Die Presse

Szenarien vom Nadelstich bis zu harter Vergeltung

Das Kriegskabi­nett sondiert die Optionen gegen den Iran. Die UNO fordert „maximale Zurückhalt­ung“, die Hardliner drängen zu einem „vernichten­den“Gegenschla­g.

- VON THOMAS VIEREGGE

Zum dritten Mal innerhalb von 40 Stunden kam am Montagmitt­ag im Verteidigu­ngsministe­rium in Tel Aviv das israelisch­e Kriegskabi­nett zusammen. Am Samstagabe­nd verfolgten Premier Benjamin Netanjahu, Verteidigu­ngsministe­r Joav Gallant und Ex-Armeechef Benny Gantz sowie die Berater Ron Dermer und Gadi Eizenkot den iranischen Angriffsha­gel gegen ihr Land: den ersten durch einen staatliche­n Feind seit dem Golfkrieg 1991 durch den irakischen Diktator Saddam Hussein. Und wie sich die Bedrohung am Nachthimme­l in Luft auflöste.

Gantz und Eizenkot, die beiden früheren Generalsta­bschefs, sowie hochrangig­e Militärs wollten angeblich zu einem umgehenden Gegenschla­g gegen das Regime in Teheran ausholen. Es galt, so ihr Kalkül, die Gunst der Stunde zu nützen, da Israel nach der zunehmende­n Kritik am Gaza-Krieg wieder die Unterstütz­ung des Westens wie einiger arabischer Staaten gegen den gemeinsame­n Feind im Iran genoss.

Doch ein Telefonat des US-Präsidente­n Joe Biden mit Netanjahu brachte das Kriegskabi­nett vom Vergeltung­sschlag und einer Eskalation­sstrategie ab. Biden gratuliert­e zur gemeinsame­n erfolgreic­hen Abwehr der iranischen Aggression, riet dazu, Nerven zu bewahren und die Optionen gründlich zu überdenken. „Nehmt den Sieg“, sagte er dem Vernehmen nach. Welche Szenarien erwägt Israel gegen den Erzfeind im Nahen Osten?

Kühles Abwägen

„Wer Israel angreift, den greift Israel an.“Der Satz des israelisch­en Premiers steht im Bunker des Kriegskabi­netts weiter im Raum. Zunächst wollte Israel in einer Lagebeurte­ilung erörtern, ob die proiranisc­hen Milizen nach den Angriffen in der Nacht auf Sonntag ruhig halten würden. Die Hisbollah und die Houthis hatten sich am Bombardeme­nt gegen Israel beteiligt.

Bereits Sonntagfrü­h hatte der Iran die „limitierte“, fünfstündi­ge Militärope­ration „Aufrichtig­es Verspreche­n“für beendet erklärt und dies über ihren Informatio­nskanal – die Schweizer Botschaft – auch die Biden-Regierung wissen lassen. Von den USA über die UNO bis zu EU, von Emmanuel Macron und Rishi Sunak bis zu Olaf Scholz drängt die internatio­nale Gemeinscha­ft Israel nun dazu, „maximale Zurückhalt­ung“zu üben, wie es UN-Generalsek­retär António Guterres formuliert­e – und den „Rückwärtsg­ang“einzulegen, wie Josep Borrell, der EU-Außenpolit­ik-Koordinato­r, forderte.

Zugleich appelliert­e Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg in einem Telefonat mit Hossein Amir Abdollahia­n an seinen iranischen Kollegen, keine weitere Kriegsfron­t zu eröffnen. „Dabei gäbe es nur Verlierer, in der Region und darüber hinaus.“Er forderte ihn auf, auch auf die Verbündete­n einzuwirke­n, das „Spiel mit dem Feuer einzustell­en“.

Gantz hat nach seiner ersten Bauchreakt­ion eines Gegenschla­gs eine besonnene Strategie zur Debatte gestellt. Der Iran müssen einen Preis zahlen. Er schlug vor, Zeitpunkt und Ausmaß des Vergeltung­sangriffs selbst zu wählen. Priorität hat für ihn jedoch die Stärkung der internatio­nalen Allianz und der Kooperatio­n mit den arabischen Partnern. Verteidigu­ngsministe­r Gallant teilt diese Strategie. Benjamin Netanjahu hielt sich bisher eher bedeckt. Der Langzeitpr­emier agiert diplomatis­ch: „Wir werden uns gegen jede Bedrohung verteidige­n – besonnen und entschloss­en.“

Militärsch­lag gegen Iran

Zur Wahl stehen mehrere Optionen. Da wären einmal nadelstich­artige Operatione­n, wie sie Israel seit Kriegsbegi­nn im Gazastreif­en gegen die Hisbollah im Libanon, die Houthis im Jemen und die proiranisc­hen Milizen in Syrien und im Irak ausführt. Zuletzt hat insbesonde­re die Hisbollah schwere Schläge gegen ihre Kommandant­en und die Infrastruk­tur hinnehmen müssen. Gezielte Angriffe gegen Raketenars­enale und den Rüstungsna­chschub aus dem Iran lanciert die israelisch­e Armee regelmäßig – bis hin zu dem Angriff auf das iranische Konsulat in Damaskus mit dem Tod zweier hochrangig­er Revolution­sgardisten, der die Eskalation­sspirale in Gang gebracht hat.

Schwerer würde ein Angriff gegen die Revolution­sgarden im Iran wiegen, etwa gegen Munitionsd­epots oder Raketenbas­en. Eine Steigerung wäre indessen ein Schlag gegen einen Militärstü­tzpunkt im Iran, der einen Gegenschla­g provoziere­n würde. Erst recht, sollte sich Israels zu einem „vernichten­den Militärsch­lag“entschließ­en. Dies urgieren die Hardliner in der rechts-religiösen Koalition, die Minister Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich. Zurückhalt­ung und Verhältnis­mäßigkeit seien seit dem 7. Oktober passé, argumentie­ren sie. Netanjahu machte sich in der Vergangenh­eit für eine Zerstörung des iranischen Atomprogra­mms stark.

Gaza-Krieg

Einstweile­n wird sich Israel wohl auf den Gaza-Krieg konzentrie­ren, um im Windschatt­en der Gaza-Krise Fortschrit­te im Terrorkrie­g gegen die Hamas zu erzielen. Für die Offensive hat die Armee bereits Reserviste­n eingezogen, während nach dem Ausnahmezu­stand am Wochenende das Land selbst rechtzeiti­g vor dem Pessach-Fest allmählich wieder zur Normalität zurückkehr­t.

Ein Geiseldeal mit der Hamas rückt dagegen in weite Ferne. Eine sechswöchi­ge Feuerpause, danach Freilassun­g von 40 Geiseln gegen 900 Gefangene bei einem Rückzug der israelisch­en Truppen – für Israel sind die Hamas-Forderunge­n inakzeptab­el.

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[AFP] Gilad Erdan, der israelisch­e UNBotschaf­ter, führt in einem Video auf seinem Tablet den iranischen Angriffsha­gel über der al-AqsaMosche­e in Jerusalem vor.

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