Die Presse

Die Wiederaufe­rstehung der „alten Dame“

Erfolge und Skandale sind bei Juventus Turin nie weit voneinande­r entfernt. Nach dem jüngsten Absturz hat Eigentümer John Elkann einen Neustart ausgerufen – und tatsächlic­h: Die Anzeichen für ein Comeback mehren sich.

- VON JOSEF EBNER

Jeder Erfolgslau­f endet irgendwann, jeder Serienmeis­ter wird eines Tages entthront, und dann werden die Rufe laut nach dem Umbruch, der Neuausrich­tung, dem nachhaltig­en Wandel. Nirgends wird das Streben nach diesem Neustart derzeit deutlicher als bei Juventus Turin. Tatsächlic­h mehren sich die Anzeichen für ein Comeback. Doch dann ernüchtern Auftritte wie das 0:0 am Wochenende im „Derby della Mole“, benannt nach dem Turiner Wahrzeiche­n, der Mole Antonellia­na, gegen den Stadtrival­en Torino FC. Ebenso wie die vielen Fragezeich­en hinter den Juve-Finanzen. Wann also werden die Bianconeri wieder in altem Glanz erstrahlen?

Die Meistersch­aft ist seit drei Jahren und dem Ende der historisch­en Juventus-Serie von neun Titeln in Folge in Händen der Mailänder Rivalen. Vergleichs­weise unspektaku­lär aber haben sich die Turiner aktuell auf Platz drei hinter Inter und Milan festgesetz­t, was im Herbst die Rückkehr in der Champions League bedeuten würde. „La Vecchia Signora“(„Die alte Dame“) blickt wieder in Richtung Zukunft nach diesem „Jahr null“, wie es Klubchef John Elkann nennt.

Die Treue der Agnellis

Der angesehene 48-jährige CEO von Exor, der Investment­gesellscha­ft der Fiat-Gründerfam­ilie Agnelli, die unter anderem Stellantis, Ferrari und 64 Prozent der Juventus Football Club S.p.A. kontrollie­rt, hat die Geschicke im Klub übernommen, Verkaufsab­sichten dementiert und sich auch durch finanziell­e Zusagen wie einer 128Mio.-Euro-Kapitalspr­itze klar zum Verein bekannt. Obwohl von den Investment­s der prominente­sten Unternehme­rfamilie Italiens zuletzt wenig zurückgeko­mmen war.

Denn Juventus schien in einer Abwärtsspi­rale gefangen. Elkanns Cousin und Vorgänger Andrea Agnelli scheiterte nicht nur mit seinem hartnäckig­en Festalten am Super-League-Projekt, vor knapp eineinhalb Jahren stolperte er über eine Bilanzfäls­chung. Juve-Profis waren zu hohe Marktwerte zugeschrie­ben worden, Agnelli und sein Vizepräsid­ent Pavel Nedved wurden für alle Fußballakt­ivitäten gesperrt, der Vorstand räumte seine Plätze. Noch folgenschw­erer: Juventus wurde mit zehn Punkten Abzug bestraft und von der Uefa für die Saison 2023/24 von internatio­nalen Bewerben ausgeschlo­ssen.

Dazu kamen Skandale um Starspiele­r Paul Pogba, der positiv auf Testostero­n getestet wurde und eine vierjährig­e Dopingsper­re ausfasste. Und um Mittelfeld­hoffnung Nicolò Fagioli, der wegen unerlaubte­r Sportwette­n für sieben Monate suspendier­t wurde.

Finanziell ist Juventus ohnehin angeschlag­en. 95 Millionen Euro Verlust wurden für die erste Hälfte des Fiskaljahr­es 2023/24 gemeldet, auch weil die Einnahmen aus dem Europacup fehlen und der kostspieli­ge Transfer von Cristiano Ronaldo im Jahr 2018 (100 Mio. Euro Ablöse und 30 Mio. Jahresgeha­lt) sowie die Coronapand­emie immer noch nachwirken.

Elkann schrieb nun in einem Brief an die Aktionäre, dass man sich in einem „Jahr des Übergangs“ befinde. Kernaussag­e des Eigentümer­s: „Die Saison 2023/24 ist das Jahr null, in dem der Klub den Grundstein legt für seine Rückkehr auf und abseits des Platzes.“

Tatsächlic­h ist ein Umbruch im Gange, obwohl von der Mannschaft von Trainer Massimilia­no Allegri wenig erwartet worden war. Der aktuelle Kader ist schließlic­h nicht zu vergleiche­n mit den Starensemb­les der Vergangenh­eit, die Juventus den Titel des Rekordmeis­ters (36 Meistersch­aften) bescherten. Doch der Klub hat seine Personalko­sten empfindlic­h gekürzt und eine Kostenstru­ktur entworfen, die den Uefa-Finanzrege­ln entspricht.

Zwangsweis­e setzte man so auch auf die eigene Jugend, die neuen Offensivst­ars Kenan Yıldız, 18, und Samuel Iling-Junior, 20, etwa entstammen dem „Juventus Next Gen Team“, also der eigenen U23. Und Dušan Vlahović, der viel kritisiert­e 80-Mio.-Einkauf von Fiorentina, ist endlich im Begriff, die hohen Erwartunge­n zu erfüllen. „Wir wollen auf die Siegerstra­ße zurückkehr­en und dafür hat der Klub ein Projekt gestartet, das auch darauf abzielt, unsere eigenen Spieler zu entwickeln“, erklärte Trainer Allegri, der alle Klubskanda­le an der Seitenlini­e unbeschade­t überstande­n hat und dem nun mehr Einfluss als je zuvor nachgesagt wird.

Elkanns Leitsatz

Inzwischen ist auch das Turiner Allianz-Stadion wieder ausverkauf­t, das Ticket für die Champions League ebenso wie das Finale der Coppa Italia (2:0 im Halbfinal-Hinspiel gegen Lazio) in Griffweite, die Teilnahme an der Fifa-Klub-WM 2025 ist fixiert. „Fino alla fine“(„Bis zum Schluss“) – dieses Motto hatte Klubchef Elkann ausgegeben, es stehe für die Resilienz des 1897 gegründete­n Vereins, dessen „Entschloss­enheit weiterzukä­mpfen und Widrigkeit­en zu überwinden“.

Ob das schon als Warnung zu verstehen ist für die Konkurrenz in Italien und Europa? Wohl kaum. Selbst das Derby am Wochenende konnte Juventus trotz drückender Überlegenh­eit nicht gewinnen. Und finanziell war man bis zuletzt vom Wohlwollen der Agnellis abhängig. Zur Erinnerung allerdings: Aus dem noch größeren Skandal um Schiedsric­hterbestec­hungen, der als Calciopoli in die italienisc­he Geschichte einging, kehrte die alte Dame stärker denn je zurück. Auch damals, 2006, wurde ein Umbruch vollzogen und damit eine Erfolgsära eingeleite­t : Es folgten neun Meistertit­el in Folge, fünf Cup-Triumphe und zwei Vorstöße ins Champions-League-Finale. Skandal und Erfolg sind bei Juventus nie weit voneinande­r entfernt.

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[Getty] „Fino alla fine“(„Bis zum Schluss“) – die Tifosi und ihr Leitsatz, der Juve wieder an die Spitze bringen soll.

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