Michael Strasser steht vor seiner härtesten Prüfung
Er radelte zu Fabelweltrekorden, nun will es die Kämpfernatur nach einem schweren Unfall noch einmal wissen.
Am 3. Juni 2022 wurde seine Welt auf den Kopf gestellt. Als Michael Strasser an jenem Tag – mit nagelneuem Rad – eine Ausfahrt vor seiner Haustür in Wien Alsergrund machte, wurde er von einem Lkw erfasst. Körperlich blieb er wie durch ein Wunder nahezu unverletzt, seelisch wirkt der Unfall bis heute nach.
„Dieses Erlebnis, dass ich vor zwei Jahren beinahe tödlich verunglückt wäre, ist nach wie vor omnipräsent in meinem Kopf. Ich befinde mich zwar schon seit eineinhalb Jahren in Psychotherapie, aber es ist nach wie vor nicht überwunden“, gab der inzwischen 40-jährige Extremsportler im Gespräch mit der „Presse“tiefe Einblicke. Und gerade deshalb steht er nun unmittelbar vor seinem nächsten, wohl härtesten Projekt.
Wieder ganz alleine
Allzu viel will der gebürtige Niederösterreicher zwar nicht darüber verraten („lieber zuerst performen und hinterher darüber reden“), doch es wird mitunter – aber nicht ausschließlich – jenes Sportgerät zum Einsatz kommen, das bei seinem Unfall komplett zerstört wurde. „Das Rad wird dabei sein. Bei diesem Projekt wird es erstmals wieder so sein, dass ich ganz alleine Nächte durchfahren muss – ohne Team, ohne dass mich jemand unterstützt. Das wird sicher die erste Prüfung für meinen Kopf sein, ob ich in der Therapie schon so weit bin, das zu schaffen.“Was es für die Verwirklichung seines Vorhabens außerdem braucht? „Ein gutes Wetterfenster.“In rund zehn Wochen könnte sich ein solches auftun.
Eine kürzlich erlittene Verletzung soll den Inhaber zahlreicher Weltrekorde jedenfalls nicht an seinem Vorhaben hindern. Vor etwas über fünf Wochen zog sich Strasser einen Innenbandriss im Knie zu. „Nachdem ich mir das gerissen habe, konnte ich tatsächlich einen Tag nichts machen, weil es extrem geschwollen war. Aber am zweiten Tag bin ich schon wieder drei Stunden am Rad gesessen“, verriet der. „Es gibt immer einen Weg, wenn man will.“
Mit genau dieser Einstellung hat sich der Architekturstudiumabsolvent einen Namen in der Welt des (Extrem-) Sports gemacht – obwohl er sich selbst nicht als Extremsportler sieht. „Weil ich das mittlerweile im 18. Jahr betreibe und es eigentlich nie Phasen gegeben hat, in denen ich nicht trainiert habe“, erklärte Strasser. „Vielleicht war ich mal eine Woche krank, aber das kann man an einer Hand abzählen. Diese ganze Leistung ist über so einen langen Zeitraum entstanden, dass ich meinen Körper mit dem, was ich mache, einfach nicht schädige.“
Seine leistungssportliche Karriere begann der Vater eines 21 Monate alten Sohnes im Triathlon, nach weiteren Projekten, unter anderem
Ich befinde mich schon seit eineinhalb Jahren in Psychotherapie, aber es ist nach wie vor nicht überwunden.
Michael Strasser über seinen Radunfall
im Skibergsteigen, folgten seit rund zehn Jahren vorrangig Radtouren. In knapp über 13 Tagen durchquerte Strasser 2013 Russland (9208 Kilometer), für eine Afrika-Solofahrt von Kairo nach Kapstadt (10.665 Kilometer) benötigte er 2016 etwas mehr als 34 Tage.
Nach Amerika kommt Wien
Seine bislang größte Unternehmung war „Ice2Ice“2018. Von Alaska bis in den Süden Argentiniens radelte Strasser knapp 23.000 Kilometer (und 168.000 Höhenmeter) durch den amerikanischen Kontinent. Das Ziel erreichte er nach 84 Tagen und zwölf Stunden – zwei Wochen schneller als der bisherige Weltrekord. „Solch extreme Projekte sind für mich in erster Linie ein Kampf gegen mich selbst“, sagt Strasser. Er sei ohnehin nicht „der klassische Eventsportler“, setze sich seine Ziele lieber selber und verstehe es, seine Motivation von innen heraus zu gewinnen.
Publikum als Ansporn brauche der Niederösterreicher dementsprechend nicht. Eine Ausnahme stellt jedoch der Wings for Life World Run dar. Strasser lässt es sich nicht nehmen, am 5. Mai (Start des Flagship Runs in Wien um 13 Uhr, live Servus TV) bei jenem Event mitzulaufen, dessen Kernziel die Generierung von Einnahmen für die Rückenmarksforschung ist.
Dass er sich da bewusst kein Ziel gesetzt hat, tut ihm laut Eigenaussage gut. Denn durch seinen Bekanntheitsgrad würde er inzwischen sogar im Training unter einem ihm auferlegten Erfolgsdruck „leiden“. „Es gibt natürlich hochintensive Trainings, aber man muss auch Trainings machen, die sehr locker sind. Und wenn ich in der Wiener Region locker Rad fahre, will jeder, der mich trifft, Rennen fahren“, berichtet Strasser, der sich deshalb auf weniger frequentierten Strecken „verstecken“würde.
Auch das Alter geht nicht spurlos an ihm vorbei. „Ich werde bald 41 – das merke ich“, sagt der Extremsportler. Er sei zwar sehr fit, „aber mit 20-jährigen Burschen brauche ich mich sicher nicht mehr messen“. Dazu müsse er mehr und mehr Wert auf Ruhephasen (zwischen zweimal Training pro Tag) legen. „Wobei eine Ruhepause bei mir so aussieht, dass ich im Büro sitze und Buchhaltung mache.“
Ob Strasser dort auch noch hin und wieder seiner ehemaligen Leidenschaft als Architekt nachgeht? „Nein“, lacht er. „Das Einzige, was ich mit meinem Studium gemacht habe, ist, dass ich den Plan für meinen eigenen Balkonzubau gezeichnet und eingereicht habe. Sechs Jahre studieren für einen Plan – auch nicht schlecht.“