Zu zahm für Amy Winehouse
„Back To Black“zeichnet die Geschichte der jung verstorbenen Soulsängerin nach. Hauptdarstellerin Marisa Abela bewahrt den Film vor zu viel Kitsch – und singt auch selbst.
Die Vorzeichen standen nicht wahnsinnig günstig. Als Sängerin mit hellem Stimmchen und einem Hang zum schweren Atmen startete Sam TaylorWood nicht wirklich durch. Sie nahm 2008 tatsächlich eine Roboterdisconummer mit den Pet Shop Boys auf. „I’m in Love with a German Film Star“schaffte es mit nicht geklärten Samples von Marlene Dietrich geremixed an die Spitze der UK Dance Charts. Spektakulären Stoffen blieb sie auch als Filmregisseurin unter ihrem neuen Namen Sam Taylor-Johnson treu. Mit der John-LennonFilmbiografie debütierte sie 2009. Sechs Jahre später verfilmte sie den Soft-Maso-Erotikroman „Shades of Grey“unter dem Titel „Fifty Shades of Grey“, mit dem sie sich immerhin den satirischen Filmpreis Goldene Himbeere 2016 sichern konnte.
Wirklich belohnt wurde sie dann an der Kasse. Der Soundtrack zum Film holte in vielen Ländern Platin, der Film selbst spielte 570 Millionen Dollar ein. In die Filmgeschichte ging er nicht ein. Man muss kein Hellseher sein, um festzustellen, dass das auch ihr Amy-Winehouse-Biopic „Back To Black“nicht tun wird. Sehenswert ist es dennoch. Aus zwei Gründen: wegen der grandiosen Hauptdarstellerin Marisa Abela und wegen der Detailverliebtheit des Films. Allein die Entstehung der Tätowierungen nachzustellen, war eine sportliche Leistung.
„Soft spot for hard drugs“
Es hat natürlich seine Tücken, wenn man ein Dasein filmisch aufarbeiten soll, welches von der Yellow Press schon zu Lebzeiten der Künstlerin wahnsinnig hell ausgeleuchtet aufbereitet worden ist. Im Grunde kennt man sämtliche Wendungen des tragischen Lebens der besten weißen Soulsängerin, die jemals aus Großbritannien gekommen ist. Hinzufügen kann man nichts. Man kann sich höchstens in der Kunst der Auslassung üben. Das tut Sam Taylor-Johnson insofern, als sie sich auf die Geschichte rund um die Entstehung und den Triumph des zweiten WinehouseAlbums „Back To Black“konzentriert.
„I want people to hear my voice“, wispert die 2011 im Alter von 27 Jahren verstorbene Jahrhundertsängerin noch bei dunkler Leinwand. Im Abspann darf sie ihren Wunsch nochmals äußern. Er ging, wie wir wissen, in Erfüllung, allerdings zum höchsten vorstellbaren Preis, dem Leben der Künstlerin. Der Eigensinn, der sie zu gesanglichen und kompositorischen Höchstleistungen trieb, führte letztlich auch ins Verderben. In die Rehabilitationsanstalt wollte sie bekanntlich nicht. Sie, die wohl unter Anleitung ihres Ehemanns Blake ihren „soft spot for hard drugs“entwickelte, redete sich im Songtext darauf aus, keine Zeit zu haben.
Hier gibt es keine Familienkrise
Der Herr Papa versagte gleichfalls. „I ain’t got no time and if my daddy thinks I’m fine”, so deutete Winehouse ihre Strategie der Vermeidung im Song „Rehab“an. Fatalerweise markierte ausgerechnet dieses Lied ihren Durchbruch zum Weltruhm. Weil die destruktive innerfamiliäre Situation einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist, erstaunt es umso mehr, wie positiv die Regisseurin Mitch Winehouse und Blake Fielder-Civil aussehen lässt. Druck seitens der Familie hätte es nicht gegeben, beteuert Taylor-Johnson. Wer’s glauben will …
Fakt ist, dass die Regisseurin ein gutes Händchen bei der Wahl von Marisa Abela
hatte, die als Einzige nicht als WinehouseLookalike zum Vorsprechen gekommen ist. Brillant mimt sie all die bekannten Ticks der Sängerin und fügt noch den einen oder anderen dezent hinzu. Dass sie im Film auch singen wird, wussten zunächst weder Regisseurin noch Darstellerin. Abela nahm Unterricht und bringt ihre schön rauchig klingenden Interpretationen ganz im Einklang mit ihren visuellen Glanzleistungen. Die wirkliche Stimme von Amy Winehouse ist nur in Szenen mit Jukebox zu hören.
Die Stimmführung Abelas stimmt glücklicherweise nicht völlig mit jener von Winehouse zusammen. Das ergibt den Bonus einer subtilen Neuinterpretation, die so tut, als wäre sie das Original. So klein der Interpretationsspielraum für Abela auch war, sie nahm ihn zur Gänze wahr. Ein wenig Fiktion war auch der Regisseurin möglich. Etwa eine Szene im The Good Mixer, einem Pub in Camden, wo sich Amy und Blake wohl kennengelernt haben. Das, woran sich das Drehbuch orientierte, waren keinesfalls die existierenden Bios, sondern die Songtexte von Amy Winehouse. Was jedenfalls auffällt, sind Punchlines, wie sie typisch für die allzu früh Verstorbene waren. An einer Stelle bekennt sie, dass sie keine Feministin sei, weil sie Männer viel zu sehr liebe. Dann perlt ihr ein „I’m no stage act, I want to live my songs“von den Lippen.
Das deckt sich damit, was sie einst in einem Interview mit der „Presse“sagte: Sie müsse sich immer in Gefahr begeben, um gute Songs schreiben zu können. Dass es tatsächlich Lebensgefahr war, konnte man 2007 nicht ahnen. Sicher ist: Dieses Biopic wäre ihr persönlich viel zu zahm gewesen.