Umgang mit Rechtsextremen: Brandmauer oder Dialog?
Wie eine ganz normale TV-Diskussion zu einem politischen Sonderereignis wurde.
In Deutschland hat kürzlich ein TV-Duell zweier Politiker stattgefunden, das von der interessierten Öffentlichkeit mit ähnlicher Aufregung erwartet worden war wie ein Match zwischen dem FC Bayern München und Bayer 04 Leverkusen. Der Unterschied war nur, dass nicht der Ausgang der Begegnung das eigentliche Thema war, sondern die Tatsache, dass die Veranstaltung überhaupt stattfand. Es gab viele Stimmen, vor allem auf der politischen Linken einschließlich ihrer Medien, die die Meinung vertraten, so etwas dürfe es überhaupt nicht geben.
Worum ging es: Mario Voigt, Vorsitzender der CDU im Bundesland Thüringen und Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl im Herbst, forderte Björn Höcke, Chef der AfD im Land und seinerseits Spitzenkandidat, der seit 2020 vom deutschen Verfassungsschutz überwacht wird, zu einer Diskussion im Fernsehen auf. Unmittelbarer Anlass war die Bemerkung Höckes, „diese EU muss sterben”. Die beiden Politiker sind momentan im Landtag in Erfurt in der Opposition, die Regierung wird von der Linkspartei unter Ministerpräsident Bodo Ramelow geführt. In den Umfragen führt die AfD, gefolgt mit Abstand von der CDU.
Höcke ist bundesweit bekannt als der führende Vertreter des vom Verfassungsschutz als rechtsradikal eingestuften „Flügels” der AfD, der unterdessen zwar formell aufgelöst wurde, aber in der Person von Höcke weiterhin sehr einflussreich in der AfD ist – auch über Thüringen hinaus. Voigt ist bisher außerhalb seines Bundeslandes nicht aufgefallen. Für nach der Wahl verspricht der eine „Deutschland-Koalition” mit der schwachen Thüringer SPD und der noch schwächeren FDP. Eine Koalition mit der AfD schließt er dezidiert aus. Dass er jetzt trotzdem bzw. gerade deshalb offensiv die AfD herausfordert und sie zu einer Debatte zwingt, hat ihm Respekt und auch bundesweite Aufmerksamkeit verschafft.
Ja darf‘s denn das geben?
Veranstaltet wurde die Debatte von Welt-TV der Tageszeitung „Die Welt”, die öffentlich-rechtlichen Stationen wollten dergleichen nicht wagen. Ramelow lehnt es ab, mit Höcke oder einem anderen AfD-Vertreter in einer Debatte aufzutreten. Auch in anderen Bundesländern wollen etwa SPD-Politiker wie die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, nicht mit der AfD öffentlich diskutieren. Die Begründung lautet, man wolle der AfD keine Bühne bieten und sich damit auf dieselbe Stufe mit der als demokratiefeindlich erachteten Partei stellen. In Thüringen riet die SPD ihren Anhän
gern allen Ernstes sogar, während der Debatte ein Unterhaltungsprogramm auf einem anderen Sender anzuschauen.
Der Intendant des Senders begründete seine Entscheidung damit, „dass ein solches Duell zur politischen Meinungsbildung beitragen kann”. Nachher gab er in gewisser Ironie und mit Erleichterung zu: „Es musste schiefgehen. Es ist aber nicht schiefgegangen.” Dass eine Fernsehdebatte in Zeiten des Wahlkampfs in den Kategorien von Sieg und Niederlage betrachtet wird, ist normal. Aber warum hätte sie überhaupt schiefgehen können? Das lässt sich nur mit der tiefen Unsicherheit in Deutschland darüber erklären, wie mit der AfD im demokratischen Diskurs umzugehen sei.
Bisher setzen alle Parteien auf Ausschluss und Ausgrenzung. Dafür wurde der Begriff der „Brandmauer” geprägt. Die Verantwortung dafür, die Brandmauer gegen die AfD zu halten, wurde den Unionsparteien zugeschoben, denn sie müssten verhindern, dass ihre Wähler zur AfD abwandern. Diese sorgsam gepflegte Vorstellung, die linken Parteien hätten nichts mit dem Aufstieg der AfD zu tun, ist allerdings bei der Landtagswahl im letzten Herbst in Hessen zusammengebrochen. „Extrem viele linke Wähler” hätten die AfD gewählt, konstatierte die „Süddeutsche Zeitung“damals trocken. In Hessen ist nur ein kleiner Teil von früheren CDU-Wählern zur AfD gewechselt, der Großteil der AfD-Stimmen kam von der SPD und der FDP, weniger von den Grünen und den Linken.
Keine Bühne für die AfD?
Erfolgreich war diese Strategie – wenn es denn überhaupt eine ist – jedenfalls nicht. In den drei östlichen Bundesländern, die heuer wählen, ist die AfD drauf und dran, die Mehrheit zu gewinnen. Die übrigen Parteien verhalten sich gegenüber der AfD von Anfang an eher angstgetrieben als souverän. Deshalb konnte die Entscheidung Voigts, Höcke zur Debatte zu fordern, als „Mutprobe” bezeichnet werden. Als ob es in einer Demokratie eines besonderen Mutes bedürfte, sich einer öffentlichen Diskussion zu stellen und sich mit den Argumenten eines Gegners auseinanderzusetzen.
Die Diskussion mit der AfD zu verweigern, weil man ihr „keine Bühne” bieten dürfe, ist in der heutigen Medienwelt nur eine Ausflucht. Die AfD hat sich wie alle rechtspopulistischen Bewegungen ihre eigenen Bühnen längst geschaffen. Sie beherrscht den Umgang mit den alternativen Medien bestens und schafft damit die Parallelwelten für ihre Anhängerschaft. Sachlichem Widerspruch muss sie sich dort gar nicht aussetzen.
„Hat sich die Show gelohnt?” So wurde gefragt. Jedenfalls für Voigt hat sie sich gelohnt. Er hat sich als beherzter Politiker erwiesen und gezeigt, dass man als demokratischer Politiker auch einem so extremen Populisten, wie es Höcke ist, nicht einfach unterlegen sein muss. Überzeugend war er auch deshalb, weil er nicht im Verdacht steht, die AfD deshalb salonfähig machen zu wollen, weil er ihr Koalitionspartner werden möchte.
Rückholung von Deutschen
Voigt war gut vorbereitet und hat Höcke beim Wort genommen, was dieser von seiner Meinungsblase nicht gewöhnt ist. Dabei stellte sich wieder einmal heraus, dass Populisten sehr wendig sein können und keineswegs so felsenfeste Überzeugungen haben müssen, wie man leicht meint. Das zeigte sich, als es um die „Remigration” ging, von der die Identitären und die AfD reden. Damit sei nicht die Abschiebung von Immigranten in ihre früheren Heimatländer gemeint, sagte Höcke kaltschnäuzig, sondern die Rückholung von eineinhalb Millionen Deutschen, die in den vergangenen Jahren ausgewandert sind. Ein, nebenbei bemerkt, durchaus erstrebenswertes Ziel.
Es war Höcke offensichtlich darum zu tun, sich als einen gemäßigten Politiker darzustellen. „Höcke wird für viele um einen Tick normaler und gesellschaftsfähiger wirken als zuvor”, gestand ihm der „Spiegel” zu. Der AfD wurde aber auch vorgeführt, was sie zu gewinnen und verlieren hat, wenn sie sich einer Debatte stellt. Jedenfalls habe man „einen der spannendsten Fernsehabende seit Langem gesehen”, schrieb das Magazin „Focus”.
Eine Lehre aus der eigentlich selbstverständlichen TV-Veranstaltung sollte sein: Besser als die Populisten auszugrenzen ist es, sie inhaltlich auf den Prüfstand zu stellen. Deshalb ist es auch ein Missverständnis, wenn der „Stern” schrieb, Voigt habe die Chance vergeben, seinem Gegner den „entscheidenden Punch” zu verpassen. Man kann auch im Umgang mit Radikalen die hehren Werte der Demokratie nicht außer Kraft setzen: Diskurs, Debatte, Streit, Argumente, Kommunikation. Wie sonst sollte man die Wähler dieser Parteien erreichen?