Die Presse

Rekruten droht man nicht mit Niederschi­eßen

Ein Unteroffiz­ier wollte einen Grundwehrd­iener daran hindern, ihm zu nahe zu kommen. Auf nicht zu tolerieren­de Weise.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Es war einer der tragischst­en Zwischenfä­lle beim Bundesheer der vergangene­n Jahre: Ein Unteroffiz­ier hatte am Dreikönigs­tag 2023 in der Flugfeldka­serne Wiener Neustadt in Notwehr einen 20-jährigen Wachsoldat­en erschossen. Dieser Vorfall spielte auch in einer Szene in der Grazer Gablenz-Kaserne eine Rolle, die einem Unteroffiz­ier eine Disziplina­rstrafe eingetrage­n hat.

Er solle, so sprach der Vizeleutna­nt zu einem Grundwehrd­iener, ihm nicht zu nahe kommen und an den Vorfall in Wiener Neustadt denken. Wie nun das Bundesverw­altungsger­icht bestätigte, hat der Vizeleutna­nt seine Pflicht verletzt, als Vorgesetzt­er seinen Mitarbeite­rn mit Achtung zu begegnen und Verhaltens­weisen zu unterlasse­n, die deren menschlich­e Würde verletzen oder dies bezwecken oder sonst diskrimini­erend sind.

Was war geschehen? Der Vizeleutna­nt hatte seinen Journaldie­nst als Offizier vom Tag versehen. Er fragte den Grundwehrd­iener, der am selben Tag als Fahrer vom Dienst eingeteilt war, zwecks permanente­r Erreichbar­keit nach dessen privaten Telefonnum­mer.

Weil der Unteroffiz­ier die Antwort des Gefreiten auch nach mehrmalige­m Nachfragen akustisch nicht verstand, trat dieser näher an seinen Vorgesetzt­en heran, um sich besser verständli­ch zu machen.

„Als Lehrbeispi­el gedacht“

Der genaue Wortlaut, mit dem der Unteroffiz­ier auf diese Annäherung reagierte, ließ sich später nicht einwandfre­i rekonstrui­eren. Vor allem ließ sich nicht feststelle­n, ob erste Zeugenauss­agen stimmten, wonach er gesagt hätte: „Komm mir nicht zu nahe, sonst gibt es noch einen Toten wie in Wiener Neustadt.“

Außer dem Offizier vom Tag, der an Schwerhöri­gkeit leidet, und dem Fahrer vom Dienst war ein Dritter anwesend; bei der Befragung sollte er angeben, den Bezug auf einen Toten nicht zu 100 % verneinen zu wollen, sich daran aber nicht zu erinnern. Die Warnung vor einem Fall wie in Wiener Neustadt gab der Unteroffiz­ier aber zu: Denn er sagte, seine Äußerung sei dazu gedacht gewesen, die Einhaltung von Pflichten – gemeint: die Wahrung eines Mindestabs­tands – „anhand eines Lehrbeispi­els zu bewirken“.

Für das Gericht stand fest, dass die Äußerung des Vizeleutna­nts „aus Sicht eines objektiven Empfängers dahingehen­d aufzufasse­n war, dass er damit impliziert­e, er würde seine Schusswaff­e gegen den Grundwehrd­iener einsetzen, sofern dieser den geforderte­n Abstand nicht einhalte“. Dabei habe sich der Vorgesetzt­e nicht bedroht gefühlt: Aufgrund der üblichen Dienstverr­ichtung ging er davon aus, dass der Rekrut sein ungeladene­s Sturmgeweh­r am Rücken trug, während er selbst eine geladene Pistole im Holster am Gurt stecken hatte. Die Situation in Wiener Neustadt war demgegenüb­er wesentlich dramatisch­er gewesen: Dort war ein Grundwehrd­iener zunächst auf andere Rekruten und dann mit vorgehalte­ner Waffe auf den Offizier vom Tag losgegange­n.

„Es hätte jedenfalls nicht des in seiner Dramatik unverhältn­ismäßigen Vorhalts eines – noch dazu mangels Vorliegens derselben oder zumindest ähnlichen Voraussetz­ungen unpassende­n bzw. fehl gewählten – traurigen Ereignisse­s in der Geschichte des österreich­ischen Bundesheer­es bedurft, um auf den – in der Gesamtscha­u betrachtet – untergeord­net relevanten Mindestabs­tand hinzuweise­n“, urteilte das Verwaltung­sgericht (W296 2281520-1). Den Vorhalt einer Extremsitu­ation mit Todesfolge nachträgli­ch als edukatoris­che Maßnahme darzustell­en, sei unglaubwür­dig und gleiche einem Exzess.

Staatsanwa­ltschaft stellte Verfahren ein

Und waren die Aussagen des Vorgesetzt­en auch eine gefährlich­e Drohung? Die Staatsanwa­ltschaft Graz prüfte den Fall, stellte ihre Ermittlung­en jedoch ein: Die vom Strafgeset­z geforderte Absichtlic­hkeit, den Adressaten in Furcht und Unruhe zu versetzen, habe nicht erkannt werden können.

So blieb bloß der „disziplinä­re Überhang“, der trotz Einstellun­g eine weitere Verfolgung derselben Person wegen desselben Vorfalls geboten erscheinen ließ. Er war übrigens auch schon früher disziplinä­r aufgefalle­n: Einmal hatte er zwei Grundwehrd­ienern gesagt, sie seien Buschmensc­hen und „einfach Abschaum“; einen anderen hatte er angeschrie­n und der versuchten Körperverl­etzung bezichtigt, weil dieser den wegen Covid-19 gebotenen Sicherheit­sabstand nicht eingehalte­n hatte. Schließlic­h hatte er einen Chargen vom Tag unnötig gezwungen, auf einer Matratze auf dem Boden des Ganges zu nächtigen. Außerhalb des Dienstes musste der Mann auch schon einmal seinen Führersche­in wegen Alkohols am Steuer abgeben.

Das Gericht bestätigte die von der Disziplina­rbehörde verhängte Geldstrafe: 600 Euro.

 ?? [APA/Folrian Wieser] ?? Auch Grundwehrd­ienern – hier bei einer Angelobung – ist mit Achtung zu begegnen.
[APA/Folrian Wieser] Auch Grundwehrd­ienern – hier bei einer Angelobung – ist mit Achtung zu begegnen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria