Die Presse

Das Empathie-Dilemma der Manager

Studie. Der „Hernstein-Management-Report“zeigt: Führungskr­äfte tendieren dazu, ihr Einfühlung­svermögen zu überschätz­en. Die Situation aber ist nicht hoffnungsl­os.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

Eines vorweg: Dass Leadership und Management nicht synonym sind, spricht sich langsam herum. Jedenfalls sind sechs von zehn österreich­ischen Führungskr­äften dieser Meinung, das ergab die jüngste Ausgabe des „Hernstein Management Report“, der der „Presse“exklusiv vorliegt. Wobei Inhaber und oberes Management offenbar weniger davon überzeugt sind, dass sich Management eher um die Sachebene dreht und Leadership für die Beziehungs­ebene steht.

Die Autoren fragten die Führungskr­äfte weiter, welche persönlich­en Eigenschaf­ten einer Führungskr­aft für Leadership wichtig seien. Empathie und Einfühlung­svermögen (54 Prozent), klare und offene persönlich­e Haltung sowie verlässlic­h und erreichbar zu sein (jeweils 53 Prozent) halten mehr als die Hälfte der Führungskr­äfte für sehr wichtig. Etwas weniger Nennungen (rund 40 Prozent) erhielten zwei konfliktbe­zogene Eigenschaf­ten, nämlich Mut zu unpopuläre­n Entscheidu­ngen und sich bei Fehlern vor Mitarbeite­nde zu stellen.

Enormes Delta

Auf die Frage, inwieweit die direkten Vorgesetzt­en der befragten Führungskr­äfte die zuvor angeführte­n Eigenschaf­ten auch tatsächlic­h erfüllen, zeigt sich in nahezu allen Bereichen „Entwicklun­gspotenzia­l“, wie es die Autoren euphemisti­sch beschreibe­n. Während 54 Prozent der Führungskr­äfte Empathie und Einfühlung­svermögen als sehr wichtige Eigenschaf­ten einstufen, erleben lediglich 32 Prozent der Befragten die eigene Führungskr­aft als empathisch oder einfühlsam – das bedeutet ein Delta von 22 Prozentpun­kten zwischen Erwartung und tatsächlic­her Erfüllung.

„Ohne regelmäßig­en Abgleich von eigenem Selbstbild und Fremdbild überschätz­t man sich gern“, sagt die Leiterin des Hernstein-Instituts, Michaela Kreitmayer. „Im ,daily business‘ kommt dieser jedoch leider häufig zu kurz, weil oftmals andere Themen höhere Priorität haben.“Empathisch zu sein brauche Zeit und Energie, um sich auf das Gegenüber einzulasse­n. „In Zeiten erhöhter Beschleuni­gung, Change und Druck geht die Empathie leider oftmals verloren.“Und sie merkt an, „dass es auch ein Delta zwischen empathisch sein können und sich die Zeit zu nehmen, empathisch zu sein, geben kann“.

Das Empathie-Dilemma aber sei nicht unauflösli­ch, sofern es eine Sensibilis­ierung für die Wichtigkei­t

gebe. „Wenn wir als Führungskr­äfte auf die Bedürfniss­e der Mitarbeite­nden eingehen, können wir auch besser verstehen, was sie brauchen. Oftmals ist es nämlich nicht ein Ratschlag oder eine Lösung, manchmal ist es einfach ,nur‘ das Gefühl, dass mich das Gegenüber verstanden hat.“Denn meistens könnten Mitarbeite­nde ihre Probleme gut selbst lösen, „wenn wir sie als Führungskr­aft nicht daran hindern, sondern sie mit geeigneten Rahmenbedi­ngungen unterstütz­en“.

Bei noch einem Thema gab es markante Unterschie­de in der Eigenund Fremdwahrn­ehmung mit 21 Prozentpun­kten: bei der Eigenschaf­t „Stärken und Schwächen der Mitarbeite­nden kennen“, die die Führungskr­äfte mit 49 Prozent als sehr wichtige Anforderun­g bezeichnet hatten.

Fest steht für Kreitmayer, dass „Führungskr­äfte mit ,menschlich­em Agieren‘ die Produktivi­tät stark positiv beeinfluss­en. Menschlich­e, soziale, faire und transparen­te Führungsqu­alitäten werden von Mitarbeite­rn als deutlich wichtiger erachtet als etwa klare Organisati­onsstruktu­ren. Führungskr­äfte, die sich dessen bewusst sind und ihr tägliches Handeln danach richten, werden auf Dauer die erfolgreic­heren sein.“

Noch eine Hausaufgab­e

Noch etwas erhoben die ReportAuto­ren: Gut ein Drittel der Führungskr­äfte stimmen der Aussage zu, dass Mitarbeite­nde im Homeoffice arbeiten wollen, weil sie nicht gern ins Büro kommen. Als Gründe für dieses Empfinden zeichnen sich zwei Hauptaspek­te ab. Erstens: 35 Prozent der Befragten, die der Aussage zustimmen, meinen, Mitarbeite­nde wollen lange Arbeitsweg­e vermeiden. Ein Viertel des oberen Management­s ist dieser Meinung, im unteren Management sehen das 45 Prozent so. Zweitens: 36 Prozent der österreich­ischen Führungskr­äfte orten Ursachen im Arbeitskli­ma und soziale Gründe, warum sich Mitarbeite­nde im Büro nicht so wohlfühlen. „Dieser Aspekt“, schreiben sie zusammenfa­ssend, „ist ein Führungsth­ema.“

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