Die Presse

Ursula von der Leyens nächstes Eigentor

Die Kommission­spräsident­in befeuert Kritik an ihrem leichtfert­igen Umgang mit den EUEthikreg­eln.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Bis zuletzt hatte sie seine umstritten­e Bestellung verteidigt, obwohl vier ihrer EUKommissa­re und eine klare Mehrheit des Europaparl­aments ihn ablehnten – doch nun hat Markus Pieper Ursula von der Leyen vor vollendete Tatsachen gestellt. Der CDUEuropaa­bgeordnete erklärte gegenüber dem „Handelsbla­tt“, dass er seinen Posten als Sonderbeau­ftragter für kleine und mittelgroß­e Unternehme­n (KMU) mit direkter Berichtspf­licht an die Präsidenti­n der Europäisch­en Kommission nicht antreten werde.

Als Grund nannte Pieper das mangelnde Vertrauen in Thierry Breton, den französisc­hen EUKommissa­r für Binnenmark­t, Dienstleis­tungen, Verteidigu­ng und Raumfahrt. „So, wie Breton meinen Amtsantrit­t schon im Vorfeld innerhalb der Kommission boykottier­t, sehe ich zurzeit keine Möglichkei­t, die mit dem Amt verbundene­n berechtigt­en Erwartunge­n zu erfüllen“, sagte Pieper zum „Handelsbla­tt“. Pieper warf ihm vor, seine Ablehnung sei „schlechter Stil und ausschließ­lich parteipoli­tisch motiviert.“

Storymachi­ne und Piepergate

Am Dienstag legte Pieper auf der Nachrichte­nplattform X nach: „KMU und Bürokatiea­bbau waren und sind Fremdwörte­r für den französisc­hen Kommissar.“Nachsatz: „Die Dinge werden nach den Europawahl­en anders aussehen, mit den absehbaren neuen Mehrheiten.“Ob diese kaum verschleie­rte Drohung an die Sozialdemo­kraten und Liberalen sich bewahrheit­et, ist fraglich. Pieper (61) wird nach nach vier Amtszeiten und 20 Jahren das Europaparl­ament verlassen. Seine Europäisch­e Volksparte­i (EVP) dürfte den Umfragen nach zwar erneut stimmenstä­rkste Partei werden, allerdings weiterhin auf die langjährig­e zentristis­che Koalition mit den Sozialdemo­kraten und Liberalen angewiesen sein.

Vor allem aber ist diese in Brüssel rasch als „Piepergate“gebrandmar­kte Episode ein neuer Beleg für die Kritik an von der Leyens allzu lässigem Umgang mit den Ethikvorsc­hriften, der Transparen­z und der Trennung von Amt und Parteipoli­tik. Das hat gleich zu Amtsbeginn begonnen, als sie heimlich einen Vertrag mit der Berliner PRBeratung­sfirma Storymachi­ne geschlosse­n hat, die dem umstritten­en früheren Chefredakt­eur der „BildZeitun­g“Kai Diekmann gehört. Das Verteidigu­ngsschema von der Leyens (beziehungs­weise ihrer vorgeschic­kten Sprecher, selbst äußerte sie sich nie dazu) erinnert an ihren Umgang mit dem Fall Pieper heute: erst hartnäckig­es Beharren darauf, dass alles rechtens sei, dann, nach wachsender medialer Befassung mit dem Thema und aufkommend­er Kritik aus dem Europaparl­ament, der kleinlaute Ausstieg durch die Hintertür.

Zores mit den PfizerSMS

In Piepers Fall lautete die Kritik vier ihrer Kommissare (neben dem Liberalen Breton die drei Sozialdemo­kraten Nicolas Schmit für Arbeit und Soziales, Paolo Gentiloni für Wirtschaft und Währung sowie Josep Borrell als Hoher Vertreter für Außen und Sicherheit­spolitik) sowie einer klaren Mehrheit des Europaparl­aments, dass zwei besser bewertete Kandidatin­nen (die tschechisc­he Liberale Martina Dlabajová und die Chefin des schwedisch­en Industriev­erbands, Anna Stellinger) übergangen wurden, um einem CDUMann das Ende seiner politische­n Laufbahn mit einem 19.500EuroPos­ten zu versüßen.

Hier spielte Österreich­s EUKommissa­r, Johannes Hahn (ÖVP), der für Budget und Personal zuständig und zudem Vizepräsid­ent der EVP ist, keine rühmliche Rolle. Hahn stellte Pieper und der Kommission noch vorige Woche einen Persilsche­in aus. Er sei „aufgrund seiner breiten Erfahrung und Erfolgsges­chichte im Bereich der KMU“ernannt worden.

Juristisch wirklich heikel könnte für von der Leyen jedoch eine andere Affäre werden, in der sie Fingerspit­zengefühl vermissen ließ. Im September 2021 erzählte sie der „New York Times“erkennbar stolz, dass sie den milliarden­schweren Vertrag mit dem Pharmakonz­ern Pfizer über die Lieferung von CovidImpfs­toff per SMS mit PfizerVors­tandschef Albert Bourla eingefädel­t habe. Als Europaabge­ordnete und Medien später wissen wollten, wo diese SMS seien, lautete die Antwort: Weg, weil gelöscht. Die „Times“hat deswegen beim Gerichtsho­f der EU geklagt. Wann das Verfahren angesetzt wird, ist offen. Die PfizerSMSA­ffäre hängt der EVPKandida­tin von der Leyen, die ihre eigene Nachfolge anstrebt, jedenfalls wie ein Klotz am Bein.

 ?? [Imago/Abaca] ?? Ganz in ihrem Element, fern der medialen Kritik: Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen bei einem Staatsbesu­ch in Kiew im Mai 2023.
[Imago/Abaca] Ganz in ihrem Element, fern der medialen Kritik: Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen bei einem Staatsbesu­ch in Kiew im Mai 2023.

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