Angst vor Flächenbrand im Nahen Osten
Nach dem ersten direkten iranischen Angriff auf Israel erklärte das Regime in Teheran die Konfrontation für „beendet“. Doch Israels Regierung hat bereits einen Gegenschlag angekündigt.
Teheran/Ankara. Nach Irans Drohnen- und Raketenangriff auf Israel Sonntagnacht herrscht Hochspannung: Wie wird Israel reagieren? Kann ein großflächiger Konflikt verhindert werden? Die letzte iranische Rakete war gerade über Israel verglüht, da erklärte das Regime die Konfrontation mit dem jüdischen Staat für beendet. „Die Angelegenheit kann als erledigt betrachtet werden“, hieß es aus der iranischen UN-Botschaft.
Teheran ist aber klar, dass es nach dem ersten iranischen Angriff der Geschichte auf Israels Staatsgebiet eine militärische Antwort der Israelis geben muss. In Israel tagte am Sonntag das Kriegskabinett: Ex-Verteidigungsminister Benny Gantz kündigte eine Vergeltung an, ließ aber den Zeitpunkt offen. „Wir werden eine regionale Koalition bilden und den Iran zur Rechenschaft ziehen, zum richtigen Zeitpunkt und so, wie es für uns richtig ist.“Dazu Irans Generalstabschef Bagheri: Seine Armee werde einem israelischen Gegenschlag „eine viel größere Reaktion als die von heute Nacht“entgegensetzen.
Mehr als 300 Drohnen
Mit dem Abschuss von mehr als 300 Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern auf Israel wollte der Iran nach innen wie nach außen militärische Stärke demonstrieren. Verbündete wie die Hisbollah im Libanon und die Houthi-Rebellen im Jemen machten mit. Staatsmedien veröffentlichten Fotos und Videos von feiernden Regime-Anhängern im Iran, Irak, Libanon, Westjordanland. General Hossein Salami, Kommandant der iranischen Revolutionsgarde, lobte den Angriff als „Erfolg, der die Erwartungen übertroffen hat“. Dass es in Israel kaum Schäden und Verletzte gab, erwähnte er nicht.
Teheran hatte auf einen israelischen Luftangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus reagiert, bei dem Anfang April zwei iranische Generäle getötet wurden. Dabei verzichtete Teheran auf jeden Überraschungseffekt: Der Iran kündigte die Vergeltung seit zwei Wochen fast täglich an und entschied sich für die offensichtlichste Option – den Angriff aus der Luft. Die israelische Flugabwehr und die Verbündeten USA, Großbritannien, Frankreich und Jordanien waren vorbereitet und wehrten den Beschuss fast vollständig ab.
Dennoch sei der Angriff eine „gesichtswahrende Machtdemonstration“gewesen, sagt Ali Fathollah-Nejad, Gründungsdirektor der Berliner Denkfabrik CMEG, zur „Presse“. Teheran habe damit auf die wachsende Kritik aus den Reihen seiner regionalen Verbündeten reagiert: Bisher hatte man eine Konfrontation mit Israel vermieden und dies mit dem Schlagwort „strategische Geduld“begründet – doch proiranische Kämpfer im Irak und in anderen Ländern beklagten, sie müssten den Kopf dafür hinhalten.
Die Art des Angriffs legt nahe, dass Teheran nicht damit rechnete, Israel empfindlich treffen zu können. Der Iran schickte 185 Drohnen, 110 Raketen und 36 Marschflugkörper in Richtung Israel. Das bedeutet, dass mehr als die Hälfte der eingesetzten Waffen relativ billige und langsame Drohnen waren – leichte Beute für die Abfangjäger des Gegners: Die meisten Drohnen seien von israelischen und US-Kampfjets abgeschossen worden, bevor sie ihre Ziele in Israel erreichten.
Auch reichte die Gesamtmenge an Drohnen und Raketen bei Weitem nicht aus, um die israelische Luftabwehr durch einen Massenangriff zu überfordern. Die iranischen Militärs dürften das gewusst haben, denn die Hisbollah im Libanon stellt die israelischen Abwehrsysteme regelmäßig auf die Probe.
Für Teheran sei vor allem der Show-Effekt wichtig, sagt Arash Azizi, Iran-Experte der Clemson-Universität in den USA, zur „Presse“. „Das Regime kann sich jetzt zum Sieger ausrufen und Bilder von Raketen über der alAqsa-Moschee vorweisen“; die Moschee im Herzen Jerusalems ist eines der wichtigsten Heiligtümer des Islam. Doch konkret habe die Aktion wenig gebracht. „Es sah inszeniert aus, und womöglich hatten die Iraner den Amerikanern vorher Bescheid gesagt.“Irans Außenminister, Hossein Amirabdollahian, bestätigte dies indirekt : Teheran habe die USA darüber informiert, dass der Beschuss auf Israel „begrenzt“ausfallen werde und der Selbstverteidigung diene.
„Es ist klar, dass der Iran Stärke zeigen und auf den Angriff von Damaskus reagieren wollte, ohne den Konflikt weiter eskalieren zu lassen“, so Azizi. Ob das gelingt, war am Sonntag noch offen. Teheran warnte die USRegierung davor, sich an einem israelischen Militärschlag gegen den Iran zu beteiligen. In diesem Fall würden US-Stützpunkte in Nahost unter Beschuss genommen.
Iran ist militärisch schwach
General Bagheri schickte wohl diese Botschaft an Washington, weil der Iran militärisch zu schwach ist, um einen groß angelegten Angriff abzuwehren. Das Regime hat zwar viele Raketen, doch seine Flugabwehr ist schwach und die Luftwaffe veraltet. Israel hat dagegen die modernste Streitmacht in Nahost. Nach Irans Angriff könnten beide Rivalen einen Erfolg für sich reklamieren, meint Experte Fathollah-Nejad.
Der Iran könne darauf verweisen, dass er Israel eine Botschaft der Abschreckung geschickt habe, während Israel vermelden könne, dass die meisten Geschosse abgefangen wurden. „Solch eine Win-win-Situation könnte eine Deeskalation ermöglichen“: Viele Menschen in der Region hoffen das auch.