Im Haus spukt der Geist der Nazis
Intendantin Ingrid Lang bringt „Erbe“, ein über 50 Jahre altes Stück von Dorothea Zeemann, zum ersten Mal auf die Bühne. Eine gelungene Entdeckung.
Selten hat das Theatergebäude selbst eine so passende Rolle gespielt wie das Theater im Nestroyhof in Ingrid Langs Inszenierung eines kürzlich erst entdeckten Stücks der österreichischen Autorin Dorothea Zeemann (1909–1993). Im Nestroyhof, erbaut 1898 vom Architekten und Zionisten Oskar Marmorek, war erst ein Vergnügungsetablissement, ab 1905 ein jüdisch geprägtes Theater, in dem etwa Karl Kraus auf der Bühne stand. 1938 wurden die „Jüdischen Künstlerspiele“von der Gestapo geschlossen, 1940 wurde der Nestroyhof arisiert. 1952 endete ein Restitutionsverfahren in einem umstrittenen Ausgleich, bei dem die Erben mit einer geringen Summe abgefunden wurden. Seit 2009 wird im Nestroyhof wieder regelmäßig Theater gespielt.
Diese Geschichte scheint sich in Zeemanns vor circa 55 Jahren geschriebenem, erst kürzlich als Typoskript in der Nationalbibliothek entdecktem Stück „Erbe“zu spiegeln. Es spielt in einem arisierten Haus: Der Psychiater Prof. Reitknecht, ein hartgesottener Nazi, hat es seinem jungen jüdischen Kollegen Alfons Adler „um einen Pappenstiel“abgekauft. 1945 kommt Adler als USBesatzungssoldat zurück, stört die traute Familie, die gerade den siebten Geburtstag von Reitknechts Enkel Otto feiern will. Sie stoßen Adler weg, er reagiert bitter ironisch: „Verzeih, dass ich euer Opfer gewesen bin.“
Erinnerung an die Fifties-Avantgarde
Das Szenario kehrt wieder: Im zweiten Akt wird Otto 17, im dritten 22. Er ist zum experimentellen Musiker und Performer geworden, der trommelnd und klimpernd gegen das Regime des Großvaters revoltiert wie Oskar in der „Blechtrommel“. Hier weht der aufmüpfige Geist der Wiener Fifties-Avantgarde.
Es ist ein wildes Stück, bisweilen unangenehm expressiv, grell wie das Bühnenlicht. Die beiden Töchter des Hauses sind scharf gezeichnet – Hedwig, die Hüterin der falschen Idylle, Eva, die scheinbar gefügige Kindfrau –, aber nicht grob überzeichnet: Charaktere, keine postdramatischen Puppen, wie sie etwa die Inszenierung von Maria Lazars „Die Eingeborenen von Maria Blut“im Akademietheater vorgeführt hat.
Theresa Martini gibt die Hedwig glaubhaft zwanghaft, mit aufgerissenen Augen, Marie Cécile Nest glänzt als erotomanische Eva, die aber erst wirklich zur Sinnlichkeit findet, wenn sie die Torte mit bloßen Fingern verschlingt. Dominik Raneburger als zurückkehrender Vertriebener ist unheimlich ruhig, doch man spürt es in ihm toben.
Widerwillen gegen das Wort Israel
Zeitweilig aus den Rollen treten Sixtus Preiss als Enkel Otto und Sophie Kirsch als Nachbarstochter, die ebenfalls mit Mitteln der Avantgarde wider den Stachel des völkischen Patriarchen löckt. Preiss ist wirklich Klangkünstler, er hat die Musik des Abends komponiert: Freejazz im besten Sinn, Stakkati des Aufbegehrens. Die Szene, in der er rhythmisch auf die metallenen Balustraden schlägt, bleibt im Kopf. Kirsch hat selbst einen Zwischentext geschrieben, der vorführt, wie Figl 1955 die Mitverantwortung Österreichs verdrängt hat. Er erinnert an den Gestus der Wiener Gruppe, mit der Zeemann gut bekannt war, wirkt aber nicht rein retro. So lässt sich ein Stück ohne Krampf aktualisieren. Die Passage, in der die Töchter den ihrem Vater verhassten Ländernamen Israel nicht einmal aussprechen wollen, wirkt freilich heute besonders gespenstisch aktuell.
Klug war es auch, Zeemanns etwas plakative Anweisungen zur Bühnengestaltung nicht zu befolgen. Stattdessen hat Marie-Luise Lichtenthal den Boden mit Büchern gepflastert: den Büchern, zu denen Adler letztlich zurückkehren wollte, zu der Kultur, die die Familie des Antisemiten Reitknecht mit Füßen tritt. Die schleißigen Vorhänge, die anfangs den Bühnenraum eingegrenzt haben, fallen schon im ersten Akt: Adler reißt sie weg, öffnet damit einen hohen, weiten Raum für die Erinnerung. Ein einfacher, verblüffend wirksamer Effekt. Insgesamt: Eine gelungene Beschwörung von Geist und Ungeist. Ein packender Abend mit desillusionierendem Schluss.