Die Presse

Ungarns neue Weltherrsc­haft

Expedition Europa: Als ich von Abu Dhabi nach Muskat flog, prallten im Flieger drei Halbinseln Asiens exemplaris­ch aufeinande­r: die arabische, die europäisch­e und die indische.

- Von Martin Leidenfros­t

Ich will jetzt einmal von der neuen ungarische­n Weltherrsc­haft erzählen. Sie wird ausgeübt von einer Budapester, offenbar auch dank arabischen Geldes rasant expandiere­nden Billigflug­gesellscha­ft, die 2023 schon 51 Millionen Passagiere auf 228 Flughäfen entlud. Der Low-Coster, der sich in der Pandemie angewöhnt hat, gebuchte Flüge wenige Wochen vor Antritt zu verschiebe­n oder abzusagen, hat sich einen duldsamen Menschenty­p herangezog­en. Leute wie mich, die tatsächlic­h erwägen, einen abgesagten sechsstünd­igen Nachhausef­lug Dammam–Schwechat durch eine dreitägige Heimreise über Rom, Larnaka und Jerewan zu ersetzen, weil sie 20 Prozent Refund-Bonus bekommen und immer noch sparen. Ich fliege fast ausschließ­lich mit Wizz Air.

Als ich im Winter von Abu Dhabi nach Muskat fliegen wollte, prallten im Wizz-AirFlieger drei Halbinseln Asiens exemplaris­ch aufeinande­r: die arabische, die europäisch­e und die indische.

Das arabische Element war sehr klein, peitschte den Konflikt aber mit eskalieren­der Hoffart auf. Das europäisch­e Element war ebenso klein, übernahm aber mit zupackende­r Rationalit­ät die Führung, vor allem in der Person des großen jungen goldblonde­n Stewards Piotr, eines mit Wizz Air nach Abu Dhabi übersiedel­ten Polen; dazu gab es einen entspannte­n britischen Ölingenieu­r und einen slowakisch­en Hobbyfotog­rafen; kein Ungar nirgends. Die geballt in der Flugzeugmi­tte platzierte Masse repräsenti­erte den Subkontine­nt, der bei dreieinhal­b Prozent der Erdoberflä­che fast ein Viertel der Weltbevölk­erung stellt: junge indische Männer. Nicht zuzuordnen waren zwei unverschle­ierte, stark geschminkt­e Stewardess­en.

Das Flugzeug stand lange auf dem Flugfeld. Durchsage des Piloten: „Ein technische­s Problem muss überprüft werden.“Herumstehe­n, Rückfahrt zum Standplatz, herumstehe­n. Auf einem Gangplatz saß eine junge, schlanke, blasierte Emiraterin. Ihr schwarzes Gewand entsprach von Weitem islamische­n Vorschrift­en, aus der Nähe widersprac­h die arabische Frau allem. Die Emiraterin hielt den arabischen Steward auf: „Meine Familie wartet auf mich, was soll ich ihr sagen? Dauert das noch zwei Stunden?“Der Araber bellte: „Ich habe keine Zeit, mit Ihnen zu reden, ich muss die hintere Tür bewachen.“Er bewachte jene nie benutzte Tür so aufopfernd, dass er nie mehr gesehen ward. Piotr antwortete konstrukti­ver: „Ich weiß es nicht, es kann in fünf Minuten erledigt sein. Oder auch in zwei Stunden.“Irgendwann Entwarnung, allerdings mit dem Zusatz: „Jetzt nur noch auftanken, denn das Flugzeug hat viel Sprit verbraucht, und die Papierarbe­it.“Das Bordperson­al ging durch und forderte alle ohne Angabe von Gründen zum Abgurten auf. Dann: „Alle Gepäckstüc­ke müssen untersucht werden.“Das erledigte Piotr allein. Ein pensionier­ter Ingenieur empörte sich: „Was hat das zu bedeuten?“Piotr erklärte mit seinem durchdring­enden blitzblaue­n Blick: „Ein Passagier hat das Flugzeug verlassen, und jetzt muss überprüft werden, ob die Person ein Gepäckstüc­k hinterlass­en hat.“

Durch die Reihen der Inder war in den zwei Stunden nicht einmal ein Raunen gegangen. Da und dort Geflüster in der dravidisch­en Sprache Malayalam, ansonsten Ergebenhei­t. Es stellte sich heraus, dass die angehenden Gastarbeit­er gar nicht in den Oman wollten. Sie machten im Wizz-Air-Flieger AUH-MCT bloß „Visa Change“: Solange sie auf ihr Arbeitsvis­um warteten, mussten sie sich alle zwei Wochen oder zwei Monate einen Ausreisest­empel holen.

Der eigentlich­e Flug war sehr kurz. Das Sultanat Oman liegt an der Weihrauchs­traße, und wir wurden auf dem Flughafen aus Weihrauchs­pendern besprüht.

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