Das Gerangel um die Listenplätze
In den Parteien macht sich Nervosität breit: Der Kampf um die Listenplätze hat eingesetzt – vor allem in jenen Fraktionen, die mit Verlusten zu rechnen haben. Ein Überblick.
71 Abgeordnete zählt der Nationalratsklub der ÖVP – bis jetzt. Denn den Türkisen, die 2019 noch auf 37,5 Prozent gekommen waren, könnte der Großteil abhandenkommen. Umfragen prognostizieren ein Minus von zumindest 20 Mandaten – mancher Funktionär geht sogar von noch mehr aus. Aus der ÖVP ist zu hören, dass der Kampf um die besten Listenplätze längst begonnen hat. Manche sprechen das sogar offen aus, zum Beispiel der 2017 in den Nationalrat quereingestiegene Psychoanalytiker Martin Engelberg: In einem YouTube-Video, aufgenommen unlängst im leeren Plenarsaal des Parlaments, berichtete Engelberg, dass die drohende Halbierung des Klubs dort „natürlich eine entsprechende Unruhe auslöst“. Engelberg: „Es sind schon ziemlich heftige Kämpfe um die Plätze ausgebrochen.“Der Zustand der ÖVP sei „schwierig“, er erwarte sich „neue Impulse aus der Partei“und so fort. Und: „Ich glaube, es braucht auch jemanden wie mich“, warb der Abgeordnete.
Für die Quereinsteiger der Kurz-Ära ohne politische Hausmachten ist der Kampf um vordere Listenplätze besonders schwer – etliche von ihnen werden dem nächsten Nationalrat nicht mehr angehören. Schließlich gibt es mehrere Parteikaliber, die auf vorderen Plätzen der Bundesliste abgesichert werden müssen. Der Druck aus den Landesparteien und Bünden ist groß, denn vor allem die Zahl der über Landeslisten eingezogenen Mandatare dürfte massiv sinken; so hat etwa selbst U-Ausschuss-Frontmann Andreas Hanger derzeit noch kein Fixmandat. Mehrere ÖVP-Landeslisten sind bereits beschlossen, in Niederösterreich wird sie etwa von Innenminister Gerhard Karner angeführt, in Vorarlberg von Finanzminister Magnus Brunner. Die Bundesliste soll erst nach der EU-Wahl im Juni fixiert werden.
In der SPÖ hinterlässt die Vorsitzendenwahl im Vorjahr weiterhin Spuren. Das Partei-Establishment fremdelt noch mit dem neuen Parteichef, Andreas Babler, und lässt ihn das bei der Listenerstellung spüren. Bestes Beispiel: Die niederösterreichischen Genossen haben Babler einen Platz auf der Landesliste verwehrt – was in der Partei absolut ungewöhnlich ist. Pamela Rendi-Wagner, Christian Kern und Werner Faymann sind selbstverständlich in Wien Nummer eins gewesen, Alfred Gusenbauer in Niederösterreich. Einen sicheren Platz im Nationalrat wird Babler natürlich trotzdem haben, der Bundesparteirat wird ihn am 27. April auf Platz eins der Bundesliste setzen.
Auch die Wiener Genossen haben den eher unfreundlichen Akt gesetzt, Julia Herr, immerhin stellvertretende Klubchefin und eine der wichtigsten Säulen der Babler-SPÖ, einen sicheren Listenplatz zu verwehren. Auf der Landesliste befindet sie sich nur auf Platz sieben, wobei die ersten fünf bis sechs realistische Chancen auf einen Einzug in den Nationalrat haben. Und auch Platz zwei im Regionalwahlkreis Wien Süd-West wird nicht viel bringen: Die SPÖ holte dort das letzte Mal ein Mandat. Auch Herr braucht also einen Platz auf der Bundesliste. Immerhin kommen die beiden anderen aus Bablers Führungsteam über die Landesliste in den Nationalrat: Philip Kucher ist als Nummer eins in Kärnten gesetzt, Eva-Maria Holzleitner führt die oberösterreichische Liste an.
Die Bundesliste ist normalerweise die Spielwiese des Parteichefs, um personelle Akzente zu setzen. Doch im Fall der SPÖ ist der Spielraum nun schon sehr gering, es herrscht ein ziemliches Gedränge auf der Bundesliste. Neben Babler und Herr ist auch der Vorsitzende der roten Gewerkschafter, Josef Muchitsch, gesetzt. Er tritt diesmal nicht mehr in der Steiermark an. Fünf Mandate hat die SPÖ das letzte Mal über die Bundesliste bekommen, bei einem ähnlichen Ergebnis sind also nur noch zwei Plätze zu vergeben. Die Zahl der Interessenten dafür ist groß: Der Finanzreferent der Partei, Christoph Matznetter, hat in Wien nur ein Kampfmandat bekommen. Mario Lindner ist das
letzte Mal über die Bundesliste in den Nationalrat gekommen, in der Steiermark hat er kein Mandat. Und dann ist da noch Muna Duzdar, Ex-Staatssekretärin und eine der ersten prominenten Babler-Unterstützerinnen in der SPÖ: In Wien liegt sie nur auf Platz 35 der Landesliste – und auf Rang acht des Regionalwahlkreises Wien Nord – beides sind völlig aussichtslose Plätze.
Bessere Chancen haben zwei andere: Metaller-Gewerkschafter Reinhold Binder und als Überraschungskandidatin die Chefin des Momentum-Instituts, Barbara Blaha. Sie ist einst als VSStÖ-Chefin aus der SPÖ ausgetreten, weil sie die Beibehaltung der Studiengebühren in der Gusenbauer-Regierung nicht mittragen wollte. Ein anderer Babler-Unterstützer versucht es über einen Vorzugsstimmenwahlkampf: Nikolaus Kowal, der mit seiner Kandidatur das Antreten Bablers bei der SPÖ-Vorsitzwahl erst möglich gemacht hat.
Fünf Jahre nach dem Ibiza-Crash prognostizieren sämtliche Meinungsforscher der FPÖ einen Sieg bei der Nationalratswahl. Treten die aktuellen Prognosen ein, könnte der 30 Mandatare umfassende Klub der FPÖ um die Hälfte zulegen. Von prominenten Abgängen ist – abgesehen von jenen FPÖ-Abgeordneten, die wie zum Beispiel Petra Steger nach Brüssel wechseln dürften – noch nichts bekannt. Unter den neuen Gesichtern könnte indes die während Corona bei der FPÖ angedockte ExORF-Moderatorin Marie Christine Giuliani sein, dasselbe gilt für den Arzt Hannes Strasser, der rund um die Corona-Proteste immer wieder im FPÖ-Umfeld aufgetreten ist. Auf die Frage, wann die FPÖ ihre Wahllisten fertigstellt, erklärte FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz, dass die Blauen ihre Aufmerksamkeit derzeit „nicht auf Posten und Ämter“richteten. Mit Herbert Kickl sei man ohnehin „personell so breit und so stark wie nie zuvor“aufgestellt.
In der laufenden Legislaturperiode sitzen 26 Grüne im Nationalrat. 22 Sitze haben sie über die Regionaloder Landeslisten erreicht, nur vier über die Bundesliste. Ähnlich wie bei der ÖVP dürfte der zu verteilende Kuchen kleiner werden. Zudem brauchen auch die Regierungsmitglieder ein Mandat – bis auf Johannes Rauch, der bereits angekündigt hat, nicht mehr zu kandidieren. Drei Landeslisten sind schon fix: In Tirol ist Barbara Neßler auf Platz eins, in Niederösterreich Elisabeth Götze und in Oberösterreich Agnes Prammer. In Kärnten hat Generalsekretärin Olga Voglauer für die Vorwahl am 27. April derzeit noch keine Konkurrenz.
Die wichtigste Landesliste, jene in Wien, wird am 27. April gewählt. Die Grünen erreichten 2019 sechs Mandate in der Bundeshauptstadt. Wie „Die Presse“berichtet hat, wird Alma Zadić auf Platz eins kandidieren, Sigrid Maurer (Klubchefin) jedoch überraschenderweise gar nicht. Sie wird über die Bundesliste abgesichert. Das hat dem Vernehmen nach auch damit zu tun, dass sie 2019 für Platz eins kandidierte, letztlich aber nur auf Platz drei landete. Die Plätze zwei bis vier werden dieses Mal Lukas Hammer, 2019 Wiener Spitzenkandidat, Meri Disoski und Markus Koza ausfechten, wobei auch Faika El-Nagashi wieder für die vorderen Plätze kandidieren könnte. Eva Blimlinger kandidiert ebenfalls wieder, könnte dabei leer ausgehen, auch weil sie intern nicht unumstritten ist. Quereinsteigerin Sibylle Hamann und Michel Reimon haben bereits angekündigt, nicht mehr zu kandidieren.
Werner Kogler wird nur auf Platz eins der Bundesliste kandidieren, seine steirische Landespartei hat bereits Jakob Schwarz zum Spitzenkandidaten gekürt. Ob Leonore Gewessler neben der Bundesliste auch andernorts kandidiert, ist noch offen. Im grünen Klub munkelt man, dass sie dieses Mal in Salzburg kandidieren könnte, wo Astrid Rössler nicht mehr antritt. 2019 war Gewessler noch für Oberösterreich angetreten.
In der ersten Runde der Vorwahlen, in der jeder mitwählen kann, haben sich Sepp Schellhorn, Stephanie Krisper und Yannick Shetty gut in Position gebracht. Auf Platz sieben landete der erste Quereinsteiger, der Medienmanager Veit Dengler, der aber schon bei der Gründung der Neos mitgemischt hat. In der Partei geht man davon aus, dass der Großteil des Klubs so bleibt, wie er ist. Prominentester Aussteiger ist Sozialexperte Gerald Loacker. Ihm könnte Junos-Chefin Sophie Wotschke nachfolgen, die es in der ersten Vorwahlrunde auf Platz vier geschafft hat. Am Montag folgte die Festlegung der Landeslisten und der die Bundesliste. Die Mitgliederversammlung am 20. April wird diese dann absegnen.