Das Spektakel der Underdogs
Im Weltsport zeigte sich zuletzt eindrucksvoll: Niemand ist unschlagbar, jede Dominanz kann gebrochen werden. Ob im Stadion, auf dem Centre-Court oder der Landstraße.
Was in Deutschland viele dachten, aber in dieser Deutlichkeit niemand vor den TV-Mikrofonen auszusprechen oder zu publizieren wagte, erledigte die Auslandspresse. Die spanischen Sportmedien hatten den bemerkenswerten Weg von Bayer Leverkusen zum deutschen Meistertitel auch wegen Xabi Alonso, des baskischen Erfolgscoachs der Rheinländer, der einmal das große Real Madrid trainieren soll, genauestens verfolgt. Nun kommentierten sie wortgewaltig. Leverkusen sei es gelungen, „die Tyrannei der Bayern zu beenden“(„Marca“). Oder: „Nach elf Jahren Bayern-Tyrannei“sei der Fußball der wahre Meister („As“).
Leverkusens vorzeitig fixierte Meisterschaft beendete nicht nur die elfjährige Dominanz des FC Bayern München, sie war am Sonntagabend der krönende Schlusspunkt einiger bemerkenswerter Tage im Weltsport, die eines so geballt wie selten zuvor zeigten: Niemand ist unschlagbar, jede Dominanz kann gebrochen werden, und jederzeit kann es der Außenseiter sein, der am Ende triumphiert. Und das in einer Zeit, in der die viel zitierte Schere zwischen Groß und Klein, zwischen Topteams und dem Rest der Liga immer weiter aufzugehen scheint.
Reihenweise Sternstunden
Es ist sogar wahrscheinlich, dass die Underdogs an diesem Wochenende die englische Fußballmeisterschaft entschieden haben. Ausgerechnet der Österreicher Oliver Glasner, dessen Trainer-Engagement bei Premier-League-Klub Crystal Palace noch unter keinem guten Stern gestanden war, düpierte den großen FC Liverpool gleich auf mehreren Ebenen: Mit dem 1:0Sieg, der sich noch dazu in Anfield ereignete, inmitten von Jürgen Klopps Abschiedstour und in der entscheidenden Phase der Saison, in der jeder Punktverlust die Meisterschaft kosten kann.
Nur Stunden später brachte Aston Villa, ein Klub, der erst vor wenigen Jahren wieder aufgestiegen war, den bisherigen Tabellenführer Arsenal zu Fall, mit einem 2:0 im Heimstadion der Londoner. Der Dreikampf um den Premier-League-Titel könnte für Liverpool und Arsenal damit schon verloren sein, jeweils zwei Punkte beträgt nun der Rückstand auf Manchester City.
Unantastbar ist dieser Tage auch auf den Tennisplätzen niemand mehr. Just zwei Spieler, die schwierige Monate voller Selbstzweifel hinter sich haben, haben beim Masters in Monte Carlo unerwartete Sternstunden erlebt. Casper Ruud besiegte den Weltranglistenersten,
Novak Djoković, dessen Aura der Unbesiegbarkeit schwindet. Ebenfalls im Halbfinale entzaubert wurde mit Jannik Sinner der überragende Spieler der bisherigen Saison. 25 von 26 Partien hatte der Italiener heuer gewonnen, nun kassierte er eine Niederlage gegen Stefanos Tsitsipas. Ein Jahr lang hatte der Grieche mit seiner Form gekämpft, zuletzt war er aus den
‘‘ Nach elf Jahren Bayern-Tyrannei hat der König in der Bundesliga zum ersten Mal gewechselt.
Spaniens Sportzeitung „As“
Top Ten gerutscht, ehe er nun in Monte Carlo triumphierte.
Der Nimbus der Unbesiegbarkeit aber umgab in den vergangenen Wochen wohl niemanden so sehr wie Radsuperstar Mathieu van der Poel. Makellose Wintersaison auf den Cross-Strecken, dazu das seltene Sieg-Double bei den Frühjahrsklassikern Flandern-Rundfahrt und Paris–Roubaix, und das dank Solofahrten, die die Konkurrenz staunend zurückließen. Für die anstehenden ArdennenKlassiker hatte der niederländische Weltmeister noch erklärt, wegen der Konkurrenz nicht sonderlich besorgt zu sein.
Doch siehe da: Beim Amstel Gold Race am Sonntag schnappte ihm Tom Pidcock den sicher geglaubten Sieg weg – nachdem der Brite bei Paris–Roubaix noch richtig hatte leiden müssen, danach mit Schulterproblemen kämpfte und eine Woche lang seinen Lenker nicht richtig festhalten konnte. Ein Mountainbike-Champion stoppte also Straßenkönig van der Poel.
Tückischer Rollentausch
Während sich Red Bull Salzburg ebenso in die Riege der gefallenen Topteams einreiht (siehe Artikel unten), tauscht Leverkusen, der neue deutsche Meister und Bayern-Nachfolger, schon die Rollen. Nach 43 Pflichtspielen ohne Niederlage und einer Fabelsaison, die selbst die Münchner Glanzzeiten in den Schatten stellt, lautet die Frage, wer denn nun Leverkusen zum ersten Mal ein Bein stellen wird.
Ruhm und Ehre sind auch diesem Außenseiter gewiss, und es wäre nur passend, würde auch er völlig unerwartet und zu einem Zeitpunkt zuschlagen, wenn besonders viel auf dem Spiel stünde. Auf Leverkusen wartet schließlich noch das Viertelfinalrückspiel in der Europa League am Donnerstag gegen West Ham (Hinspiel: 2:0) und noch verlockender: das Finale im DFB-Pokal am 25. Mai gegen Zweitligist Kaiserslautern.