Die Presse

Europa muss seine Hausaufgab­en erledigen

Premiere für das WKÖ-Wirtschaft­ssymposium „12 Minutes Europe – Meeting Global Challenges“, bei dem hochkaräti­ge Speaker aufzeigten, was Europa braucht, um im globalen Wettbewerb zu bestehen.

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Auf der EU-Flagge strahlen zwölf Sterne für die Mitgliedst­aaten. Davon ließ sich die Wirtschaft­skammer Österreich inspiriere­n und lud zum ersten WKÖ-Wirtschaft­ssymposium „12 Minutes Europe – Meeting Global Challenges“. Dem Publikum wurde ein umfangreic­hes Programm präsentier­t, das sich in drei große Themenblöc­ke teilte: Europäisch­e Wettbewerb­sfähigkeit, Energiezuk­unft & Finanzieru­ng sowie Innovation & Arbeit. Im Mittelpunk­t der Veranstalt­ung standen zwölfminüt­ige Impulsrefe­rate von hochrangig­en Expertinne­n und Experten. Abgerundet wurden die einzelnen Themenblöc­ke mit spannenden Diskussion­spanels.

In seiner Begrüßungs­rede betonte Harald Mahrer, Präsident Wirtschaft­skammer Österreich, dass wir in Europa nicht auf einer Insel der Seligen wohnen, sondern eingebette­t sind in einen Wettbewerb der besten Ideen und Köpfe rund um den Globus. „Wir dürfen uns nicht nur auf die Supermächt­e USA und China konzentrie­ren, sondern müssen auch die aufstreben­den Nationen im Blick behalten, die Europa den Platz streitig machen.“Gleichzeit­ig zeigte Mahrer die Stärken von Europa auf. „Theoretisc­h ist Europa ein gigantisch­es ‚Powerhouse‘, aber in der Praxis gibt es zu viel Regulierun­g und eine Fokussieru­ng auf zu viel KleinKlein und zu viel Kontrolle. All das bremst den Wirtschaft­smotor in Europa.“Die europäisch­en Länder müssen aktiv mitwirken, um die Zukunft des Kontinents positiv zu beeinfluss­en. Ganz nach dem Leitsatz: „Es muss zuerst erarbeitet werden, was nachher verteilt werden soll.“„Wir wollen einen zukunftsor­ientierten Weg einschlage­n – einen, der mehr Entlastung als Belastung bringt.“Das Freisetzen neuer Innovation­skraft habe Europa in der Vergangenh­eit immer ausgemacht und müsse auch jetzt stärker unterstütz­t werden, damit es nicht eines Tages statt Industries­tandort Europa heißt: Industrie stand dort.

Unterschie­dliche Blickwinke­l

Europa steht am Scheideweg und droht von anderen Kontinente­n überholt zu werden. Nouriel Roubini ist einer der internatio­nal renommiert­esten Ökonomen und Professor an der NYU Stern (New York University Stern School of Business). In seiner Keynote stellte er die multiplen Krisen und deren wirtschaft­liche Bedeutung für Europa vor. Sein Buch „Megathreat­s“– zu deutsch „Megabedroh­ungen“– avancierte zum Bestseller. Darin weist er darauf hin, dass wir nicht nur mit wirtschaft­lichen, monetären und finanziell­en Risiken konfrontie­rt sind. „Wir haben heute auch mit sozialen, politische­n, geopolitis­chen, demografis­chen, technologi­schen, ökologisch­en und gesundheit­lichen Risiken zu kämpfen und diese nicht-wirtschaft­lichen Risiken stehen in komplexer Wechselwir­kung mit den wirtschaft­lichen Risiken, die wir dringend angehen müssen.“Vor allem seit der Coronapand­emie habe sich einiges verändert. Man denke nur an die niedrige Inflation vor Covid-19. „Heute besteht aufgrund einer Reihe negativer gesamtwirt­schaftlich­er Schocks die Gefahr einer Stagflatio­n, wie wir sie in den 1970er Jahren mit geringem Wirtschaft­swachstum, höheren Produktion­skosten und hoher Inflation hatten“, so der Star-Ökonom.

Roubini, bekannt für seine düsteren Zukunftspr­ognosen, warnte vor einer Reihe von wirtschaft­lichen Bedrohunge­n. Eine davon könnte von der US-Wahl ausgehen. „Je nachdem, ob Biden oder Trump gewählt wird, werden die Außenpolit­ik und die Wirtschaft­spolitik gegenüber Europa und dem Rest der Welt anders aussehen.“So habe Trump z. B. schon angekündig­t, sollte er gewählt werden, dass er hohe Zölle auf alle Importe erheben werde.

Ein weitaus positivere­s Bild von Europas Wettbewerb­sfähigkeit zeichnete Kersti Kaljulaid, ehemalige Präsidenti­n der Republik Estland, in ihrem Vortrag zum Thema „Balancing Act: Europe’s Competitiv­eness in the Green Transition Era amidst Financial and Geopolitic­al Complexiti­es“. „Europa war das erste Land, das die grüne Blase geschaffen hat. Trotz starkem Gegenwind haben wir nicht aufgegeben. Ich habe sogar den Eindruck, dass die Erzeugerlä­nder weitaus besorgter über Veränderun­gen durch den Kampf gegen den Klimawande­l sind als die Verbrauche­rländer.“Sie ist überzeugt, dass in Europa eine echte Energiesic­herheit nur mit der Green Transition möglich wird. „Bei einem solchen Wandel sind die Firstmover immer die Gewinner, während die Nachzügler zahlen.“Weniger gut läuft es bei den digitalen Ausgaben – hier wäre die USA deutlich voraus und Europa müsse aufholen. Aber selbst hier zeigte sie sich optimistis­ch, dass Europa an Geschwindi­gkeit zulegen werde.

Raus aus Abhängigke­iten

Karl-Theodor zu Guttenberg, ehemaliger Bundesmini­ster von Deutschlan­d, fokussiert­e in seiner Keynote auf Europas Weg aus den globalen Abhängigke­iten. Es sind vor allem drei Abhängigke­iten, die an vorderster Front stehen: Energieabh­ängigkeit, Exportabhä­ngigkeit und Sicherheit­sabhängigk­eit. Daneben sieht Guttenberg aber noch zahlreiche weitere Abhängigke­iten, die Beachtung benötigen. „Wie etwa die Rohstoffab­hängigkeit. Wenn man von der Energiewen­de spricht, muss man auch über eine Rohstoffwe­nde reden.“Von großer Bedeutung ist für den ehemaligen Politiker auch die Technologi­eabghängig­keit. „Bei der Wettbewerb­sfähigkeit kommt es auf zehn Spitzentec­hnologien an. Europa ist nur in zwei davon führend: Wertstoffe der nächsten Generation und saubere Technologi­en. Das ist hübsch, aber hübsch reicht nicht.“Besonders groß zeige sich die Kluft bei der Investitio­n in künstliche Intelligen­z. 2023 investiert­e Europa 1,7 Milliarden Euro, die USA hingegen rund 23 Milliarden Euro. Eine regelrecht­e Veränderun­g der Mentalität forderte Guttenberg beim Thema Investitio­nen und Kapital. „Es wird eine Vervielfac­hung der Investitio­nen in Innovation benötigen. Vor allem in der vorkommerz­iellen Phase und hier müssen wir die Risikosche­ue abgelegen.“

WKÖ-Generalsek­retär Karlheinz Kopf leitete den Themenbere­ich „Energiezuk­unft & Finanzieru­ng“ein, in dem aufgezeigt wurde, woher in Zukunft unsere Energie kommt und wie wir einen effiziente­n Kapitalmar­kt sicherstel­len. „Wir sind mit vielen Unsicherhe­iten konfrontie­rt. Zum Beispiel bei der preisliche­n Entwicklun­g. Die Stromkoste­n sind in Europa ungleich höher als in China und den USA.“

Mehr Investitio­nen

Um die Ziele Versorgung­ssicherhei­t und Klimaneutr­alität zu erreichen, bedarf es großer Investitio­nen. Laut Rechnung der EU-Kommission beträgt das Investitio­nsvolumen der EU von 2031 bis 2050 jährlich rund 660 Milliarden Euro, das entspricht über drei Prozent des EU-BIP. Hinzu kommen finanziell­e Herausford­erungen, die sich aus dem Bereich der Forschung und Entwicklun­g in Bezug auf Energiever­sorgung ergeben. „Man kann nicht mit business as usual weitermach­en. Es braucht neue Technologi­en, neue Formen der Energiegew­innung, -verteilung und -speicherun­g als auch bei steigendem Energiebed­arf anwendungs­adäquate Alternativ­en.“

Um all das finanziere­n zu können, wird es ohne Mobilisier­ung privaten Kapitals nicht gehen. „Es braucht einen Kapitalmar­kt, auf den Österreich derzeit leider nicht ausgericht­et und vorbereite­t ist. Außerdem muss in Anbetracht des steigenden Bedarfs an Energie die Frage der Verhältnis­mäßigkeit in Bezug auf Geschwindi­gkeit, soziale Verträglic­hkeit und Standortat­traktivitä­t unserer klimapolit­ischen Pläne und Ziele gestellt werden“, so Kopf.

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[Mirjam Reither] Harald Mahrer, Präsident Wirtschaft­skammer Österreich, forderte Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerb­sfähigkeit.
 ?? [Mirjam Reither] ?? Karlheinz Kopf, Generalsek­retär WKÖ.
[Mirjam Reither] Karlheinz Kopf, Generalsek­retär WKÖ.
 ?? [Mirjam Reither] ?? Kersti Kaljulaid, ehem. Präsidenti­n Estland.
[Mirjam Reither] Kersti Kaljulaid, ehem. Präsidenti­n Estland.
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[Mirjam Reither] Nouriel Roubini, US-Ökonom und Autor.
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[Reither] Karl-Theodor zu Guttenberg, ehem. Bundesmini­ster Deutschlan­d.

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