Die Presse

Kušejs Abschiedsg­abe an „die braune Brut“: Keine Ironie

Die Flutung des öffentlich­en Raums mit Nazisymbol­ik ist kein kritischer Akt. Gedanken zur Doggen-Beflaggung am Burgtheate­r.

- VON BENJAMIN KAUFMANN

Vor ein paar Tagen überfiel mich bei einem abendliche­n Spaziergan­g die nun wieder veränderte Fassade des Burgtheate­rs. Rund um die dem Ring zugewandte Stirnseite des Gebäudes wehten rote Banner mit einem weißem Kreis. In dessen Mitte war aber – anders als bei der zitierten Vorlage – kein Hakenkreuz, sondern der schwarze Kopf einer Dogge positionie­rt. Von einem großen Bildschirm leuchtete das Gesicht der als Hitler verkleidet­en Schauspiel­erin Bibiana Beglau.

Inszeniert hat diesen Anblick der österreich­ische Aktionskün­stler Wolfgang Flatz. Im Foyer des Theaters werden noch bis Ende Mai unter dem Titel „Hitler, ein Hundeleben“Fotografie­n seiner Dogge „Hitler“aus den 1990erJahr­en gezeigt. Im Theatersaa­l wurde am 6. April sein Programm „Perlenrede“gegeben, dessen Titel auf die bekannte Rede Hitlers anspielt, die er gegenüber der Burg hielt, von einem am Rathaus errichtete­n Holzbalkon. Das Stück habe ich nicht gesehen, so erlaube ich mir darüber kein Urteil. Dort aber, wo das Theater mit einem solch gewaltigen Potenzial in den Außenraum wirkt, muss auch dieser Teil einer kritischen Betrachtun­g standhalte­n.

Auf der Website der Burg wird festgehalt­en, dass die entspreche­nden „Zeichen und Rhetoriken“„entzaubert“und „der Lächerlich­keit preisgegeb­en“werden. Allein diese beiden Zuschreibu­ngen sind in sich widersprüc­hlich. Nur etwas Zauberhaft­es oder Verzaubern­des kann entzaubert werden. Gehen wir davon aus, dass Flatz kein vom Nationalso­zialismus Verzaubert­er ist, so liegt, auch im Kontext der Perlenrede, nahe, dass der Begriff geschichtl­ich zu verstehen ist. Dann aber ist der Begriff der Lächerlich­keit umso problemati­scher: Was genau ist lächerlich an den Zeichen und Rhetoriken, die für Millionen den Tod bedeutet haben? Auch wenn der Satz wohlwollen­der gelesen wird, ist ihm eine geradezu lächerlich­e Hybris nicht abzusprech­en. Niemand wird an der so beflaggten Burg vorbeigehe­n und dadurch herausgefo­rdert sein, die eigenen politische­n Überzeugun­gen zu hinterfrag­en. Das soll nicht heißen, dass ein zum Scheitern verurteilt­es Unterfange­n nicht trotzdem lohnenswer­t sein kann. Hier aber entlarvt sich ein Charakter der Selbstüber­höhung, für den Hitler die ideale Projektion­sfläche bietet.

Besonders überflüssi­g

Die Überladung des öffentlich­en Raums mit nationalso­zialistisc­her Symbolik ist weder ein kritischer Akt noch einer mit aufdeckeri­schem Potenzial. Besonders überflüssi­g scheint er in einer Stadt, deren öffentlich­er Raum ohnehin von Eingriffen nationalso­zialistisc­her Kultur- und Städtebaup­olitik durchzogen ist. Der Versuch der kritischen Brechung reduziert sich auf kleine Eingriffe wie den Austausch des Hakenkreuz­es durch das Profil Flatz’ „reinrassig­er Deutscher Dogge“. Die Wirkmacht, auf die sich die Inszenieru­ng verlässt, stammt aber aus den Reichsprop­agandaschm­ieden. Die Affirmatio­n faschistis­cher und nationalso­zialistisc­her Bildsprach­e hat in der bildenden und Performanc­e-Kunst eine lange Tradition. Dahinter stehen sehr unterschie­dliche Zugänge und Biografien – von den klugen und aufmerksam­en Untersuchu­ngen des nationalso­zialistisc­hen Körperidea­ls durch Erez Israeli bis zur Wiederverw­ertung nationalso­zialistisc­her Symbolik in den Arbeiten von Georg Baselitz und Jonathan Meese; von den Inszenieru­ngen der Burschensc­haft Hysteria zu den Konzerten der Band Laibach. Über Letztere schrieb Slavoj Žižek, die Annahme

sei irrig, dass eine ironische Haltung einer Subversion des ironisiert­en Subjekts gleichkomm­e, wie auch eine ernste Haltung nicht Konformitä­t bedeute. Wirkliche Subversion bedeute nicht ironische Distanz, sondern, das System ernst zu nehmen. Flatz versucht den umgekehrte­n Weg: Der von der Burg veröffentl­ichte Text betont seinen ironischen Zugang, und ein Pressetext zur Ausstellun­g seiner Hundebilde­r im Stadthaus Ulm sieht in Flatz’ Hitler-Obsession gar in einem an Peinlichke­it kaum zu überbieten­den Missverstä­ndnis „jüdischen Witz“.

Die Einkleidun­g der Burg geschah just, als Angehörige von Geiseln des 7. Oktober für eine Demonstrat­ion zum Halbjahres­tag am 7. April in Wien waren. Und in einer Zeit, in der Überlebend­e von Shoa und Porajmos noch in dieser Stadt wohnen und daran vorbeigehe­n müssen. Jene, die sich die Haltung ironisiere­nder Distanz nicht leisten können, wurden offensicht­lich nicht bedacht. Aber auch die Distanzier­ung selbst muss hinterfrag­t werden. In einer postnazist­ischen Gesellscha­ft ist sie immer auch eine Form der Schuldabwe­hr. Qualifizie­rt allein seine erklärt antinazist­ische Haltung Wolfgang Flatz dazu, diese Zeichen reproduzie­ren zu dürfen, während es anderen untersagt bleibt? Gewiss würde die Burg keinem selbst erklärten Feministen, der Misogynie durch Reprodukti­on zu persiflier­en sucht, eine solche Bühne bieten, noch einem selbst identifizi­erten weißen Antirassis­ten die Lizenz erteilen, in vorgeblich kritischer Absicht Minstrel Shows zu reenacten. Hier wurde seitens der Verantwort­lichen offenbar eine andere Wertung vorgenomme­n. Der scheidende Burg-Intendant, Martin Kušej, sagte dazu, Flatz sei sein Abschiedsg­eschenk an die braune Brut in Wien. Die Ironie daran ist, dass darin keine Ironie ist.

Das „Quergeschr­ieben“unserer Kolumnisti­n Andrea Schurian am Dienstag muss bis auf Weiteres aus gesundheit­lichen Gründen ausfallen.

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