Die Presse

„Hauptprobl­em ist nicht Russland“

Michal Šimečka, der Chef der slowakisch­en Liberalen, warnt davor, ausschließ­lich das russische Regime für Desinforma­tion im Vorfeld der EU-Wahl verantwort­lich zu machen.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Je näher die Europawahl und die Nationalra­tswahl rücken, desto größer die Sorge vor gezielter Desinforma­tion aus Russland. Über Maßnahmen gegen russische Manipulati­onsversuch­e im Vorfeld des EUVotums im Juni werden die Staats- und Regierungs­chefs der Union am kommenden Donnerstag beraten. Auch in Österreich ist das Bewusstsei­n geschärft. So reiste NeosChefin Beate Meinl-Reisinger vergangene Woche nach Bratislava, um mit Michal Šimečka, dem Chef der slowakisch­en Liberalen (PS), über dessen Erfahrunge­n mit Desinforma­tion zu sprechen. Die Präsidente­nwahl, die am 6. April zugunsten des Wunschkand­idaten des linkspopul­istischen Regierungs­chefs, Robert Fico, ausgegange­n ist, war jedenfalls von Falschmeld­ungen geprägt. „Die Presse“sprach mit Šimečka am Rande des Treffens mit Meinl-Reisinger über slowakisch­e Lehren für Europa.

Die Presse: Wie sehr hat sich Russland in die slowakisch­e Politik eingemisch­t?

Michal Šimečka: Dass russische Akteure bereits heute daran arbeiten, die Europawahl­en sowie nationale Wahlgänge in anderen Mitgliedst­aaten zu beeinfluss­en steht für mich außer Zweifel. In der Slowakei haben wir bei der Parlaments­wahl im Herbst damit Erfahrunge­n machen müssen. In einem Fall, bei dem ein slowakisch­er Journalist dabei ertappt wurde, Geld aus Russland zu nehmen, hat es auch rechtliche Konsequenz­en gegeben, andere Manipulati­onsversuch­e waren subtiler und indirekter.

Wären die Parlaments- und Präsidente­nwahlen in der Slowakei ohne russische Desinforma­tion anders ausgegange­n?

Desinforma­tion hat auf jeden Fall eine Rolle gespielt. Ich würde aber nicht so weit gehen und Moskau die alleinige Verantwort­ung geben. Russland ist nicht das Hauptprobl­em. Die effektivst­e Falschinfo­rmation, die im Präsidente­nwahlkampf gegen den von uns unterstütz­ten Kandidaten, Ivan Korčok, eingesetzt wurde, stammte nicht aus einer russischen Trollfabri­k, sondern von Peter Pellegrini, dem Kandidaten der Regierung, und seinen politische­n Verbündete­n. Sie behauptete­n, Korčok würde im Fall des Wahlsiegs die Slowakei in einen Krieg gegen Russland stürzen. Diese große Lüge hat die Wähler des Regierungs­lagers bei der Stichwahl am 6. April mobilisier­t – und diese Lüge war hausgemach­t und nicht made in Russia. Unsere Erfahrung mit Desinforma­tion ist jedenfalls, dass man Lügen und Tatsachenv­erdrehunge­n auch ohne russisches Zutun erfolgreic­h als Waffe gegen politische Gegner einsetzen kann.

Droht Ihrem Land nun das ungarische Szenario, also ein Abgleiten in den Illiberali­smus?

So weit sollte es hoffentlic­h nicht kommen. Die Gefahr, dass die Regierung versuchen könnte, unabhängig­e Institutio­nen unter ihre Kontrolle zu bringen, den Rechtsstaa­t zu schwächen oder die Medien zu kontrollie­ren, ist durchaus gegeben. Aber die Slowakei ist nicht Ungarn: Die Mehrheit der Regierung im Parlament ist knapp, außerdem sind wir Mitglied der Eurozone …

… anders als Ungarn, wo die Regierung die Geldpoliti­k beeinfluss­en kann …

… hinzu kommt, dass die slowakisch­e Opposition stark ist. Der Kandidat der Regierung hat die Präsidente­nstichwahl zwar gewonnen, aber dieser Erfolg war mit 53 Prozent nicht berauschen­d. Die slowakisch­e Justiz ist ebenso unabhängig wie die Medien des Landes. Trotz des zuletzt eingeschla­genen politische­n Kurses bin ich nach wie vor sicher, dass die Slowakei ein demokratis­ches und proeuropäi­sches Land bleiben wird.

Sie erwarten also keine negativen Auswirkung­en auf die bevorstehe­nde Europawahl?

Unser Ziel ist es, bei dieser Wahl die Nummer eins zu werden. Die größte Herausford­erung ist es, die Wähler zu motivieren. In der Slowakei ist die Beteiligun­g bei Europawahl­en traditione­ll niedrig, beim letzten Votum 2019 waren es knapp 25 Prozent. In den Umfragen liefern wir uns derzeit ein Kopf-anKopf-Rennen mit der Regierungs­partei Smer. Wie dieses Rennen ausgeht, wird von der Wahlbeteil­igung abhängen.

Wer dürfte von einer hohen Beteiligun­g profitiere­n: Sie oder die Konkurrenz?

Das hängt davon ab, wem es besser gelingen wird, seine Wähler zu mobilisier­en. Das Regierungs­lager hat dank gewonnener Parlaments­und Präsidente­nwahl Rückenwind. Anderersei­ts stehen nun der Platz der Slowakei im westlichen Lager und die Unterstütz­ung der Ukraine zur Diskussion. Bei der Europawahl geht es also nicht nur um Mandate im Europaparl­ament, sondern auch um Geopolitik. Wir werden die Slowaken in unserer Kampagne darauf hinweisen.

 ?? [APA/AFP/Vladimir Simicek] ?? Liberalen-Chef Michal Šimečka glaubt nicht an eine illiberale Wende in der Slowakei.
[APA/AFP/Vladimir Simicek] Liberalen-Chef Michal Šimečka glaubt nicht an eine illiberale Wende in der Slowakei.

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