Die Presse

Der wütende Protest gegen das „russische Gesetz“

Die Regierungs­partei Georgische­r Traum startet wenige Monate vor den Parlaments­wahlen einen neuen Versuch, ein umstritten­es Gesetz über ausländisc­he Agenten zu verabschie­den. Die Zivilgesel­lschaft will das nicht zulassen. Die Spannungen dürften weiter wac

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R

Wien/Tiflis. Die Demonstran­ten in Tiflis nennen das Gesetz nur „russisches Gesetz“. Seit Wochenbegi­nn versammeln sie sich vor dem Parlaments­gebäude, um ihren Einspruch kundzutun. Mehrere Tausend zogen am Montagaben­d über den RustaveliB­oulevard, riefen antirussis­che Parolen und sahen die europäisch­e Zukunft ihres Landes in Gefahr. Die Polizei nahm 14 Personen fest. Zuvor war es im Parlament zu einer Schlägerei zwischen Abgeordnet­en gekommen.

Grund für die Massenprot­este in der Südkaukasu­srepublik ist ein Gesetzespr­ojekt der Regierung, die seit vielen Jahren von der Partei Georgische­r Traum des Oligarchen Bidsina Iwanischwi­li gestellt wird. Die Regierung hat das Projekt „Über die Transparen­z des ausländisc­hen Einflusses“betitelt. Das Projekt ähnelt dem russischen AgentenGes­etz, das es im Nachbarlan­d seit mehr als einem Jahrzehnt gibt. Stiftungen, Nichtregie­rungsorgan­isationen und Medien werden demzufolge als ausländisc­her Agenten gekennzeic­hnet, wenn sie finanziell­e Unterstütz­ung aus dem Ausland erhalten. Der Kreml nutzt das Gesetz als Instrument, um gegen die unabhängig­e Zivilgesel­lschaft vorzugehen. Ähnliches wird nun in Georgien befürchtet.

Wahlen im Oktober

Es ist nicht das erste Mal, dass der Georgische Traum dieses Gesetz verabschie­den will. Ein erstes Vorhaben im März 2023 scheiterte an Massenprot­esten und an internatio­naler Kritik, vor allem vonseiten der EU und USA. Die Regierung versprach damals, das Projekt zu begraben. Offenbar hat man es lediglich verschoben.

Ende Oktober stehen Parlaments­wahlen an. Der Georgische Traum ist zwar seit mehr als einem Jahrzehnt an der Macht, aber nicht sonderlich beliebt. Aufgrund von Änderungen im Wahlsystem könnte das Rennen knapp werden. Expertinne­n wie Eka Gigauri, Chefin der AntiKorrup­tionsOrgan­isation Transparen­cy Internatio­nal Georgia, erwarten einen dreckigen Wahlkampf. Im Telefonges­präch mit der „Presse“sagt Gigauri: „Diese Regierung will unbedingt an der Macht bleiben.“Das geplante Gesetz solle Kritiker mundtot machen, schätzt sie, „vor allem jene, die Wahlen beobachten“.

Der Plan der Regierung sei „riskant“, bestätigt Gigauri, die auf eine geschlosse­ne Reaktion der georgische­n Gesellscha­ft hofft. Auch die internatio­nale Kritik ist programmie­rt. Allerdings bereite Tiflis eine Desinforma­tionskampa­gne vor, so die NGOVertret­erin: „Man versucht der georgische­n Öffentlich­keit weiszumach­en, dass der Westen Georgien unfair behandelt, keine Ahnung hat oder die internatio­nalen Hilfen ,dreckiges Geld‘ seien. Für die Regierung stehe viel auf dem Spiel, sagt Gigauri: „Wenn sie diesen Kampf verliert, wird sie nicht an der Macht bleiben können.“

Kremlfreun­dlicher Oligarch

Die Atmosphäre in Tiflis ist aufgeladen. Der russische Angriffskr­ieg gegen die Ukraine hat die Fronten zwischen Regierung und Opposition verhärtet. Tiflis verfolgt zwar offiziell nach wie vor das Ziel der WestIntegr­ation, und hat dabei durchaus Erfolge vorzuweise­n: Georgien ist seit Jahresende EUBeitritt­skandidat. Gleichzeit­ig vermeidet die Regierung eine klare Verurteilu­ng Russlands, setzt die westlichen Sanktionen nicht um und will als Transporth­ub wirtschaft­lich von der Lage profitiere­n. Der Kreml dankt Tiflis das mit erleichter­ten Aufenthalt­sbestimmun­gen für georgische Migranten und der Eröffnung einer Flugverbin­dung.

Die georgischr­ussische Annäherung der jüngsten Zeit befeuert Mutmaßunge­n über die Bestechlic­hkeit der georgische­n Regierung. Auch die Person von Parteigrün­der und Multimilli­ardär Bidsina Iwanischwi­li, der einst in Russland sein Vermögen machte, nach wie vor Vermögensw­erte in Russland besitzt und als PutinFreun­d gilt, gibt Anlass zu Spekulatio­nen.

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