Verkehrspolitik: Die ÖVP hat sich abgemeldet
Machtpolitik. In der Verkehrspolitik hat die ÖVP „null Einfluss“, monieren viele in der Partei. Das ist aber großteils selbst verschuldet: Die Volkspartei hat in den Jahrzehnten an der Macht strategisch grobe Fehler gemacht.
Am 1. Juni ist es so weit. Da wird Herbert Kasser Vorstand des staatlichen Straßenbaukonzerns Asfinag. Ein rechtes Ärgernis für die ÖVP, denn Kasser wird als „Roter“tituliert, er wird künftig neben dem FPÖ-nahen Asfinag-Vorstand Hartwig Hufnagl die Geschicke des österreichischen Straßenbaus leiten. Aber was soll man machen? Die grüne Verkehrsministerin Leonore Gewessler hat als Eigentümervertreterin halt entschieden, dass ihr Generalsekretär den Job bekommt. Eine für die ÖVP unglücklich gelaufene Postenbesetzung? Wenn es nur so wäre. In Wahrheit ist die Personalie symptomatisch für einen für die Volkspartei recht unerfreulichen Befund: Die ÖVP ist verkehrspolitisch ziemlich abgemeldet. Manche sprechen sogar von Selbstaufgabe.
Denn die Asfinag ist natürlich kein Einzelfall. In den ebenfalls zu Gewessler ressortierenden ÖBB sitzt der „rote“Andreas Matthä im Chefsessel, als Finanzvorständin agiert dort seit vergangenem Sommer Manuela Waldner. Sie wird keiner Partei zugerechnet, was natürlich begrüßenswert ist – parteipolitisch geprägte Postenbesetzunsind ja grundsätzlich abzulehnen. Dennoch, und das löst in der ÖVP eben Unbehagen aus: Bei den Jobvergaben redet die Politik nach wie vor ein gutes Wörtchen mit. Bloß hatte in den genannten Fällen die ÖVP das Nachsehen. Und zwar vertraglich für die nächsten Jahre festgezurrt. Es ist, wie es ist: In den verkehrspolitisch bedeutenden Unternehmen ÖBB und Asfinag hat die ÖVP nichts zu melden, die Vorstände sind parteipolitisch für die kommenden Jahre andersfarbig.
Ende 2018 ging ÖBB-Finanzvorstand Josef Halbmayr in den Ruhestand – er war der letzte ÖVPnahe Vorstand bei den Bundesbahnen. Gut, das ist durchaus selbst verschuldet. Die Volkspartei hat nämlich in den vergangenen Jahrzehnten, in denen sie in der Regierung saß, gut und gern auf das Verkehrsministerium verzichtet und es dem jeweiligen Koalitionspartner überlassen. Weil, wie sie stets meinte, mit dem besagten Ministerium keine Maximierung von Wählerstimmen möglich sei, damit könne sie ihre Klientel nicht ansprechen. Da war ihr das Finanzministerium schon wichtiger – und seltsamerweise auch das Wirtschaftsministerium, wiewohl dieses machtpolitisch unbedeutend ist. Aber als „Wirtschaftspartei“sei das entsprechende Ministerium unabdingbar, so die Devise.
Und so gab es über die Jahre, in denen die ÖVP mitregierte, blaue Verkehrsminister (Michael Schmid, Monika Forstinger, Mathias Reichhold, Hubert Gorbach und Norbert Hofer) ebenso wie rote (Rudolf Streicher, Viktor Klima, Rudolf Scholten, Caspar Einem, Werner Faymann, Doris Bures, Alois Stöger, Gerald Klug, Jörg Leichtfried). Aber keine schwarzen.
Dabei ist es ein durchaus mächtiges Ministerium, auf das da bereitwillig verzichtet wurde. Ein Ministerium, das unter Gewessler sogar deutlich mächtiger geworden ist. Ihr Ressort trägt den Namen „Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie“, auf der Website werden stolz 24 direkte Beteiligungen an Unternehmen gelistet. Neben ÖBB und Asfinag findet man da etwa die Via Donau Wasserstraßen-Gesellschaft oder die Flugsicherungsbehörde Austro Control sowie kleinere Regionalbahnen. Aber auch das Umweltbundesamt sowie Gesellschaften aus dem Bereich Forschung: das Austrian Institute of Technology, Silicon Austria Labs, die Forschungsförderungsgesellschaft oder Austria Tech – Gesellschaft des Bundes für technologische Maßnahmen. Die Ministerin hat da überall freie Hand, auch personalpolitisch.
Da hat sich die ÖVP strategisch also einiges entgehen lassen. Ebenso machtpolitisch, denn in dem Ressort geht es um wirklich viel Geld. Allein mit dem jüngsten ÖBB-Rahmenplan für die Jahre 2024 bis 2029 wurden sogenannte Vorbelastungen im Bundeshaushalt von 65,2 Milliarden Euro für den Bahnausbau fixiert.
Kein Wunder, dass ÖVP-nahe Verkehrsexperten schon einigermaßen unrund sind. „Die ÖVP wäre gut beraten, in der Verkehrspolitik wieder Fuß zu fassen“, sagt einer.
Aber warum ist sie da überhaupt außer Tritt geraten? Die Ursprünge findet man im Frühgen
jahr 2010. Da regierte eine rotschwarze Koalition unter SPÖKanzler Werner Faymann, SPÖVerkehrsministerin war Doris Bures. Koalitionäre Konflikte wegen diverser Personalbesetzungen seitens des roten Verkehrsministeriums waren gleichsam an der Tagesordnung, die ÖVP monierte immer wieder „blutrote Festspiele“. Und dann kam es zur Eskalation: Die ÖVP wollte den damaligen Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Markus Beyrer, an der Spitze des Asfinag-Aufsichtsrates. Bures entschied sich kurzerhand für Verfassungsrichterin Claudia Kahr, die ihre Karriere im Verfassungsdienst des Kanzleramtes unter Bruno Kreisky begonnen hatte.
Die ÖVP war außer sich und zog Aufsichtsräte aus den ÖBB ab – eine Trotzreaktion. Mit andauernden Konsequenzen.
Viele Jahre ist das her, doch auch heute hat die ÖVP in den machtpolitisch wichtigen Staatsunternehmen ÖBB und Asfinag keinen sonderlich guten Stand in den Aufsichtsräten: In der ÖBB-Holding ist da der stellvertretende Präsident Kurt Weinberger, Chef der Hagelversicherung, erwähnenswert, in der Asfinag sind es Wolfgang Anzengruber und Martha Schultz. Ein ÖVPler spricht das Problem offen aus: „Der Volkspartei ist damit eine wichtige Informationsquelle verloren gegangen, sie hat somit null Einfluss.“
Auch der Versuch im Jahre 2020, mit Magnus Brunner als Staatsekretär im Gewessler-Ministerium einen „Aufpasser“zu installieren, scheiterte kläglich: Machtpolitikerin Gewessler überantwortete ihm gerade einmal die Bereiche Flugverkehr und Schifffahrt. Und das spätere Ansinnen der ÖVP, einen dritten ÖBB-Vorstandsposten zu schaffen, um einen Fuß in die Tür zu bekommen, wurde von der Ministerin ebenfalls unterbunden. Und so ist der ÖBBVorstand überwiegend rot gefärbt, jener der Asfinag rot-blau.
Neue Regierung, neues Glück? „Verkehrspolitisch bin ich schon auf die nächsten Koalitionsverhandlungen gespannt“, meint ein ÖVPler. So man da überhaupt verhandeln kann.