Wiener Arbeitskreis feilt an EU-Strategie 2030
Bundeskanzler Nehammer lud Ratspräsident Michel und mehrere Regierungschefs zu einem Gespräch über die Neuausrichtung der EU nach Wien ein.
Wien/Brüssel. Je näher eine Europawahl und der damit verbundene Wechsel an den Führungsspitzen der europäischen Institutionen rückt, desto größer die Versuchung unter den handelnden Personen, die Amtszeit mit einem programmatischen Wurf zu beenden. Das war bei Jean-Claude Jucker, dem Vorgänger Ursula von der Leyens an der Spitze der EU-Kommission, der Fall – der Luxemburger legte damals fünf Szenarien für die Zukunft der EU vor –, und das ist aktuell bei Charles Michel, dem Präsidenten des Europäischen Rats, nicht anders. Unter der Ägide des Belgiers wird in Brüssel und ausgewählten EUHauptstädten seit einigen Monaten an einer „Strategischen Agenda“gearbeitet, die die Union auf künftige Herausforderungen vorbereiten und Ziele für die kommenden fünf Jahre definieren soll. Am Freitag waren Michel und seine Agenda in Wien zu Gast.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) organisierte für den Abend ein Treffen mit Amtskollegen aus Dänemark (Mette Frederiksen), Slowenien (Robert Golob), Zypern (Nikos Christodoulidis) und Malta (Robert Abela). Der slowakische Premier, Robert Fico, und die lettische Premierministerin, Evika Silina, waren ebenfalls eingeladen, mussten aber Medienberichten zufolge ihre Teilnahme kurzfristig absagen.
Noch vor dem Beginn des Treffens legte der Kanzler dar, was die inhaltlichen Prioritäten aus österreichischer Sicht sein müssten: erstens die Bekämpfung der irregulären Migration und zweitens die Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. „Wir müssen entschlossen vorgehen und durch restriktive Migrationspolitik mehr Sicherheit schaffen. Und wir müssen unsere Wirtschaft wettbewerbsfähiger für den Weltmarkt machen“, so Nehammer.
Neuer Fünfjahresplan
Michels Agenda behandelt die Themenkomplexe Sicherheit und Verteidigung, Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit, Energie, Migration, globales Engagement sowie EU-Erweiterung. Der Fahrplan soll noch im Rahmen des am 30. Juni zu Ende gehenden belgischen Ratsvorsitzes finalisiert werden. Der Ratspräsident selbst sieht als dringlichstes Anliegen die Stärkung der Position der Europäischen Union auf der Weltbühne bis zum Jahr 2030. Dazu gehört unter anderem eine Bestandsaufnahme der EU-Ausgaben samt Setzung neuer Prioritäten für das Unionsbudget sowie die Verschlankung und Vereinfachung der innereuropäischen Entscheidungsfindungsprozesse (Stichwort Einstimmigkeit versus qualifizierte Mehrheit).
Schriftliche Schlussfolgerungen oder gar konkrete Ergebnisse wurden für das Wiener Treffen nicht erwartet – der Minigipfel ist nur einer von mehreren in diesen Tagen stattfindenden Beratungen –, ähnliche Formate finden bzw. fanden im Lauf des April auch in Warschau (von wo Michel nach Wien angereist ist), Bukarest und Vilnius statt. Die Konsultationen dienen in erster Linie der Ideenfindung sowie dem Abgleich nationaler Prioritäten und Interessen. Inwieweit die österreichische Sicht auf die Eindämmung der Migration als Hauptherausforderung für die EU in anderen EU-Hauptstädten geteilt wird, bleibt somit abzuwarten.
Dem Kampf gegen den Klimawandel, der ebenfalls Teil der Strategischen Agenda ist, dürfte indes in Zeiten von Krieg, Stagnation und Bauernprotesten eher wenig Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Nichtregierungsorganisationen Greenpeace und WWF äußerten im Vorfeld des Wiener Treffens Kritik daran, dass das Thema Umwelt und Klima bei den Beratungen nur eine untergeordnete Rolle spielen würde.