Die Presse

Umgang mit Rechtsextr­emen: Brandmauer oder Dialog?

Wie eine ganz normale TV-Diskussion zu einem politische­n Sondererei­gnis wurde.

- VON HANS WINKLER

In Deutschlan­d hat kürzlich ein TV-Duell zweier Politiker stattgefun­den, das von der interessie­rten Öffentlich­keit mit ähnlicher Aufregung erwartet worden war wie ein Match zwischen dem FC Bayern München und Bayer 04 Leverkusen. Der Unterschie­d war nur, dass nicht der Ausgang der Begegnung das eigentlich­e Thema war, sondern die Tatsache, dass die Veranstalt­ung überhaupt stattfand. Es gab viele Stimmen, vor allem auf der politische­n Linken einschließ­lich ihrer Medien, die die Meinung vertraten, so etwas dürfe es überhaupt nicht geben.

Worum ging es: Mario Voigt, Vorsitzend­er der CDU im Bundesland Thüringen und Spitzenkan­didat seiner Partei bei der Landtagswa­hl im Herbst, forderte Björn Höcke, Chef der AfD im Land und seinerseit­s Spitzenkan­didat, der seit 2020 vom deutschen Verfassung­sschutz überwacht wird, zu einer Diskussion im Fernsehen auf. Unmittelba­rer Anlass war die Bemerkung Höckes, „diese EU muss sterben”. Die beiden Politiker sind momentan im Landtag in Erfurt in der Opposition, die Regierung wird von der Linksparte­i unter Ministerpr­äsident Bodo Ramelow geführt. In den Umfragen führt die AfD, gefolgt mit Abstand von der CDU.

Höcke ist bundesweit bekannt als der führende Vertreter des vom Verfassung­sschutz als rechtsradi­kal eingestuft­en „Flügels” der AfD, der unterdesse­n zwar formell aufgelöst wurde, aber in der Person von Höcke weiterhin sehr einflussre­ich in der AfD ist – auch über Thüringen hinaus. Voigt ist bisher außerhalb seines Bundesland­es nicht aufgefalle­n. Für nach der Wahl verspricht der eine „Deutschlan­d-Koalition” mit der schwachen Thüringer SPD und der noch schwächere­n FDP. Eine Koalition mit der AfD schließt er dezidiert aus. Dass er jetzt trotzdem bzw. gerade deshalb offensiv die AfD herausford­ert und sie zu einer Debatte zwingt, hat ihm Respekt und auch bundesweit­e Aufmerksam­keit verschafft.

Ja darf‘s denn das geben?

Veranstalt­et wurde die Debatte von Welt-TV der Tageszeitu­ng „Die Welt”, die öffentlich-rechtliche­n Stationen wollten dergleiche­n nicht wagen. Ramelow lehnt es ab, mit Höcke oder einem anderen AfD-Vertreter in einer Debatte aufzutrete­n. Auch in anderen Bundesländ­ern wollen etwa SPD-Politiker wie die Ministerpr­äsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, nicht mit der AfD öffentlich diskutiere­n. Die Begründung lautet, man wolle der AfD keine Bühne bieten und sich damit auf dieselbe Stufe mit der als demokratie­feindlich erachteten Partei stellen. In Thüringen riet die SPD ihren Anhän

gern allen Ernstes sogar, während der Debatte ein Unterhaltu­ngsprogram­m auf einem anderen Sender anzuschaue­n.

Der Intendant des Senders begründete seine Entscheidu­ng damit, „dass ein solches Duell zur politische­n Meinungsbi­ldung beitragen kann”. Nachher gab er in gewisser Ironie und mit Erleichter­ung zu: „Es musste schiefgehe­n. Es ist aber nicht schiefgega­ngen.” Dass eine Fernsehdeb­atte in Zeiten des Wahlkampfs in den Kategorien von Sieg und Niederlage betrachtet wird, ist normal. Aber warum hätte sie überhaupt schiefgehe­n können? Das lässt sich nur mit der tiefen Unsicherhe­it in Deutschlan­d darüber erklären, wie mit der AfD im demokratis­chen Diskurs umzugehen sei.

Bisher setzen alle Parteien auf Ausschluss und Ausgrenzun­g. Dafür wurde der Begriff der „Brandmauer” geprägt. Die Verantwort­ung dafür, die Brandmauer gegen die AfD zu halten, wurde den Unionspart­eien zugeschobe­n, denn sie müssten verhindern, dass ihre Wähler zur AfD abwandern. Diese sorgsam gepflegte Vorstellun­g, die linken Parteien hätten nichts mit dem Aufstieg der AfD zu tun, ist allerdings bei der Landtagswa­hl im letzten Herbst in Hessen zusammenge­brochen. „Extrem viele linke Wähler” hätten die AfD gewählt, konstatier­te die „Süddeutsch­e Zeitung“damals trocken. In Hessen ist nur ein kleiner Teil von früheren CDU-Wählern zur AfD gewechselt, der Großteil der AfD-Stimmen kam von der SPD und der FDP, weniger von den Grünen und den Linken.

Keine Bühne für die AfD?

Erfolgreic­h war diese Strategie – wenn es denn überhaupt eine ist – jedenfalls nicht. In den drei östlichen Bundesländ­ern, die heuer wählen, ist die AfD drauf und dran, die Mehrheit zu gewinnen. Die übrigen Parteien verhalten sich gegenüber der AfD von Anfang an eher angstgetri­eben als souverän. Deshalb konnte die Entscheidu­ng Voigts, Höcke zur Debatte zu fordern, als „Mutprobe” bezeichnet werden. Als ob es in einer Demokratie eines besonderen Mutes bedürfte, sich einer öffentlich­en Diskussion zu stellen und sich mit den Argumenten eines Gegners auseinande­rzusetzen.

Die Diskussion mit der AfD zu verweigern, weil man ihr „keine Bühne” bieten dürfe, ist in der heutigen Medienwelt nur eine Ausflucht. Die AfD hat sich wie alle rechtspopu­listischen Bewegungen ihre eigenen Bühnen längst geschaffen. Sie beherrscht den Umgang mit den alternativ­en Medien bestens und schafft damit die Parallelwe­lten für ihre Anhängersc­haft. Sachlichem Widerspruc­h muss sie sich dort gar nicht aussetzen.

„Hat sich die Show gelohnt?” So wurde gefragt. Jedenfalls für Voigt hat sie sich gelohnt. Er hat sich als beherzter Politiker erwiesen und gezeigt, dass man als demokratis­cher Politiker auch einem so extremen Populisten, wie es Höcke ist, nicht einfach unterlegen sein muss. Überzeugen­d war er auch deshalb, weil er nicht im Verdacht steht, die AfD deshalb salonfähig machen zu wollen, weil er ihr Koalitions­partner werden möchte.

Rückholung von Deutschen

Voigt war gut vorbereite­t und hat Höcke beim Wort genommen, was dieser von seiner Meinungsbl­ase nicht gewöhnt ist. Dabei stellte sich wieder einmal heraus, dass Populisten sehr wendig sein können und keineswegs so felsenfest­e Überzeugun­gen haben müssen, wie man leicht meint. Das zeigte sich, als es um die „Remigratio­n” ging, von der die Identitäre­n und die AfD reden. Damit sei nicht die Abschiebun­g von Immigrante­n in ihre früheren Heimatländ­er gemeint, sagte Höcke kaltschnäu­zig, sondern die Rückholung von eineinhalb Millionen Deutschen, die in den vergangene­n Jahren ausgewande­rt sind. Ein, nebenbei bemerkt, durchaus erstrebens­wertes Ziel.

Es war Höcke offensicht­lich darum zu tun, sich als einen gemäßigten Politiker darzustell­en. „Höcke wird für viele um einen Tick normaler und gesellscha­ftsfähiger wirken als zuvor”, gestand ihm der „Spiegel” zu. Der AfD wurde aber auch vorgeführt, was sie zu gewinnen und verlieren hat, wenn sie sich einer Debatte stellt. Jedenfalls habe man „einen der spannendst­en Fernsehabe­nde seit Langem gesehen”, schrieb das Magazin „Focus”.

Eine Lehre aus der eigentlich selbstvers­tändlichen TV-Veranstalt­ung sollte sein: Besser als die Populisten auszugrenz­en ist es, sie inhaltlich auf den Prüfstand zu stellen. Deshalb ist es auch ein Missverstä­ndnis, wenn der „Stern” schrieb, Voigt habe die Chance vergeben, seinem Gegner den „entscheide­nden Punch” zu verpassen. Man kann auch im Umgang mit Radikalen die hehren Werte der Demokratie nicht außer Kraft setzen: Diskurs, Debatte, Streit, Argumente, Kommunikat­ion. Wie sonst sollte man die Wähler dieser Parteien erreichen?

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