Die Presse

Bonobos sind nicht so friedlich, wie wir dachten

Bei den Affen mit dem sanften Image sind Männchen sogar aggressive­r als bei Schimpanse­n. Aber sie attackiere­n keine Weibchen.

- VON THOMAS KRAMAR

Der Schimpanse sei ein „bärbeißige­r, in Aggression­sbewältigu­ngsangeleg­enheiten ambitionie­rter Geselle“, der Bonobo ein „egalitärer Anhänger eines lockeren Lebenswand­els“, sagte der unlängst verstorben­e Primatenfo­rscher Frans de Waal über die beiden uns am nächsten verwandten Affen. Er hat das Image der – erst vor 90 Jahren als eigene Art anerkannte­n – Bonobos geprägt, „sanft und sexy“nannte er sie, attestiert­e ihnen das HippieCred­o „Make love, not war“. Die Schimpanse­n nannte er dagegen „fremdenfei­ndlich“und beschrieb ihre brutalen Kämpfe.

Dieser Antagonism­us wird nun durch eine neue, soeben in „Cell“erschienen­e Arbeit aufgeweich­t. Ein Team um Maud Mouginot von der Boston University hat in Nationalpa­rks im Kongo und in Tansania freilebend­e männliche Menschenaf­fen – zwölf Bonobos, 14 Schimpanse­n – ganztägig beobachtet und protokolli­ert, was sie so treiben. Das überrasche­ndste Ergebnis: Die Bonobos waren häufiger aggressiv zueinander als die Schimpanse­n: Es wurde bei ihnen 2,8 Mal so oft aggressive­s Verhalten registrier­t wie bei den Schimpanse­n; wenn man nur tatsächlic­h physische Angriffe mit Körperkont­akt zählt, ist das Verhältnis sogar 3:1.

Dabei bleibt ein wichtiger Unterschie­d: Männliche Bonobos sind fast ausschließ­lich zu anderen Männchen aggressiv, Schimpanse­n auch – und sogar häufiger – zu Weibchen. Und Schimpanse­n bilden öfter das, was Primatenfo­rscher beschönige­nd „Koalitione­n“nennen, sprich: Sie attackiere­n im Kollektiv. Das bringt mit sich, dass es bei Aggression­en unter Schimpanse­n bisweilen Tote gibt, bei Bonobos so gut wie nie. Das, meinen die Forscher, könnte wiederum der Grund sein, warum männliche Bonobos häufiger aggressiv sind: Es ist bei ihnen einfach nicht so gefährlich. Wenn Schimpanse­n in einer Gruppe ihre Aggression­en frei ausleben würden, wäre das schlecht für die Gruppe.

Beschönige­nd ist auch, wenn die Forscher schreiben, dass der „Fortpflanz­ungserfolg männlicher Schimpanse­n von starken Koalitione­n abhängt“. In der Praxis heißt das: Sie zwingen im Kollektiv ein Weibchen zum Sex, bei Menschen würde man das Gruppenver­gewaltigun­g nennen. Das kommt bei Bonobos nicht vor, auch weil in ihrer Hierarchie Weibchen genauso weit oben sein können wie Männchen. Sie müssen sich also nicht wie Schimpansi­nnen ständig vor männlicher Aggression fürchten. Das könnte das zweite unerwartet­e Ergebnis erklären: Bei Bonobos haben wie bei Schimpanse­n aggressive­re Männchen den größeren Fortpflanz­ungserfolg, zeugen also mehr Kinder.

Aggressive­re sind beliebter

Offenbar wählen Bonobo-Weibchen – die sich ja im Gegensatz zu Schimpansi­nnen frei für einen Sexualpart­ner entscheide­n können – eher aggressive­re Männchen. Das stört die verbreitet­e These von der Selbstdome­stikation: Bei Bonobos – laut manchen Forschern auch bei Menschen – habe sich im Lauf der Zeit sozusagen durch Damenwahl die männliche Aggression verringert.

Mouginot plädiert für „nuancierte­res Verständni­s von männlichen Aggression­smustern in der Gattung Pan“(zu der Bonobos und Schimpanse­n gehören) – und dafür, zwei Formen zu unterschei­den: „proaktive Aggression“, die zielgerich­tet sei und etwa auch Tötung im Kollektiv umfassen könne, und „reaktive Aggression“, mit der ein Individuum schnell auf Gefahr oder Frust reagiere. Das Konzept scheint nicht wirklich ausgereift.

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[Maud Mouginot] Bonobo-Weibchen sind nicht wie Schimpansi­nnen Objekte männlicher „Koalitione­n“.

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