Schillers „Maria Stuart“wird im TAG zum Spionage-Thriller
Hausherr Gernot Plass hat im Theater an der Gumpendorfer Straße frei nach dem Klassiker über die Tudor-Zeit Hochspannung erzeugt.
Es wurde gerührt und geschüttelt bei dieser Uraufführung am Samstag in Wien. Ergo musste vor der Enthauptung der Stuart-Königin Maria (Lisa Schrammel) auch eine direkte Anspielung auf den britischen Meisterspion James Bond kommen. Die anglikanische Tudor-Königin Elisabeth (Michaela Kaspar) fühlt sich von der von ihr seit Jahren gefangen gehaltenen katholischen Konkurrentin aus Schottland bedroht, will aber nicht für ihren Tod verantwortlich gemacht werden.
Deshalb gibt sie dem Stürmer und Dränger Mortimer (Raphael Nicholas) indirekt den Auftrag, Maria zu beseitigen. (Sie weiß noch nicht, dass der ein jesuitischer Doppelagent ist, der die Verurteilte retten will.) Und schon ist die „Lizenz zum Töten“beinahe ausgesprochen, wie im Kino. Auch auf Elisabeths Favoriten Leicester (Markus Hamele) trifft zu, dass er als „Doppelnull“im Stile des Geheimagenten 007 agiert. In diesem Stück riskanter Staatsaktionen sind alle verdächtig.
Der Hausherr im Theater an der Gumpendorfer Straße (TAG), Gernot Plass, geht bei seiner Inszenierung von „Maria Stuart“recht frei mit dem Text des klassischen deutschen Trauerspiels von 1800 um, bereitet es zeitgemäß auf. Das galt aber zum Teil auch schon für Friedrich Schiller, der Revolutionen zugeneigt war. Er erfand zum Beispiel die Figur des Mortimer. Im Prinzip aber hielt er sich an die Historie, die 1586/87 in England spielte. Im Kern bleibt auch Plass nah dran an der Geschichte und betont, ganz im Geiste des Originals, ihre Rasanz und Brisanz; Glaubenskämpfe, Nationenbildung, das Diabolische der Macht. Schiller hat, so behaupten manche Germanisten, eine „Rettung“des Rufes von Maria Stuart intendiert. Bei Plass wird niemand gerettet. Fast alle hier am Hofe sind intrigant, je höher, desto eher.
Eine Hexenjagd als finsteres Vorspiel
Die erste Szene beginnt im Dunklen auf der, wie im TAG üblich, funktional gestalteten Bühne (Alexandra Burgstaller), mit einfachen, verschiebbaren Elementen, die jeweils neue Räume schaffen. Nebel kommt auf. Eine Menge Lords hat sich versammelt, um Maria zu verurteilen. Sie inszenieren eine finstere Hexenjagd als Vorspiel. Erst dann sieht man die erste Szene von Schillers Tragödie; Paulet (David Fuchs), der Bewacher von Maria auf dem Schloss zu Fotheringhay, streitet mit Marias Amme Kennedy (Emese Fáy) um Schmuck und versteckte Briefe, die er als Beweismittel für weitere Verschwörungen sichert. Der Dialog verläuft hier noch drängender als bei Schiller. Es geht Schlag auf Schlag. Maria und Mortimer kommen dazu, noch mehr Tempo! Pressing wie bei einem guten Fußballspiel. Ja, auch diese Sportart wird hier anachronistisch eingebaut. England gegen Frankreich! Und schon ist in London die Abseitsregel erfunden!
Das seit Jahren eingespielte TAG-Ensemble beherrscht rasches Wechselspiel, Konter. Es fällt kaum auf, dass vier von den acht Darstellenden höchst wandlungsfähig in neun Rollen schlüpfen. Neben Schrammel und Kaspar sind nur noch Jens Claßen als Großschatzmeister Burley, der aus Staatsräson zur Hinrichtung drängt, und Georg Schubert als mäßigender Graf Talbot auf jeweils eine Figur beschränkt. Die entfalten sie komplex.
Sie alle entwickeln in zwei Stunden eine große Haupt- und Staatsaktion. Schrammel darf als ihr Hauptopfer immer wieder auch mit Pathos aufwarten, das bis zur Rührung an der Rampe reicht. Kaspar gibt die erfolgreiche Gegenspielerin mit höchster Raffinesse. Ach, wie diese Königin unter der eigenen
Macht leidet! Wie sie quasi als Schutzflehende mit ihren Untertanen verkehrt, um sie im nächsten Augenblick zu Schoßhündchen zu degradieren. An ihrem Hofe möchte man lieber kein Gesandter aus Paris oder gar ein suspekter Indigener aus dem Norden sein.
Das wendige Schoßhündchen
Ein Paradebeispiel für heikle Abhängigkeitsverhältnisse bietet Hamele als Elisabeths devoter, einst intimer Vertrauter, der die anderen stets spüren lässt, wie nah er an der Macht sei, selbst als er schon ins Out driftet. Leicester geht als schnöseliger Wendehals ins Exil. Jugendliches Ungestüm verbreitet Nicholas, kontrastiert durch Fuchs, der als Mortimers Onkel geradlinig den willigen Vollstrecker gibt. Das Leid der Untergebenen drückt Fáy in zweierlei Gestalt recht fein aus. Erst spielt sie die empörte Amme, die sich schützend vor Maria stellt, dann wird sie zu Elisabeths Staatssekretär Davison, der ihr als Sündenbock dient. Und Schubert vermittelt glaubhaft, dass Integrität und moralisches Verhalten bei Hofe wenig zählen. Sein direkter Gegenspieler ist Claßen. Der verkörpert famos den Realpolitiker an sich. Solche Typen kennen wir doch alle zur Genüge!