Szenarien vom Nadelstich bis zu harter Vergeltung
Das Kriegskabinett sondiert die Optionen gegen den Iran. Die UNO fordert „maximale Zurückhaltung“, die Hardliner drängen zu einem „vernichtenden“Gegenschlag.
Zum dritten Mal innerhalb von 40 Stunden kam am Montagmittag im Verteidigungsministerium in Tel Aviv das israelische Kriegskabinett zusammen. Am Samstagabend verfolgten Premier Benjamin Netanjahu, Verteidigungsminister Joav Gallant und Ex-Armeechef Benny Gantz sowie die Berater Ron Dermer und Gadi Eizenkot den iranischen Angriffshagel gegen ihr Land: den ersten durch einen staatlichen Feind seit dem Golfkrieg 1991 durch den irakischen Diktator Saddam Hussein. Und wie sich die Bedrohung am Nachthimmel in Luft auflöste.
Gantz und Eizenkot, die beiden früheren Generalstabschefs, sowie hochrangige Militärs wollten angeblich zu einem umgehenden Gegenschlag gegen das Regime in Teheran ausholen. Es galt, so ihr Kalkül, die Gunst der Stunde zu nützen, da Israel nach der zunehmenden Kritik am Gaza-Krieg wieder die Unterstützung des Westens wie einiger arabischer Staaten gegen den gemeinsamen Feind im Iran genoss.
Doch ein Telefonat des US-Präsidenten Joe Biden mit Netanjahu brachte das Kriegskabinett vom Vergeltungsschlag und einer Eskalationsstrategie ab. Biden gratulierte zur gemeinsamen erfolgreichen Abwehr der iranischen Aggression, riet dazu, Nerven zu bewahren und die Optionen gründlich zu überdenken. „Nehmt den Sieg“, sagte er dem Vernehmen nach. Welche Szenarien erwägt Israel gegen den Erzfeind im Nahen Osten?
Kühles Abwägen
„Wer Israel angreift, den greift Israel an.“Der Satz des israelischen Premiers steht im Bunker des Kriegskabinetts weiter im Raum. Zunächst wollte Israel in einer Lagebeurteilung erörtern, ob die proiranischen Milizen nach den Angriffen in der Nacht auf Sonntag ruhig halten würden. Die Hisbollah und die Houthis hatten sich am Bombardement gegen Israel beteiligt.
Bereits Sonntagfrüh hatte der Iran die „limitierte“, fünfstündige Militäroperation „Aufrichtiges Versprechen“für beendet erklärt und dies über ihren Informationskanal – die Schweizer Botschaft – auch die Biden-Regierung wissen lassen. Von den USA über die UNO bis zu EU, von Emmanuel Macron und Rishi Sunak bis zu Olaf Scholz drängt die internationale Gemeinschaft Israel nun dazu, „maximale Zurückhaltung“zu üben, wie es UN-Generalsekretär António Guterres formulierte – und den „Rückwärtsgang“einzulegen, wie Josep Borrell, der EU-Außenpolitik-Koordinator, forderte.
Zugleich appellierte Außenminister Alexander Schallenberg in einem Telefonat mit Hossein Amir Abdollahian an seinen iranischen Kollegen, keine weitere Kriegsfront zu eröffnen. „Dabei gäbe es nur Verlierer, in der Region und darüber hinaus.“Er forderte ihn auf, auch auf die Verbündeten einzuwirken, das „Spiel mit dem Feuer einzustellen“.
Gantz hat nach seiner ersten Bauchreaktion eines Gegenschlags eine besonnene Strategie zur Debatte gestellt. Der Iran müssen einen Preis zahlen. Er schlug vor, Zeitpunkt und Ausmaß des Vergeltungsangriffs selbst zu wählen. Priorität hat für ihn jedoch die Stärkung der internationalen Allianz und der Kooperation mit den arabischen Partnern. Verteidigungsminister Gallant teilt diese Strategie. Benjamin Netanjahu hielt sich bisher eher bedeckt. Der Langzeitpremier agiert diplomatisch: „Wir werden uns gegen jede Bedrohung verteidigen – besonnen und entschlossen.“
Militärschlag gegen Iran
Zur Wahl stehen mehrere Optionen. Da wären einmal nadelstichartige Operationen, wie sie Israel seit Kriegsbeginn im Gazastreifen gegen die Hisbollah im Libanon, die Houthis im Jemen und die proiranischen Milizen in Syrien und im Irak ausführt. Zuletzt hat insbesondere die Hisbollah schwere Schläge gegen ihre Kommandanten und die Infrastruktur hinnehmen müssen. Gezielte Angriffe gegen Raketenarsenale und den Rüstungsnachschub aus dem Iran lanciert die israelische Armee regelmäßig – bis hin zu dem Angriff auf das iranische Konsulat in Damaskus mit dem Tod zweier hochrangiger Revolutionsgardisten, der die Eskalationsspirale in Gang gebracht hat.
Schwerer würde ein Angriff gegen die Revolutionsgarden im Iran wiegen, etwa gegen Munitionsdepots oder Raketenbasen. Eine Steigerung wäre indessen ein Schlag gegen einen Militärstützpunkt im Iran, der einen Gegenschlag provozieren würde. Erst recht, sollte sich Israels zu einem „vernichtenden Militärschlag“entschließen. Dies urgieren die Hardliner in der rechts-religiösen Koalition, die Minister Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich. Zurückhaltung und Verhältnismäßigkeit seien seit dem 7. Oktober passé, argumentieren sie. Netanjahu machte sich in der Vergangenheit für eine Zerstörung des iranischen Atomprogramms stark.
Gaza-Krieg
Einstweilen wird sich Israel wohl auf den Gaza-Krieg konzentrieren, um im Windschatten der Gaza-Krise Fortschritte im Terrorkrieg gegen die Hamas zu erzielen. Für die Offensive hat die Armee bereits Reservisten eingezogen, während nach dem Ausnahmezustand am Wochenende das Land selbst rechtzeitig vor dem Pessach-Fest allmählich wieder zur Normalität zurückkehrt.
Ein Geiseldeal mit der Hamas rückt dagegen in weite Ferne. Eine sechswöchige Feuerpause, danach Freilassung von 40 Geiseln gegen 900 Gefangene bei einem Rückzug der israelischen Truppen – für Israel sind die Hamas-Forderungen inakzeptabel.