„Ich habe mich Schritt für Schritt freigemacht“
Der Ex-Investmentbanker Stefan Kainz sucht nicht mehr die größte Rendite, sondern den größten Impact. Sein Auto hat er verkauft, Flugreisen hat er abgeschworen. Der „Presse“verrät er, in welcher Währung er Milliardär werden will.
Sie waren Chef der Bawag PSK Invest, jetzt suchen Sie mit der Crowd-Invest-Plattform Klimja besonders die ökologische Rendite. Woher der Richtungswechsel?
Stefan Kainz: Meine Eltern waren selbständig, in den Ferien war ich meist bei meinen Verwandten auf dem Bauernhof. Ich habe beides mitbekommen, einen starken Fokus auf Leistung und eine enge Verbundenheit mit der Natur. Dieses Leistungsethos, dass ich nur etwas wert bin, wenn ich etwas leiste, hat mich während der Schulzeit, während des Studiums und dann auch in der Karriere stark geprägt. Ich habe praktisch aus Angst, ansonsten niemand zu sein, zuerst in der Unternehmensberatung und dann auch in der Finanzwirtschaft Karriere gemacht.
Wie wurden Sie diese Angst los?
Ich habe mich Schritt für Schritt freigemacht von Dingen, die eine Belastung waren. Es gab zum Beispiel ein prägendes Ereignis in meiner Familie. Wenn wir einkaufen waren, hat mein Sohn immer etwas bekommen. Einmal, als ich
gerade auf einem Projekt in Frankfurt war, hat er zu meiner Frau gesagt, dass er das Geld nicht ausgeben möchte, damit der Papa nicht so viel arbeiten muss. Das hat mich sehr beschäftigt. Ich habe mir deshalb einen Job gesucht, bei dem ich nicht so viel weg sein musste, und bin zur Bawag gegangen.
Wovon mussten Sie sich im Investmentbanking befreien?
Als nächstes habe ich mich von den Strukturen eines großen Unternehmens befreit und ging zum Fintech-Start-up Wikifolio. Dort war ich drei spannende und lehrreiche Jahre lang. Aber ich habe gemerkt, dass ich noch immer nicht bin, wo ich hingehöre. Der nächste Befreiungsschritt war ins Unternehmertum, ich habe mit zwei Partnern Start-ups und KMU in Marketing und Sales beraten. Und dann kam der erste Lockdown …
… und damit die Hinwendung zur Natur?
Corona war für viele Menschen eine Verlangsamung, für mich war es die hektischste Zeit meines Lebens. Die Kinder waren im Homeschooling. Die Hälfte der Kundinnen und Kunden haben ihre Projekte gestoppt, die andere Hälfte wollte gleich morgen mit einem ganz neuen Projekt starten, weil durch die Pandemie plötzlich alles anders war. Das ging mir an die Substanz und ich habe gespürt, dass es so nicht weitergehen kann. Mit mir nicht, aber auch nicht mit unserem Wirtschaftssystem, das durch ein Virus völlig ins Ungleichgewicht gestürzt werden kann. Zu meinem Fünfziger habe ich mir dann selbst eine Auszeit geschenkt und bin von meiner Heimatstadt Salzburg über die Alpen bis nach Triest an die Adria gewandert. Ich habe mich in den Bergen in die Natur verliebt und mir wurde klar, dass ich daran arbeiten will, diese schöne Natur für uns und folgende Generationen zu erhalten.
Kam dann der Schritt zum nachhaltigen Crowdinvesting?
Zuerst habe ich drei Viertel meines Kleiderschranks ausgemistet und gespendet. Wir haben dann auch unser Familienauto verkauft. Zum Crowdinvesting kam ich dann über Kontakte. Crowd4Climate, jetzt heißt es Klimja, hatte riesiges Potenzial und ich hatte gute Kontakte in die Finanz- und Beratungswelt.
Wer bei Klimja investiert, bekommt nicht nur eine finanzielle Rendite, Sie weisen auch eine ökologische und eine soziale Rendite aus. Aber ganz ehrlich: Die meisten investieren schon wegen des Geldes, oder?
Natürlich gibt es eine gewisse Erwartung an die finanzielle Rendite.
Viele unserer Projekte beispielsweise in Afrika haben keine andere Möglichkeit, als über Crowdinvestment zu gehen, weil es dort vielfach kaum Zugang zu Bankkrediten gibt. Aber die finanzielle Rendite ist längst nicht der einzige Grund, weshalb Menschen bei uns investieren. Wir weisen immer alle drei Renditen aus. Wenn bei herkömmlichen Investments die finanzielle Rendite positiv ist, die ökologische und soziale Rendite aber negativ sind, dann ist es mitunter ein schlechter Deal für den Planeten und die Gesellschaft.
Viele wichtige Stellschrauben im Kampf gegen den Klimawandel werden in der Politik gestellt. Reizt Sie die Politik?
Ich habe selbst Hochschulpolitik gemacht, aber fraktionslos und als Service für Studierende. Der parteipolitische Prozess würde mich aufreiben. Aber ich möchte die politische Entscheidungsfindung beeinflussen, zum Beispiel indem ich eine Community aufbaue, die im gesellschaftlichen Dialog ein Gewicht hat und aufzeigt, was eine gute, nachhaltige Geldanlage ist.
Insofern bleiben Sie der Welt des Geldes treu.
Die Finanzen sind ein riesiger Hebel, wenn es um den Erhalt der Natur geht. Wenn ich Geld auf einem Sparbuch habe, geht das auch an Unternehmen, die ich vielleicht gar nicht unterstützen möchte. Früher war ich ein Verfechter breit gestreuter ETFs, bis ich draufgekommen bin, dass 10.000 Euro in den MSCI World investierte Euro im Jahr rund fünf Tonnen an CO2Emissionen verursachen. Ich habe deshalb begonnen, mich von Aktien und Versicherungen zu trennen und habe mein Konto zu einer grünen Bank transferiert.
Die Renditen bei Klimja können sich sehen lassen. Wie hoch ist das Risiko?
Wir haben eine Ausfallquote von zwei Prozent. Unsere Investments bringen aktuell um die acht Prozent Rendite. Wir brauchen einen gewissen Risikoaufschlag, um den Ausfall einzelner Projekte zu kompensieren. Wenn Sie bei uns zum Beispiel gleiche Beträge in zehn Projekte investieren und zwei davon ausfallen, steigen Sie immer noch mit einer positiven Rendite aus. Und meiner Meinung nach wird das Risiko nichtnachhaltiger Investments unterschätzt. Fossile Konzerne mögen große Renditen abwerfen, aber es gibt immer die Gefahr, dass eine breite gesellschaftliche Bewegung den Ausstieg aus fossilen Energien beschleunigt und die Beteiligungen an diesen Unternehmen dadurch massiv an Wert verlieren.
Die ÖVP will eine Behaltefrist, nach welcher Anleger von der Kapitalertragssteuer befreit werden. Fänden Sie das sinnvoll?
Es wäre schön, wenn wir bewusst Anreize setzen für Investments, die unsere Lebensgrundlage und unsere Gesellschaft aufrechterhalten. Also ja, ich würde es begrüßen, wenn man zum Beispiel ImpactInvestments steuerlich begünstigt und auf Investments, die unsere Lebensgrundlage zerstören, eine Strafsteuer einhebt. Mehr Finanzbildung wäre auch ein wichtiger Hebel. Und es hilft, wenn man mehr über Geld spricht.
In dieser Interviewreihe spricht man über Geld …
… aber in Österreich ist dieser Glaubenssatz weit verbreitet, dass man über Geld nicht spricht. Wir merken bei Klimja, dass Crowdinvestingprojekte diesen Glaubenssatz aufweichen. Weil Sie erzählen eher nicht herum, wie viel Geld Sie in einem breit gestreuten Indexfonds stecken haben. Aber wenn Sie ein spannendes und nachhaltiges Projekt irgendwo in der Welt unterstützen, dann ist das vielleicht schon eine Geschichte, die Sie gern erzählen.
Wer sind Ihre Investoren?
Aktuell haben wir 5,6 Mio. Euro vermittelt. Pro Person sind das im Schnitt 4400 Euro auf durchschnittlich 2,2 Tickets. Jedes einzelne Investment liegt also im Schnitt bei 2000 Euro. Die Gruppe an Investoren ist sehr divers. Wir haben ganz junge Studierende, die mit wenigen 100 Euro anfangen. Unser ältester Investor ist 86 Jahre alt und hat es geschafft, sich auf unserer Onlineplattform zu registrieren und dort zu investieren. Im Schnitt sind unsere Investoren 48 Jahre alt, aber die Streuung ist extrem groß.
Welche Motive haben Ihre Investoren?
Auch hier ist das Bild divers. Viele schauen nicht auf die Renditen, sondern finden einfach ein konkretes Projekt schön. Viele suchen die finanzielle Rendite, wollen dabei aber etwas Gutes tun. Bisher investieren viele in einen Fonds und wenn Sie etwas Gutes tun wollen, spenden sie einen Teil der Rendite. Unser Ansatz ist, dass das Investment selbst Impact hat.
Sie haben mehrfach von Hebeln für eine nachhaltigere Wirtschaft gesprochen. Ein Hebel ist auch unser alltägliches Verhalten. Fliegen Sie zum Beispiel noch?
Nein, es würde mir physische Schmerzen bereiten, in ein Flugzeug zu steigen. Ich verurteile niemanden, der fliegt, und ich würde zum Beispiel auch in ein Flugzeug steigen, wenn ein Familienmitglied irgendwo in der Welt in Schwierigkeiten ist und mich braucht. Aber geplant ist, dass meine Reise 2023 nach Ostafrika meine letzte Flugreise war. Ich wollte für Klimja einmal auch vor Ort in Afrika sehen und spüren, welche Bedürfnisse und Herausforderungen unsere Projektpartner dort haben. Wenn ich eine Einladung nach Afrika bekomme, sage ich die ab.
Fliegt dann ein anderer Gesellschafter von Klimja stattdessen? Nein. Welche Ziele verfolgen Sie mit Klimja?
Ich will Milliardär werden. Aber nicht Euro-Milliardär, sondern sozialer Milliardär. Es geht darum, das Leben von Milliarden Menschen positiv zu beeinflussen. Geld ist dabei unser Hebel. Wir verfolgen eine Mischung aus Verantwortung und Unternehmertum. Um ein Zeichen in der Finanzwelt zu setzen, ist Klimja sozial orientiert. Unsere Optimierung geht nicht auf Geld, sondern auf Impact. Mein Leitspruch ist: Geld hat eine Seele. Wir wollen den Menschen helfen, ihr Geld zu reanimieren und wieder mit dieser Seele zu füllen.
Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie irgendwann wieder das Gefühl bekommen, sich von etwas befreien zu müssen?
Ich bin grundsätzlich sehr neugierig und immer bereit, mich auch zu verändern. Ich bin mir immer sehr mutig vorgekommen, weil ich bereit war, Wege zu gehen, wenn ich sie sehe. Dabei ist es gar nicht so mutig, Wege zu gehen, die es bereits gibt. Mutig ist, neue Wege zu gehen, um sie zu sehen. Aktuell fühle ich mich angekommen und wohl auf meinem Weg. Ich weiß, dass ich nichts darstellen muss, sondern einfach nur ich sein kann. Das gibt mir viel Sicherheit.