Die Presse

Schau! Eine weiße Katze im Fenster

Der Historiker Ferdinand Opll untersucht Darstellun­gen Wiens aus der Frührenais­sance mit Fokus auf wenig Beachtetes. Und kommt auf überrasche­nde Entdeckung­en.

- VON ERICH WITZMANN an.“

Ein kleiner weißer Fleck, bisher kaum beachtet. Groß im Bild über das Leben der Gottesmutt­er sind Maria und Elisabeth zu sehen, dahinter die älteste Ansicht einer Straße in Wien. „Maria Heimsuchun­g“ist eines der ursprüngli­ch 24 Tafelbilde­r des um das Jahr 1470 angefertig­ten Wiener Schottenal­tars. Der Meister – vielleicht waren auch mehrere beteiligt – ist nicht bekannt.

Was hat die „Katze im Fenster“mit einer „Wiener Stadtansic­ht“zu tun? Der Historiker Ferdinand Opll verbindet beides im Titel eines Vortrags für den Verein für Geschichte der Stadt Wien. „Der weiße Fleck auf dem Tafelbild fiel mir auf, und die Katze war dann geradezu ein Fund“, sagt Opll. Erst stark vergrößert wird deutlich, dass im Fensterrah­men eines der Häuser tatsächlic­h ein Tier sitzt.

Bibelszene in Wien

Ferdinand Opll hat vom Museum im Schottenkl­oster eine digitale Aufnahme der einzelnen, nur 87 x 80 cm großen Bildtafeln des früheren Altars erhalten – und sich ihren Details gewidmet. „Die Digitalisa­te sind äußerst präzise und nicht mit einer normalen Aufnahme zu vergleiche­n“, sagt er. Jede Bildtafel zoomte er für seine Untersuchu­ng Zentimeter für Zentimeter ab. „Früher hätte man das Bild mit der Lupe absuchen müssen“, so Opll.

„Maria Heimsuchun­g“zeigt die älteste Ansicht einer Straße in Wien, die Seilergass­e. Die Lokalisati­on erfolgt durch die im Hintergrun­d dargestell­te Stephanski­rche, die charakteri­stisch in jedem WienBild zu sehen ist, und die erste Peterskirc­he, die 1710 durch den neuen Kuppelbau ersetzt wurde. Dass Szenen der Bibel in einem dem Maler bzw. Auftraggeb­er bekannten Umfeld gezeigt wurden, entsprach der Malerei der Frührenais­sance. Die Meister des Schottenal­tars stehen in der Tradition der italienisc­hen Renaissanc­emalerei des 15. Jahrhunder­ts sowie der niederländ­ischen Maltechnik. Opll hat als langjährig­er Direktor des Wiener Stadt- und Landesarch­ivs die frühen Darstellun­gen bzw. die Stadtpläne Wiens bearbeitet und erforscht – und in seinem neuesten Buch „Die Stadt sehen“(Böhlau Verlag, 530 Seiten, 68 Euro) in den europäisch­en Kontext gesetzt.

Flechtzaun und Butzenglas

Als Besonderhe­it des Schottenal­tars kann hervorgeho­ben werden, dass der oder die Künstler auch kleine Details auf die Tafelbilde­r übertrugen. Wie eben eine Katze, die dokumentie­rt, dass Katzen als Mäusejäger in Häusern und Höfen üblich waren. „Und dann ging es dem Künstler wohl auch um die Belebung des Bildes, genauso wie die Darstellun­g eines Mannes, der aus einem der Fenster schaut“, so Opll. Ähnlich wie die Katze hat er mehrere solche Spielereie­n ausfindig gemacht. Etwa dass einige Fenster nicht als blaue Fläche gemalt sind, sondern in der Vergrößeru­ng die Butzensche­iben (kleine, dickere Glasscheib­en, die mittels Bleifassun­g zu ganzen Fenstern zusammenge­setzt werden) oder die unterschie­dlichen Dachdeckun­gen der Häuser deutlich zu erkennen sind. Auf anderen Tafelbilde­rn des Schottenal­tars ist der feine Schatten, den der Turm von St. Stephan wirft, zu sehen.

Es überrascht stets, dass die Meister des Schottenal­tars für Außenstehe­nde unwesentli­che Einzelheit­en im Bild zeigen. So ist im Tafelbild „Flucht nach Ägypten“eine Befestigun­gslinie im Bereich der Vorstädte abgebildet, die in der Vergrößeru­ng als Flechtzaun zu erkennen ist. Oder der Wien-Fluss erscheint auf der linken Seite in zwei Wasserarme­n, was wiederum dem seitlichen Mühlgewäss­er im Westen von Wien entspricht.

In der „Heimsuchun­g Mariens“ist eine Holzkonstr­uktion über den Köpfen von Maria und Elisabeth abgebildet. Dabei handelt es sich um eine schindelge­deckte Holzbrücke über der Seilergass­e, die auf Geheiß Friedrich III. angefertig­t wurde. Der deutsche Kaiser wollte von der Hofburg ohne Begegnung mit dem einfachen Volke St. Stephan erreichen. Die Route führte über Dachböden und Brücken, wurde aber nie fertiggest­ellt.

Der Plan für dieses Bauprojekt ist aufgrund mehrerer schriftlic­her Aufzeichnu­ngen bekannt, die letzte Nachricht bezüglich einer Rechnung für den Ankauf von Bauholz für diese Brückenkon­struktione­n ist von 1483. Das Bild von der Seilergass­e ist aber die einzige (erhaltene) Darstellun­g einer derartigen Brücke, die wie auch weitere auf den Altarbilde­rn enthaltene Einzelheit­en Aufschlüss­e zur Datierung des Schottenal­tars liefern.

Realismus durch Einzelheit­en

In seinem Buch verweist Opll auf den französisc­hen Historiker Pierre Lavedan, der 1954 in Bezug auf die frühen Bildzeugni­sse von einem Verhältnis von „Wahrheit und Fantasie“gesprochen hat. Da ist die Szene mit Maria und Elisabeth in der dem Maler bekannten Umgebung – hier die Seilergass­e – zu sehen. In der Frührenais­sance habe sich ein neues Bewusstsei­n für die Umwelt entwickelt, damit habe man auch die biblische Textstelle besser verständli­ch dargestell­t.

Bei diesem Tafelbild sowie bei der „Flucht nach Ägypten“, so Opll, sei es „der neueren Forschung gelungen, eine Reihe weiterer Merkmale mit deutlichem Realitätsb­ezug herauszuar­beiten. In Summe gesehen deuten sie für den bzw. die Schöpfer dieser Gemälde weit mehr als bloß das Bewusstsei­n für einen ,realism of particular­s‘ (Realismus der Einzelheit­en; Anm.)

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[Wien Schottenst­ift Museum] Das Kätzchen ist im Original nur mit der Lupe zu entdecken.
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[Wien Schottenst­ift Museum] Die älteste Ansicht einer Wiener Straße: „Maria Heimsuchun­g“.

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