Zeitreise mit Weinbegleitung
Garda Trentino. Der Gletscher formte diese schöne Landschaft, viel Wind freut nicht nur die Surfer und Segler, sondern auch die Winzer. Unterwegs am Nordende des Gardasees und im Valle dei Laghi.
Dass der Gardasee ein Überbleibsel aus der Eiszeit ist, ahnt man an seinem schmalen nördlichen Ende und dem Valle dei Laghi mit seiner Seenplatte. Ausgewaschen durch einen Seitenast des Etschgletschers, prägen Endmoränen mit ihrem fruchtbaren Boden aus Kalkstein, Granit, Gneis und Dolomit die Landschaft und Vegetation hier. Bemerkenswert sind da diese „Mondlandschaften“mit Saurierabdrücken im Gestein, die Marocche di Dro sind ein riesiger Bergsturz (der größte der Alpen), vom Gletscher zusammengeschoben. In dem Naturschutzgebiet und seltenen Biotop gedeihen alte Zwergbäumchen und Smaragdeidechsen, Füchse und Felsenschwalben leben hier. Eine feine Rundtour, leicht erwandert.
Schon lang haben Sportler diese Gegend entdeckt. Der nördliche Gardasee ist ein Dorado für Segler und Windsurfer. In Riva, von der Piazza III. Novembre aus, kann man bei einem Gelato oder Espresso beobachten, wie es dem Seglernachwuchs in „Optimisten“nicht stürmisch genug sein kann. Bei Kletterern ist das Gebiet Massone bei Arco gefragt, durch die Kalksteinwände führen 160 Routen aller Schwierigkeitsgrade, berüchtigt ist die „Underground“. Und es gibt Mountainbiketrails und Wanderwege zu Seen, ein Tipp ist der Canyon von Limarò, eine NaturSkulptur aus glatt geschliffenem rotem und grauem Kalkgestein.
Weiler aus dem Mittelalter
Der traditionelle Kurort Riva del Garda, 1919 von Österreich-Ungarn an Italien verloren, war beliebt als Seepromenade des österreichischen Adels und wohlhabender Bürger, er war auch Geburtsort eines österreichischen Bundeskanzlers, Kurt Schuschnigg (1934–1938). Mit mildem Klima, Palmen, Zitronen- und Olivenbäumen, italienischer Kulinarik und Weinkultur und einem verlässlich fächelnden Lüftchen – vormittags vom See (Pelér), ab Mittag von den Bergen (Ora) – hat sich Riva den Ehrentitel „Perle des Gardasees“mehr als verdient. Und natürlich dank der Palazzi, der pittoresken
Gassen, des Jachthafens, der Piazza direkt am See, der Wehrtürme. Und wegen des Forte del Bastione, im 16. Jahrhundert erbaut, zerstört 1703. Die Burgruine samt wunderbarer Aussicht auf Riva, Gardasee und das weite Valle dei Laghi, erreicht man via gläsernen Aufzug oder auf Serpentinen.
Rivas Hinterland ist eine Zeitreise. Etwa zu den schönsten mittelalterlichen Ortschaften Italiens, ins Canale di Tenno, Richtung Tennosee, vorbei an fast senkrecht aufsteigenden Kletterwänden, an
Obst- und Weingärten, Kastanien und Olivenhainen (den nördlichsten Italiens, 160.000 Ölbäume gibt es im Tal Basso Sarca, und vier Ölmühlen). Dort findet man, an den Südhang des Monte Misone gepresst, die Ville del Monte, vier Weiler, in sich verschachtelt, mit Häusern, die sich mit Bögen gegenseitig abstützen. Seit Jahrhunderten unverändert.
Schon 711 wird eine Ortschaft vermerkt, ab dem 13. Jahrhundert weiß man, dass hier selbstbewusste Bauern und Handwerker sich selbst verwaltet haben: Ihnen wurde ein Bronzedenkmal gewidmet. Nach 1600 waren die Bergdörfer ein Refugium vor der Pest, die immer wieder unten im Tal wütete. 122 Feuerstellen (Camini Fumanti) der Zeit entdeckte man bisher, die mindestens so vielen Familien Wärme und Nahrung boten. Doch im 19. Jahrhundert leerte die erste Auswanderwelle die Dörfer – man zog nach Südamerika, gründete dort die Stadt Nova Trento.
Als der Erste Weltkrieg und die neuen Industrien die Einkünfte im
Tal immer karger werden ließen, zog fast der ganze Rest der Bewohner fort, einige als Scherenschleifer durch Nordamerika. Mancher wurde sogar reich damit, indem er, statt vor Ort zu schleifen, stets ein Set schärfster Messer mitbrachte, die er dann flink gegen stumpfe austauschen konnte – eine erfolgreiche Geschäftsidee. Andere Wirtschaftsflüchtlinge verdingten sich als Bergarbeiter in Pennsylvania, die Häuser verfielen. Man versuchte sich mehr schlecht als recht mit Seidenraupenzucht am Leben zu erhalten (Rovereto galt als Seidenstadt), oft musste die Familie im Winter ihren warmen Platz um den Ofen in der Küche den Seidenraupen überlassen und im Heu übernachten. Immer weniger Bewohner hielt es hier, Orte starben aus, Häuser verfielen.
Alte Architektur wiederbelebt
Bis in den 1960er-Jahren ein Künstler aus dem Piemont, Giacomo Vittone, seine Liebe zu den alten Gemäuern entdeckte. Er eröffnete ein Atelier, seine Casa degli Artisti belebte die Gegend rundum, immer mehr Besucher kamen. Kreative mieteten sich ein, Häuser wurden gekauft und renoviert. Heute bietet man Sommercamps an, es entstehen Gemeinschaftsprojekte, man hört Musikschulen im Garten proben, gibt Konzerte, lädt zu einem Mittelalterfest ein. Und man veranstaltet Workshops: Man töpfert, meißelt, zeichnet und trifft hier Künstler von Salzburg bis Kanada, von italienischen Kunstschulen aus Rom, Venedig, Mailand, Urbino, Verona. Auch der nahe Lago di Tenno mit seinen leuchtenden Grün- oder Blautönen mit einem Rundweg ist ein Anziehungspunkt für Ausflügler.
Und dazu gibt es Weinbegleitung: Wanderungen durch Weingärten, in denen die autochthone Nosiola-Traube wächst, spätreifend, mit wenig Säure. Sie leitet ihren Namen wahrscheinlich von dem Geschmack gerösteter Haselnüsse her, der da ein wenig mitschwingt. Die Nosiola kommt nur noch im Trentino vor und fühlt sich auf diesen steinigen Moränenböden besonders wohl. Übrigens muss sich diese Traube bei dem ständigen Wind bedanken, der ihre
Anfälligkeit für Mehltau wegbläst. Und der Welt den Vino Santo schenkt, einen Süßwein aus dem Valle dei Laghi. Dafür lässt man das Traubenmaterial auf Holzrosten im Wechsel von Pelér und Ora trocknen.
Am Samstag vor der Karwoche beginnt das Keltern mit einem feierlichen Ritual – im Trentino ist jeder Anlass zum Feiern willkommen – in Santa Massenza, für das eine 1958 gegründete Bruderschaft zuständig ist, zu der neun Winzer gehören. Weil der Vino Santo die längste natürliche Trocknungszeit aufweist, nennen ihn die Trentiner auch „passito dei passito“, den Süßwein unter den Süßweinen. Viel ist aus den fast ausgetrockneten Trauben nicht herauszuholen, die 80 Prozent ihres Gewichts verlieren. Der Wein muss dann auch noch sechs bis sieben Jahre in Eichenfässern ausgebaut werden, bevor er, in Flaschen abgefüllt, nochmals ebenso lang lagert: ein kostbarer Tropfen.
Vin Santo zum Käse
So ist ein junger Vino Santo eine Investition in die Zukunft. Die älteste noch erhaltene Flasche von 1925 soll übrigens mit großem Brimborium geöffnet werden – wieder ein Anlass für eine Feier. Dem Brauchtum nach sollen Schwerkranke vom Vino Santo einen Schluck nehmen. Gesunde sowieso – zum Käse oder zur Walnusstorte.
Auch Grappa wird aus Vino Santo destilliert. Den kann man nach einer Weinwanderung im Valle dei Laghi am besten in der
Cantina Toblino verkosten, nachdem man von Santa Massenza um den schilfreichen Toblinosee gewandert ist, vorbei am Castel Toblino in Madruzzo; ursprünglich ein antiker Tempel, einst eine Seefestung, später berühmt für seine Seidenraupenzucht, heute ein Genusstempel für Vino-Santo-Genießer.
Brokkoli mag Nordwind
Eine weitere „Weinbegleitung“führt an die gegenüberliegenden Hänge des Sarcatals zur Cantina Pisoni, wo die Familie seit 1852 nebst Vino Santo auch Rot- und Weißweine macht. Nicht nur biologisch, seit Neuestem auch biodynamisch. Wie auch immer, der Wohlgeschmack bleibt unverändert, wie auch die Temperatur in den uralten Kellergewölben, die man unbedingt besichtigen sollte.
Ein kurioser Nachtrag: Der Brokkoli gedeiht rund um Torbole dank Nordwind Pelèr von November bis Februar so prächtig, dass er zu einer Spezialität der Gegend wurde, nachdem findige Bauern ihn im 17. Jahrhundert von Verona hierherbrachten. Diesem „Sohn des Windes“werden alle möglichen und unmöglichen Wirkungen nachgesagt, und auch er ist ein Anlass zum Feiern: Beim Sagra del Broccoli di Torbole im Jänner kann man sich durch die Rezepte kosten und BrokkoliFelder besuchen. Wer das versäumt, dem bleiben noch das Olivenölfest, das Schokoladefest, das Mittelalterfest, das Drachenfest, das Tortellinifest, das Erntefest, das Weinfest, das Kartoffelfest, das Jazzfest...