Die Presse

Schwarz, die Farbe der Hoffnung

Oscar Murillo und Rene Matić, kolumbiani­scher Kunststar und Londoner Aufsteiger­in, lassen uns Schwarz sehen: In ihrer Schau „ Jazz“deuten sie das Dunkle um.

- VON SABINE B. VOGEL

Schwarz, das ist in unserer Kultur die Farbe der Trauer, des Verborgene­n oder sogar des Unheimlich­en. Schwarz ist die Abwesenhei­t von Licht. In der Kunsthalle Wien erhält Schwarz jetzt eine neue Bedeutung: „Wir sind alle aus der Dunkelheit geboren“, erklärt Oscar Murillo. Er stellt zusammen mit Rene Matić in der großen oberen Halle im Museumsqua­rtier aus. 1986 in Kolumbien geboren, verdiente er sich sein Kunst-Studium in London als Reinigungs­kraft. Heute gehört Murillo zu den großen Kunstmarkt­stars. Seine abstrakt-gestischen Gemälde werden weltweit gehandelt. Die 1997 in London geborene Rene Matić dagegen ist weitgehend unbekannt. Bisher. Denn zusammen ist ihnen unter dem Titel „Jazz“eine gewaltige, betörende Schau gelungen.

Die beiden schaffen es, die sperrige Halle mit wenigen Bildern, Videos und Sound in einen fast sakralen Raum zu verwandeln. Das beeindruck­t umso mehr, als sich beide vorher nicht kannten. Murillo hatte von der Kuratorin Laura Amann eine Liste mit möglichen Partnern für die Dialog-Ausstellun­g erhalten – und entschied sich sehr schnell für Matić. „Wir waren in einem früheren Leben zusammen“, fasst Matić die Magie ihrer Begegnung in Worte. Formal-ästhetisch höchst verschiede­n, fanden sie schnell einen „gemeinsame­n Rhythmus“, wie sie es nennt – kommt daher der Titel „Jazz“?

Darunter sollte man sich jedenfalls keinesfall­s eine Schau über oder mit Musik vorstellen. Matić bezieht sich in ihrem Konzept auf die schwarze Sängerin und Tänzerin Josephine Baker, die 1928 einen Skandal in Wien auslöste. Die Kirche warnte damals sogar vor den „verführeri­schen Auftritten“, wie im Pressetext zitiert wird – und ließ die Glocken läuten, um die „armen Seelen“zu schützen. Das greift Matić in ihrer Soundinsta­llation auf: In der Kunsthalle hören wir abwechseln­d zwei Glocken, die sich langsam und beharrlich in die Wahrnehmun­g drängeln.

Schwarze Stoffe als „Bilder“

Fast wähnen wir uns in einer Kirche. Das Halbdunkel des Raumes spräche dafür, verstärkt durch all die von der Decke und an den Wänden hängenden schweren, schwarzen Stoffe. „Bilder“nennt es Murillo, man kann sparsame Farbspuren entdecken. Die massiven schwarzen Flächen wirken wie ein Labyrinth. Manchmal sind darauf Matićs fast abstrakte Körper-Fotografie­n in Leuchtkäst­en platziert. In der Mitte laufen zwei ihrer Videos, schnelle Abfolgen von Worten und ein berührende­r, einsamer Ausdruckst­anz aus einem diffusen Dunklen heraus und wieder zurück. „Renes Werke sind das Zentrum der Ausstellun­g“, betont Murillo.

Am Rand läuft ein Fries seiner roten Übermalung­en, die er „Geisterfel­der“betitelt. Dahinter als Tapeten umfunktion­ierte Schülerzei­chnungen. Seit 2013 arbeitet Murillo mit Schulklass­en überall in der Welt, bespannt ihre Tische mit Leinwänden und lässt sie zeichnen, was immer sie wollen. Es seien oft unbewusste Spuren verschiede­ner Kontexte und Kulturen, erklärt er: „Rot hat in Singapur eine andere Bedeutung als in Wien. Oder im Nahen Osten.“

„Jazz“ist keine Kirche. Auch keine Hommage an Baker oder an einen Musikstil. Es ist ein Raum voller spirituell­er Energie. Das entspricht auch Murillos Definition von Schwarz: Diese Farbe sei der Beginn des Lebens, sagt er. Jeden Samen, den wir säen, würden wir ins Dunkle stecken. Darum sei Schwarz eine Farbe der Hoffnung. Das ist eine eigenwilli­ge Interpreta­tion von dem Künstler, der sonst kaum so manifest über seine Werke spricht. Im Gegenteil: Murillo lässt gern alles offen. Die schwarzen Leinwände nennt er „eine Architektu­r für Mögliches“, zum Flirten, für Gespräche, zum Zusammenko­mmen. Und den Titel „Jazz“nennt er „eine Form des Widerstand­s“. Der Baum vorn auf dem Bild im Eingang sei ein Bild „der Hoffnung in dieser katastroph­alen Situation“– die sie nicht näher bestimmen wollen. Könnte man dann doch all die schwarzen Bilder als Trauer lesen, das Rot als Blut? Das überlassen sie uns, aber eigentlich gehe es hier um Hoffnung.

 ?? [Tim Bowditch/Reinis Lismanis, Courtesy Oscar Murillo] ?? Fotografie­n in einem schwarzen Labyrinth: Ausstellun­gsansicht aus „Jazz“.
[Tim Bowditch/Reinis Lismanis, Courtesy Oscar Murillo] Fotografie­n in einem schwarzen Labyrinth: Ausstellun­gsansicht aus „Jazz“.

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