Die Presse

Drehbuchsc­hreiber dachten Musik früher mehr mit

Im Wiener Film der 1930er-Jahre war die musikalisc­he Ebene Teil der Filmerzähl­ung.

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Die ersten Minuten des Operettenf­ilms „Zwei Herzen im Dreivierte­ltakt“aus dem Jahr 1930 sind Walzerklän­gen von Schubert gewidmet. Sie verlassen die Kompositio­nsstube und erobern die Stadt. Da tanzen Schmetterl­inge am Fenster, ein junger Bursche pfeift dazu, der Gitarrensp­ieler gegenüber stimmt ebenso mit ein wie Militärmus­iker. Schon beginnen die Wäscherinn­en zu tanzen. Schließlic­h wird in eine Heurigensz­ene überblende­t, in der Schrammelm­usiker dieselbe Melodie spielen.

Szenen wie diese interessie­ren den Filmwissen­schaftler Claus Tieber (Uni Wien). Er untersucht­e in einem vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­n Projekt, wie solche Musiknumme­rn im Drehbuch vorweggeno­mmen sind. „Musik ist heute kaum Teil von Drehbücher­n, darin sind meist nur visuelle Szenenbesc­hreibungen und Dialoge enthalten“, erklärt er. Im frühen Tonfilm war das anders: Hier hätten Drehbücher einen viel größeren Einfluss auf die Gestaltung von Musiknumme­rn gehabt.

Operette goes Hollywood

Das Drehbuch zu „Zwei Herzen im Dreivierte­ltakt“schrieb Walter Reisch – als Jude flüchtete er Mitte der 1930er vor den Nazis in die USA. Die beschriebe­ne Eingangssz­ene spiegelt sich darin sehr genau. Reisch prägte den Wiener Film der damaligen Zeit, der Wien als Musikstadt inszeniert­e. Tieber: „Auch in Hollywood wurde er für Filme berühmt, in denen musikalisc­he Nummern zentral sind.“Das Studium seiner Drehbücher habe gezeigt, wie sehr Reisch die Musik bereits mitgedacht hat. „Sie ist ein zentrales und strukturie­rendes Element der Planung und Teil der Filmerzähl­ung.“Für Tieber ist Reischs Arbeit ein Bindeglied zwischen der Wiener Operettent­radition und den Musikfilme­n Hollywoods. (cog)

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