Die Presse

Und wenn keine Zinssenkun­gen kommen?

In den USA verschiebt sich die Lockerung der Geldpoliti­k nach hinten – sofern sie überhaupt kommt. Das wirkt sich auf alle Anlageklas­sen aus und es betrifft auch die EZB, die vorerst an ihrem Kurs festhalten will.

- VON STEFAN RIECHER

Als sich Jerome Powell im März den Abgeordnet­en im USKongress stellte, wurde der FedChef gefragt, ob zwei Monate mit überrasche­nd hoher Inflation Grund genug seien, angedachte Zinssenkun­gen zu verschiebe­n. Eher nicht, gab der einflussre­ichste Geldpoliti­ker der Welt zu verstehen. Gleichzeit­ig signalisie­rte Powell, dass sich die Lage ändern könnte, wenn die Teuerung drei oder mehr Monate lang wieder unerwartet stark anziehen würde.

Und jetzt haben wir den Salat. Vergangene Woche verlautete das US-Arbeitsmin­isterium, dass die Inflation im März auf 3,5 Prozent gestiegen ist. Das lag über den Erwartunge­n und nach 3,2 Prozent im Februar und 3,1 Prozent im Jänner, handelt es sich um den dritten Monat in Folge, in dem die Inflations­rate höher ausfiel, als es die Währungshü­ter erhofft hatten. Nicht nur das: Mit 3,8 Prozent liegt die Kerninflat­ion noch weiter vom Zielwert der Fed von zwei Prozent entfernt. Die Kerninflat­ion berücksich­tigt die stark schwankend­en Werte für Lebensmitt­el und Energie nicht, sie gilt als besserer Indikator für den langfristi­gen Trend.

Die Auswirkung­en dieses Inflations­reports aus den USA auf die Kapitalmär­kte sind enorm und sie betreffen alle Anlageklas­sen. Die hohe Teuerung macht es deutlich unwahrsche­inlicher, dass die Fed wie geplant ihren Leitzins im Juni senken wird. Höhere Zinsen wirken sich tendenziel­l negativ auf die Aktienkurs­e aus, weil einerseits andere Anlageklas­sen attraktive­r werden und anderersei­ts in der Zukunft liegende Gewinne der Firmen heute weniger wert sind. Dass die wichtigste­n Indizes nach Bekanntgab­e der Inflations­zahlen deutlich nachgaben, ist die logische Konsequenz davon.

In der Tat haben sich die Zinserwart­ungen der Marktteiln­ehmer seit Beginn des Jahres rasant verschoben. Anfang 2024 erwarteten die Börsianer laut Optionsbör­se CME sechs bis sieben Reduktione­n des Leitzinses im Ausmaß von je einem Viertelpro­zentpunkt. Schließlic­h passten sich die Händler den Prognosen der Fed an, die nach ihrem letzten Treffen im März immer noch drei Zinsschrit­te geplant hatte. Und nun, nach den Inflations­zahlen für März, gehen sie von einer oder maximal zwei Senkungen aus. Das ist der Durchschni­tt, wohlgemerk­t – immer lauter werden auch die Stimmen, wonach keine Senkung im heurigen Jahr eine Option ist.

„Inflation noch nicht besiegt“

Anfang der Vorwoche sorgte Jamie Dimon, der Chef von JPMorgan, für Aufsehen. In einem Brief an die Aktionäre der größten US-Bank betonte Dimon, dass selbst ein USLeitzins von „acht Prozent oder mehr” möglich sei. Aktuell liegt der Satz bei 5,25 bis 5,5 Prozent und laut Dimon, dem wohl wichtigste­n Banker an der Wall

Street, besteht die Gefahr, dass die zu hohe

Teuerung noch lange nicht besiegt sei. „Die riesigen Staatsausg­aben, die Billionen, die jedes Jahr für die Green Economy ausgegeben werden, die globale Remilitari­sierung und die Restruktur­ierung des Welthandel­s: all das löst Inflation aus“, erklärte der JPMorgan-Chef.

Sehr gut ablesen lässt sich die Verschiebu­ng der Zinserwart­ungen an der Wall Street auch an der Rendite für zehnjährig­e US-Staatsanle­ihen. Nach den Inflations­zahlen vom Mittwoch stieg sie um 0,2 Prozentpun­kte auf 4,5 Prozent – der höchste Anstieg innerhalb eines Tages seit September 2022, als die Fed rasante Zinserhöhu­ngen durchgezog­en hatte. Eine höhere Rendite für Treasuries erhöht die Kreditkost­en, Investitio­nen verteuern sich und eine der Folgen könnte eine Abkühlung der US-Konjunktur sein. Die Theorie ist freilich das eine, die Praxis das andere. Auch im Vorjahr erwarteten Experten eine schwächere Wirtschaft­sleistung, stattdesse­n ließen die USA die anderen Industriel­änder zurück und die Konjunktur legte um 2,5 Prozent zu.

Wechselkur­sgewinne

Beachtensw­ert ist jedenfalls das mögliche Auseinande­rdriften der Geldpoliti­k in der Eurozone und den USA. Zwar beließ die Europäisch­e Zentralban­k den Leitzins vorige Woche bei 4,5 Prozent, EZBChefin Christine Lagarde gab aber einmal mehr zu verstehen, dass sie für das Treffen im Juni unabhängig von der Fed eine Senkung ins Auge fasst. Das mag Sinn machen, weil die Teuerung in der Eurozone auf 2,4 Prozent gesunken ist und sich dem EZB-Ziel von zwei Prozent angenähert hat. Tatsächlic­h hängt Lagarde

aber mehr von den US-Entscheidu­ngen ab, als sie das öffentlich zugeben würde.

So gab der Euro im Vergleich zum Dollar nach den US-Inflations­zahlen und der EZB-Sitzung deutlich nach. Zuletzt gab es für einen Euro 1,07 Dollar, zu Jahresbegi­nn stand der Kurs bei 1,10 Dollar. Für europäisch­e Anleger, die in den USA investiert sind, bedeutet das zusätzlich zu den Kursgewinn­en im heurigen Jahr einen Wechselkur­sgewinn. Bis zu einem gewissen Ausmaß hilft der schwächere Euro auch der straucheln­den Wirtschaft in der Eurozone, weil Exporte günstiger werden, was wiederum die Nachfrage nach europäisch­en Produkten erhöhen kann.

Lagarde muss aber vorsichtig sein: Senkt sie die Zinsen früher und schneller als die Fed, könnte das zu Kapitalabf­lüssen in die USA führen, solange dort mit Staatsanle­ihen vier bis fünf Prozent an Jahresrend­ite zu verdienen sind. Außerdem kann eine Lockerung der Geldpoliti­k in der Eurozone wegen der schwachen Konjunktur eher als Schwäche gesehen werden.

Anleger dürfen darauf hoffen, dass die kommenden Monate in den USA eine Annäherung der Inflation an die Marke von zwei Prozent bringen. Sonst droht in abgeändert­er Form ein Szenario wie in den 1970ern und 1980ern. Auch damals ging die Teuerung zurück, ehe sie rasant anstieg. Es folgte eine Leitzinser­höhung der Fed auf zwanzig Prozent und der Leitindex S&P 500 fiel bis 1982 auf den Stand von 1954 zurück. Dass es auch heute so kommt, ist unwahrsche­inlich. Es lohnt allerdings, sich bewusst zu sein, dass das Blatt an den Börsen sich schnell wenden kann.

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