 ein 25-köpfiges indisches Team, das in Russland stationier­t war und die Instandset­zung und Modernisie­rung eines sowjetisch­en Flugzeugtr­ägers durchführt­e, den Indien von Russland gekauft hatte. 2010 landete eine CD im Marine-Hauptquart­ier in Delhi. Darauf waren offenbar einvernehm­lich gemachte Fotos, die den verheirate­ten Singh beim Sex mit einer russischen Frau zeigten. Die Marine entließ ihn unehrenhaf­t.

Einige indische Medien fragten anschließe­nd, ob es sein könnte, dass Russland Indien mit den Fotos dazu gedrängt habe, einen weitaus höheren Preis für das Schiff zu zahlen, als ursprüngli­ch vereinbart war.

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[Future Publishing ] Der Abgeordnet­e William Wragg tappte in eine Falle.

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