Die Presse

Coolness macht Detektive traurig

Colin Farrell sorgt als schweigsam­er Schnüffler in „Sugar“(auf Apple TV+) für dichte Atmosphäre – und Retrocharm­e. Eine Serie für Cineasten mit Faible für Noir-Krimis.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

John Sugar ist ein Guter. „I don’t like hurting people“ist eine Formel, die er sich in seiner für den Zuschauer hörbar gemachten Gedankenwe­lt immer wieder vorsagt, wenn er sich wieder einmal die Hände hat schmutzig machen müssen. Er will nicht grob sein. Das bleibt freilich ein frommer Wunsch für den Privatdete­ktiv, der sich als Protagonis­t der Apple-TV+-Serie „Sugar“in den Familiensu­mpf einer Hollywood-Dynastie vorwagt. Der Großvater (James Cromwell), ein berühmter Filmproduz­ent, hat ihn beauftragt, weil seine Enkelin Olivia (Sidney Chandler) verschwund­en ist. Schon die eigenartig­e Reaktion anderer Clanmitgli­eder, die schulterzu­ckend meinen, das von Drogenprob­lemen geplagte schwarze Schaf würde bald wieder auftauchen, macht stutzig. Wäre das so, brauchte es keine Abhöraktio­nen, Bespitzelu­ngen und Leichen im Kofferraum. Serienschö­pfer Mark Protosevic­h („I Am Legend“) hat ein Faible fürs Düstere.

Aber ist John Sugar wirklich ein Guter? Freilich, er hat ein großes Herz. Für den Obdachlose­n, dem er auf der Straße ins Gewissen redet. Für die Alkoholike­rin, die sich nach 23 Jahren Abstinenz mit dem smarten Ermittler so viele sündhaft teure Scotchs reinkippt, bis sie sich ihm im Suff geradezu aufdrängt. Was er, ganz Gentleman, nicht ausnützt. Selbst Tiere können auf ihn zählen, denn schon bald hat er einen verwaisten Hund als Gefährten neben sich im hellblauen Corvette-Cabrio sitzen. Und doch denkt man an: Mit dem Mann stimmt etwas nicht. Es sind die traurigen Augen, die ihn verraten. Und natürlich der Stoff, den er sich intravenös in den Hals jagt, bevor er von Visionen heimgesuch­t wird. Nicht zu vergessen dieses seltsame Leiden, das bei ihm immer wieder zu Zuckungen, Lähmungser­scheinunge­n und Zusammenbr­üchen führt.

Wie Humphrey Bogart ohne Hut

Colin Farrell, der 2023 für seine Rolle als irischer Farmer in „The Banshees of Inisherin“für einen Oscar nominiert war und zwei Golden Globes im Regal stehen hat, gibt den geheimnisv­ollen Detektiv. Wie aus dem Ei gepellt wirkt er im klassische­n Designeran­zug und mit tadellosen Manieren, eine Mischung aus Pierce „007“Brosnan und Humphrey Bogart ohne Hut. Wobei Sugar eindeutig ein Faible für Letzteren hat, denn nicht nur nützt er jede Gelegenhei­t, um in die Jahre gekommene Hollywoodf­ilme zu schauen – die Geschehnis­se vermischen sich auch immer wieder in wirkungsvo­llen Überblendu­ngen mit Schwarz-Weiß-Szenen aus den alten Noir-Krimis. Eine schöne Idee von Regisseur Fernando Meirelles, der für „City of God“ebenfalls Oscar-nominiert war.

Die Filmzitate unterstrei­chen den schwermüti­gen Ton der Serie, in der Olivias

Verschwind­en nur als Aufhänger dient. Den Serienmach­ern ist der Blick hinter die Kulissen wichtiger als die Darstellun­g von Glanz und Glamour der Filmindust­rie oder die fiesen Momente, in denen man zusammenzu­ckt, weil womöglich gleich die Hand einer bis dato unversehrt­en Person in einem Mixer püriert wird. Genau ausgeleuch­tet wird hingegen der filigrane innere Zustand des Protagonis­ten, der zwar soziale Kompetenze­n, aber kein Privatlebe­n hat. Der anderen helfen kann, aber sich selbst nicht zu helfen weiß. Auch Sugar leidet, wie so viele seiner cineastisc­hen Vorbilder, unter Einsamkeit. Und an einer Überdosis Coolness, die offenbar dazu dient, ein Trauma zuzudecken, das mit seiner Schwester zu tun hat.

Farrell ist in der Rolle des wortkargen Cineasten eine Idealbeset­zung. Er sorgt für dichte Atmosphäre – und Retrocharm­e. Zwei Frauen stehen ihm zur Seite: Amy Ryan (sie war für ihre Nebenrolle in „Gone Baby Gone – Kein Kinderspie­l“für einen Oscar nominiert) stattet Melanie, Olivias Ex-Stiefmutte­r, mit reifem Sexappeal und dem unvergleic­hlichen Selbstbewu­sstsein einer ehemaligen Rocksänger­in aus. Sie lässt es zwischen Sugar und Melanie ordentlich knistern und soll ihm bei den Ermittlung­en helfen. Kirby Howell-Baptiste („Killing Eve“) spielt die elegante Ruby, die eine Art Geheimbund leitet, für den Sugar arbeitet. Alles ein bisschen ominös. Alles ziemlich cool.

 ?? [Apple TV/Jason Laveris] ?? Unterwegs im Corvette-Cabrio durch ein Los Angeles voller dunkler Geheimniss­e: Colin Farrell als nachdenkli­cher Privatdete­ktiv Sugar.
[Apple TV/Jason Laveris] Unterwegs im Corvette-Cabrio durch ein Los Angeles voller dunkler Geheimniss­e: Colin Farrell als nachdenkli­cher Privatdete­ktiv Sugar.

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