Die Wiederauferstehung der „alten Dame“
Erfolge und Skandale sind bei Juventus Turin nie weit voneinander entfernt. Nach dem jüngsten Absturz hat Eigentümer John Elkann einen Neustart ausgerufen – und tatsächlich: Die Anzeichen für ein Comeback mehren sich.
Jeder Erfolgslauf endet irgendwann, jeder Serienmeister wird eines Tages entthront, und dann werden die Rufe laut nach dem Umbruch, der Neuausrichtung, dem nachhaltigen Wandel. Nirgends wird das Streben nach diesem Neustart derzeit deutlicher als bei Juventus Turin. Tatsächlich mehren sich die Anzeichen für ein Comeback. Doch dann ernüchtern Auftritte wie das 0:0 am Wochenende im „Derby della Mole“, benannt nach dem Turiner Wahrzeichen, der Mole Antonelliana, gegen den Stadtrivalen Torino FC. Ebenso wie die vielen Fragezeichen hinter den Juve-Finanzen. Wann also werden die Bianconeri wieder in altem Glanz erstrahlen?
Die Meisterschaft ist seit drei Jahren und dem Ende der historischen Juventus-Serie von neun Titeln in Folge in Händen der Mailänder Rivalen. Vergleichsweise unspektakulär aber haben sich die Turiner aktuell auf Platz drei hinter Inter und Milan festgesetzt, was im Herbst die Rückkehr in der Champions League bedeuten würde. „La Vecchia Signora“(„Die alte Dame“) blickt wieder in Richtung Zukunft nach diesem „Jahr null“, wie es Klubchef John Elkann nennt.
Die Treue der Agnellis
Der angesehene 48-jährige CEO von Exor, der Investmentgesellschaft der Fiat-Gründerfamilie Agnelli, die unter anderem Stellantis, Ferrari und 64 Prozent der Juventus Football Club S.p.A. kontrolliert, hat die Geschicke im Klub übernommen, Verkaufsabsichten dementiert und sich auch durch finanzielle Zusagen wie einer 128Mio.-Euro-Kapitalspritze klar zum Verein bekannt. Obwohl von den Investments der prominentesten Unternehmerfamilie Italiens zuletzt wenig zurückgekommen war.
Denn Juventus schien in einer Abwärtsspirale gefangen. Elkanns Cousin und Vorgänger Andrea Agnelli scheiterte nicht nur mit seinem hartnäckigen Festalten am Super-League-Projekt, vor knapp eineinhalb Jahren stolperte er über eine Bilanzfälschung. Juve-Profis waren zu hohe Marktwerte zugeschrieben worden, Agnelli und sein Vizepräsident Pavel Nedved wurden für alle Fußballaktivitäten gesperrt, der Vorstand räumte seine Plätze. Noch folgenschwerer: Juventus wurde mit zehn Punkten Abzug bestraft und von der Uefa für die Saison 2023/24 von internationalen Bewerben ausgeschlossen.
Dazu kamen Skandale um Starspieler Paul Pogba, der positiv auf Testosteron getestet wurde und eine vierjährige Dopingsperre ausfasste. Und um Mittelfeldhoffnung Nicolò Fagioli, der wegen unerlaubter Sportwetten für sieben Monate suspendiert wurde.
Finanziell ist Juventus ohnehin angeschlagen. 95 Millionen Euro Verlust wurden für die erste Hälfte des Fiskaljahres 2023/24 gemeldet, auch weil die Einnahmen aus dem Europacup fehlen und der kostspielige Transfer von Cristiano Ronaldo im Jahr 2018 (100 Mio. Euro Ablöse und 30 Mio. Jahresgehalt) sowie die Coronapandemie immer noch nachwirken.
Elkann schrieb nun in einem Brief an die Aktionäre, dass man sich in einem „Jahr des Übergangs“ befinde. Kernaussage des Eigentümers: „Die Saison 2023/24 ist das Jahr null, in dem der Klub den Grundstein legt für seine Rückkehr auf und abseits des Platzes.“
Tatsächlich ist ein Umbruch im Gange, obwohl von der Mannschaft von Trainer Massimiliano Allegri wenig erwartet worden war. Der aktuelle Kader ist schließlich nicht zu vergleichen mit den Starensembles der Vergangenheit, die Juventus den Titel des Rekordmeisters (36 Meisterschaften) bescherten. Doch der Klub hat seine Personalkosten empfindlich gekürzt und eine Kostenstruktur entworfen, die den Uefa-Finanzregeln entspricht.
Zwangsweise setzte man so auch auf die eigene Jugend, die neuen Offensivstars Kenan Yıldız, 18, und Samuel Iling-Junior, 20, etwa entstammen dem „Juventus Next Gen Team“, also der eigenen U23. Und Dušan Vlahović, der viel kritisierte 80-Mio.-Einkauf von Fiorentina, ist endlich im Begriff, die hohen Erwartungen zu erfüllen. „Wir wollen auf die Siegerstraße zurückkehren und dafür hat der Klub ein Projekt gestartet, das auch darauf abzielt, unsere eigenen Spieler zu entwickeln“, erklärte Trainer Allegri, der alle Klubskandale an der Seitenlinie unbeschadet überstanden hat und dem nun mehr Einfluss als je zuvor nachgesagt wird.
Elkanns Leitsatz
Inzwischen ist auch das Turiner Allianz-Stadion wieder ausverkauft, das Ticket für die Champions League ebenso wie das Finale der Coppa Italia (2:0 im Halbfinal-Hinspiel gegen Lazio) in Griffweite, die Teilnahme an der Fifa-Klub-WM 2025 ist fixiert. „Fino alla fine“(„Bis zum Schluss“) – dieses Motto hatte Klubchef Elkann ausgegeben, es stehe für die Resilienz des 1897 gegründeten Vereins, dessen „Entschlossenheit weiterzukämpfen und Widrigkeiten zu überwinden“.
Ob das schon als Warnung zu verstehen ist für die Konkurrenz in Italien und Europa? Wohl kaum. Selbst das Derby am Wochenende konnte Juventus trotz drückender Überlegenheit nicht gewinnen. Und finanziell war man bis zuletzt vom Wohlwollen der Agnellis abhängig. Zur Erinnerung allerdings: Aus dem noch größeren Skandal um Schiedsrichterbestechungen, der als Calciopoli in die italienische Geschichte einging, kehrte die alte Dame stärker denn je zurück. Auch damals, 2006, wurde ein Umbruch vollzogen und damit eine Erfolgsära eingeleitet : Es folgten neun Meistertitel in Folge, fünf Cup-Triumphe und zwei Vorstöße ins Champions-League-Finale. Skandal und Erfolg sind bei Juventus nie weit voneinander entfernt.