Die Kultur als Maskerade
Vor dem Untergang. Das bürgerliche Kulturleben Österreichs unter dem autoritären Regime 1933 bis 1938. Über Verkleidungen und Drapierungen.
September 1934. Österreich wurde autoritär regiert, die halbe Regierung war am 27. des Monats im Wiener ApolloKino eingetroffen, zur Premiere des Films „Maskerade“. Regisseur war Willy Forst, Hauptdarstellerin (in ihrer ersten Filmrolle) Paula Wessely, sie trägt hier den schönen österreichischen Namen Leopoldine. Der Abend war ein kulturpolitisches Ereignis: alles ganz österreichisch. Wie schön, wenn ein gelungenes Kunstwerk ein gutes Licht auch auf den Staat wirft.
„Dieser Film ist ein österreichischer Triumph, Österreicher haben ihn ersonnen, inszeniert, gespielt, hergestellt“, so Ernst Lothar. Gedreht wurde in der Zeit, als der Aufstand des sozialdemokratischen Schutzbundes niedergeschlagen wurde. Bezug zur beunruhigenden Gegenwart mit mehr als 300 Toten durch die Straßenkämpfe gab es freilich in dem Film keinen. Stattdessen wurde das Publikum in die schöne Welt von 1905 entführt.
Der Film gehört zum Genre des „Wiener Films“der 1930er-Jahre. Es fand eine nahtlose Fortsetzung in der nationalsozialistischen Filmpolitik, war leicht in der Propagandamaschinerie unterzubringen und diente fortan der Erheiterung der deutschen Volksgemeinschaft. Drei Historiker haben sich durch den Filmtitel inspirieren lassen: Alfred Pfoser, Béla Rásky und Hermann Schlösser nennen ihr breites Panorama des österreichischen Kulturlebens zwischen 1933 und 1938 „Maskeraden“. Es sind die fünf Jahre, in denen die österreichische Variante des Faschismus mit dem übermächtigen Nationalsozialismus rang, mit dem bekannten Ausgang.
Die 57 Kapitel zur Kulturpolitik der Zeit sind wie Mosaiksteine, die unterschiedliche Lebenswirklichkeiten illustrieren. „Endlose Maskeraden verhüllten die politische Schwäche, die ökonomische und soziale Misere des Regimes“, so die Autoren. Manche konnten die neuen, die „großen Zeiten“gar nicht erwarten. Viele aber, auch Künstler und Intellektuelle, sahen mit Blick über die deutsche Grenze das Dollfuß-Schuschnigg-Regime als „geringeres Übel“und arrangierten sich. Sie bezahlten wie die Vertreter des Regimes selbst die Inkonsequenz in der Bekämpfung des Nationalsozialismus mit dem Untergang Österreichs.
Rassistisches Diktat im Film
In der Filmproduktion war der Anschluss bereits 1935 vollzogen. Österreich verpflichtete sich in einem Abkommen mit Berlin, nur „judenfreie Auftragsproduktionen“für den deutschen Sprachraum zu liefern, de facto konnte die NS-Reichsfilmkammer hierzulande mitreden. Das war ein schwerer Schlag für Regisseure und Schauspieler aus Deutschland, die nach Hitlers Machtergreifung Zuflucht in Wien gesucht hatten. Der breiten Öffentlichkeit war das nicht bewusst. Wie konnte man jetzt noch einen unabhängigen österreichischen Film herstellen, ohne den deutschen Absatzmarkt zu verlieren?
Es kam zu einem Wagnis und letzten Anlauf: Die Verfilmung von Ludwig Anzengrubers „Der Pfarrer von Kirchfeld“(1937) mit Hans Jaray und Karl Paryla hielt sich nicht an den „Arierparagrafen“. Das Drehbuch stammte von Friedrich Torberg (unter dem Pseudonym Hubert Frohn), das Libretto für die Gesangsstücke von Hans Weigel. Die ursprünglich kirchenfeindliche Tendenz Anzengrubers wurde eliminiert und es entstand ein frömmlerisch-pathetisches Werk im katholisch-bäuerlichen Milieu.
Filmhistorisch von größter Bedeutung ist jedoch: Es war die letzte von staatlichen Vorgaben unabhängige Produktion vor dem „Anschluss“, die sich dem rassistischen Diktat entzog. Die meisten mitwirkenden Künstler wurden in der Folge zu Verfolgten des NSRegimes. Der Film kam 1948 wieder in die österreichischen Kinos, ohne Verweis auf den Entstehungszusammenhang.
Auch in der Literatur vollzog sich der Anschluss an das Dritte Reich in Schritten. Mirko Jelusich formte in seinem historischen Bestseller „Caesar“die antike Figur nach dem Vorbild Mussolinis, in seinem „Cromwell“Roman von 1933 spiegelte er Hitlers Aufstieg zur Macht. Autoren hatten Angst vor dem Bannstrahl aus Berlin und bangten um ihre Auflagen. Nach der Ermordung von Dollfuß durch ein Nazi-Kommando waren die völkischen Schriftsteller in einer „vertrackten Situation“(Pfoser): Begeisterung für Hitlers Staat war nun in Österreich untragbar geworden, man ging in Deckung. Buchverlage passten sich aber weiterhin an den deutschen Markt an, sie verlegten verfemte Namen nicht mehr. Leicht hatten es Vertreter der „Schollenliteratur“wie Karl Heinrich Waggerl, das gefiel dem österreichischen und dem deutschen Regime gleichermaßen. Geschickt wurde unterschwellig die „innere Verwandtschaft“von Austrofaschismus und Nationalsozialismus betont.
Wer darf in Salzburg auftreten?
Die Salzburger Festspiele ließen sich von dem permanenten deutschen Druck nicht in die Knie zwingen. Wahre Kunst dürfe sich nicht der Gewalt unterordnen, so Dirigent Arturo Toscanini, der sich aus Bayreuth zurückgezogen hatte und auch Auftritte für Mussolini verweigerte. So legte er sich konsequent mit den Diktatoren an. In Salzburg wurde er gefeiert, ein kunstbegeistertes internationales Publikum kam hierher, Salzburg wurde „zum Schaufenster einer globalen Kulturelite, die in tadellosen Produktionen der Kunstreligion frönte“(Pfoser).
Das Kulturland Österreich galt etwas in der Welt, und die österreichische Regierung profitierte von diesem Glanz. Als Wilhelm Furtwängler, im Dritten Reich zu hohen Ehren gekommen, hier gastierte, kam es zum Eklat: Toscanini sagte: er oder ich. „Bayreuth oder Salzburg – beides geht nicht.“Wer sich nicht bedingungslos zu den humanitären Idealen bekenne, solle Salzburg meiden.
Kein österreichisches Gesetz diskriminierte wie im Deutschen Reich die Juden, die Maiverfassung 1934 garantierte Religionsfreiheit. Rassenlehre sollte in der Staatsideologie keinen Platz haben. Offiziell, etwa bei Staatsanlässen, war der Antisemitismus selten ein Thema, unterschwellig, im Kulturleben, an den Universitäten, bei Kirchenvertretern und in der Publizistik, aber schon, mit mehr oder weniger radikalen Formulierungen. Niemand unternahm etwas dagegen. Die Haltung gegenüber den Juden war an Doppelbödigkeit schwer zu überbieten. Ihre Präsenz in vielen gesellschaftlichen Bereichen wurde als „lästige Unterwanderung“empfunden, aber sie konnten der „Vaterländischen Front“beitreten, freilich ohne Aufstiegsmöglichkeiten.
Tout Vienne, auch Schuschnigg und sein Kreis, fand sich in der Villa Ast auf der Hohen Warte bei einem spektakulären Ehepaar ein. Die Hausfrau, Alma Mahler-Werfel, und ihr in konfessionellen und politischen Fragen volatiler, aus dem assimilierten Judentum stammender Ehemann Franz Werfel unterhielten sich angeregt mit Richard Strauss genauso wie mit Arnold Schönberg, mit dem katholischen Nuntius genauso wie mit Max Reinhardt. „Regierung, Kirche, Diplomaten, Literatur, Musik, Theater – es war alles da“, schrieb der Schriftsteller Klaus Mann.
Finanziell ausgehungertes Wien
Das legendäre Wohnbauprogramm des Roten Wien kam ab 1933 zum Stillstand, die Stadt wurde vom Bund in einem strategisch angelegten finanziellen Vernichtungsfeldzug via Finanzausgleich ausgehungert. Nun wurde im Wiener Wohnbau eine Kehrtwendung vollzogen, unter dem Schlagwort „Belebung bürgerlicher Traditionen“. Zu einer „austrofaschistischen Architektur“kam es nach Friedrich Achleitner aber nicht.
Anstelle alter Straßenzüge waren moderne Großstadthäuser für den kultivierten Mittelstand geplant, in der vom Ständestaat präferierten „schlichten Moderne“, etwa im Wiedner Freihausgelände oder in der Wollzeile. Es war absehbar, dass die Mieten schlicht zu hoch sein würden. Immer mehr regte sich der Widerstand konservativer Stadtplaner. Auch die Zeitungen ließen sich nicht mehr von der Propaganda einlullen. Der Volkswille richtete sich gegen das Bauprogramm des neuen „Schwarzen Wien“, die geplante Demolierung von Altbauten.
Im Jänner 1938 unterschrieben 20.000 Wiener ein Volksbegehren „für die Rettung des alten Wien“. Warum liebgewordene Häuser abreißen? „Mit elementarer Wucht“, regte sich in Wien der Denkmalschutzgedanke, so der Kunsthistoriker Hans Sedlmayr. Der sah freilich die Zukunft Wiens im „Entschluss des Führers“. Auch andere propagandistische Bauprojekte des Ständestaats wurden nicht realisiert, weder das Kaiser-Franz-JosephDenkmal bei den Neuen Burg noch das Dollfuß-Denkmal oder das Haus der Vaterländischen Front am Ballhausplatz. Ist auch nicht schade darum.