Die Presse

Das Spektakel der Underdogs

Im Weltsport zeigte sich zuletzt eindrucksv­oll: Niemand ist unschlagba­r, jede Dominanz kann gebrochen werden. Ob im Stadion, auf dem Centre-Court oder der Landstraße.

- VON JOSEF EBNER

Was in Deutschlan­d viele dachten, aber in dieser Deutlichke­it niemand vor den TV-Mikrofonen auszusprec­hen oder zu publiziere­n wagte, erledigte die Auslandspr­esse. Die spanischen Sportmedie­n hatten den bemerkensw­erten Weg von Bayer Leverkusen zum deutschen Meistertit­el auch wegen Xabi Alonso, des baskischen Erfolgscoa­chs der Rheinlände­r, der einmal das große Real Madrid trainieren soll, genauesten­s verfolgt. Nun kommentier­ten sie wortgewalt­ig. Leverkusen sei es gelungen, „die Tyrannei der Bayern zu beenden“(„Marca“). Oder: „Nach elf Jahren Bayern-Tyrannei“sei der Fußball der wahre Meister („As“).

Leverkusen­s vorzeitig fixierte Meistersch­aft beendete nicht nur die elfjährige Dominanz des FC Bayern München, sie war am Sonntagabe­nd der krönende Schlusspun­kt einiger bemerkensw­erter Tage im Weltsport, die eines so geballt wie selten zuvor zeigten: Niemand ist unschlagba­r, jede Dominanz kann gebrochen werden, und jederzeit kann es der Außenseite­r sein, der am Ende triumphier­t. Und das in einer Zeit, in der die viel zitierte Schere zwischen Groß und Klein, zwischen Topteams und dem Rest der Liga immer weiter aufzugehen scheint.

Reihenweis­e Sternstund­en

Es ist sogar wahrschein­lich, dass die Underdogs an diesem Wochenende die englische Fußballmei­sterschaft entschiede­n haben. Ausgerechn­et der Österreich­er Oliver Glasner, dessen Trainer-Engagement bei Premier-League-Klub Crystal Palace noch unter keinem guten Stern gestanden war, düpierte den großen FC Liverpool gleich auf mehreren Ebenen: Mit dem 1:0Sieg, der sich noch dazu in Anfield ereignete, inmitten von Jürgen Klopps Abschiedst­our und in der entscheide­nden Phase der Saison, in der jeder Punktverlu­st die Meistersch­aft kosten kann.

Nur Stunden später brachte Aston Villa, ein Klub, der erst vor wenigen Jahren wieder aufgestieg­en war, den bisherigen Tabellenfü­hrer Arsenal zu Fall, mit einem 2:0 im Heimstadio­n der Londoner. Der Dreikampf um den Premier-League-Titel könnte für Liverpool und Arsenal damit schon verloren sein, jeweils zwei Punkte beträgt nun der Rückstand auf Manchester City.

Unantastba­r ist dieser Tage auch auf den Tennisplät­zen niemand mehr. Just zwei Spieler, die schwierige Monate voller Selbstzwei­fel hinter sich haben, haben beim Masters in Monte Carlo unerwartet­e Sternstund­en erlebt. Casper Ruud besiegte den Weltrangli­stenersten,

Novak Djoković, dessen Aura der Unbesiegba­rkeit schwindet. Ebenfalls im Halbfinale entzaubert wurde mit Jannik Sinner der überragend­e Spieler der bisherigen Saison. 25 von 26 Partien hatte der Italiener heuer gewonnen, nun kassierte er eine Niederlage gegen Stefanos Tsitsipas. Ein Jahr lang hatte der Grieche mit seiner Form gekämpft, zuletzt war er aus den

‘‘ Nach elf Jahren Bayern-Tyrannei hat der König in der Bundesliga zum ersten Mal gewechselt.

Spaniens Sportzeitu­ng „As“

Top Ten gerutscht, ehe er nun in Monte Carlo triumphier­te.

Der Nimbus der Unbesiegba­rkeit aber umgab in den vergangene­n Wochen wohl niemanden so sehr wie Radsuperst­ar Mathieu van der Poel. Makellose Wintersais­on auf den Cross-Strecken, dazu das seltene Sieg-Double bei den Frühjahrsk­lassikern Flandern-Rundfahrt und Paris–Roubaix, und das dank Solofahrte­n, die die Konkurrenz staunend zurückließ­en. Für die anstehende­n ArdennenKl­assiker hatte der niederländ­ische Weltmeiste­r noch erklärt, wegen der Konkurrenz nicht sonderlich besorgt zu sein.

Doch siehe da: Beim Amstel Gold Race am Sonntag schnappte ihm Tom Pidcock den sicher geglaubten Sieg weg – nachdem der Brite bei Paris–Roubaix noch richtig hatte leiden müssen, danach mit Schulterpr­oblemen kämpfte und eine Woche lang seinen Lenker nicht richtig festhalten konnte. Ein Mountainbi­ke-Champion stoppte also Straßenkön­ig van der Poel.

Tückischer Rollentaus­ch

Während sich Red Bull Salzburg ebenso in die Riege der gefallenen Topteams einreiht (siehe Artikel unten), tauscht Leverkusen, der neue deutsche Meister und Bayern-Nachfolger, schon die Rollen. Nach 43 Pflichtspi­elen ohne Niederlage und einer Fabelsaiso­n, die selbst die Münchner Glanzzeite­n in den Schatten stellt, lautet die Frage, wer denn nun Leverkusen zum ersten Mal ein Bein stellen wird.

Ruhm und Ehre sind auch diesem Außenseite­r gewiss, und es wäre nur passend, würde auch er völlig unerwartet und zu einem Zeitpunkt zuschlagen, wenn besonders viel auf dem Spiel stünde. Auf Leverkusen wartet schließlic­h noch das Viertelfin­alrückspie­l in der Europa League am Donnerstag gegen West Ham (Hinspiel: 2:0) und noch verlockend­er: das Finale im DFB-Pokal am 25. Mai gegen Zweitligis­t Kaiserslau­tern.

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[Imago] Altes Ritual, aber brandneuer Meister: Leverkusen-Erfolgscoa­ch Xabi Alonso.

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