Europas Machtspielchen mit China
Die EU will in Handelskonflikten auch selbst aktiver sein. So denkt sie über Zölle auf chinesische EAutos nach. Außerdem hat sie nun ein neues Abschreckungsinstrument.
Wien. Es waren überraschend starke Wirtschaftsdaten, mit denen Peking am Dienstag aufhorchen ließ: Chinas Wirtschaft legte im ersten Quartal um 5,3 Prozent zu – deutlich stärker als angenommen. Trotz schwacher Exportzahlen im März sprach das chinesische Statistikamt von einem „guten Start“ins Jahr.
Der wegen der anhaltenden Immobilienkrise zuletzt stotternde chinesische Wirtschaftsmotor ist also wieder angesprungen. Durch den aktuellen Besuch des deutschen Bundeskanzlers, Olaf Scholz, bei Chinas Präsident, Xi Jinping, war das Echo über die guten Wirtschaftszahlen auch in Europa kaum zu überhören.
Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der zweit und drittgrößten Volkswirtschaft der Welt sollten auch das bestimmende Thema beim gemeinsamen Austausch in Peking sein. Deutschland wolle sich wirtschaftlich trotz zuletzt kritischer Berichte keinesfalls von China abkoppeln, betonte Scholz, dem eine breite Wirtschaftsdelegation ins Reich der Mitte gefolgt war. „Wir wollen den wirtschaftlichen Austausch fortsetzen und auch intensivieren. Unsere Lieferketten sind eng verwoben“, so Scholz. „Beide Seiten sollten sich vor der Zunahme des Protektionismus hüten“, pflichtete Xi bei. (Mehr zu Scholz’ Besuch in China, S. 4.)
Der chinesische EAutoHersteller BYD ist auf dem Vormarsch.
Strafzölle auf EAutos?
Damit war ein schwelender Konflikt zwischen China und Europa angesprochen, ohne diesen konkret zu benennen. Im Herbst 2023 kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Untersuchung wegen Marktverzerrungen durch chinesische Subventionen auf dem EAutomarkt an. Bis Anfang Juni will Brüssel über mögliche Strafzölle auf chinesische Fahrzeuge entscheiden. Der Hintergrund: Während der Absatz europäischer Hersteller bei EAutos zuletzt schrumpfte, konnten chinesische Anbieter stark zulegen.
Den Grund dafür sehen EUBeamte in der Übersubventionierung von Chinas Industrie. Schon einmal hat China eine deutsche Schlüsselindustrie durch eine staatlich subventionierte Billigproduktion zerstört. Nun könnte der deutschen Autoindustrie ein ähnliches Schicksal drohen wie der Solarwirtschaft Mitte der Nullerjahre, so die Befürchtung.
Doch ausgerechnet die deutsche Autoindustrie warnt nun vor zu starken Markteingriffen seitens der Kommission gegenüber der chinesischen Konkurrenz. „Was wir als Exportnation nicht gebrauchen können, sind steigende Handelshindernisse“, warnt MercedesChef Ole Källenius, der Scholz auf seiner
Reise nach Peking begleitet, vor einem Handelsstreit mit China. Man solle „es mit der Angst vor ausländischen Herstellern nicht übertreiben“, pflichtete ihm BMWChef Oliver Zipse bei. Ausgleichszölle könnten sich bei einem Handelskonflikt entsprechend schnell negativ auswirken.
Die Prüfung möglicher Strafzölle zielt aber nicht allein auf China und den Automobilmarkt ab. Generell habe die EU schon vor Jahren erkannt – auch wegen der Schwäche der Welthandelsorganisation (WTO) –, dass sie ihre Handelspolitik auf mehrere Beine stellen müsse, sagt WifoÖkonomin Yvonne Wolfmayr. Die Konsequenz sei etwa eine Ausweitung von Freihandelsabkommen. Zudem arbeitet die EU seit einigen Jahren an Defensivinstrumenten, die anderen Volkswirtschaften im Fall von Handelskonflikten als Abschreckung vor unliebsamen Handelsbarrieren dienen sollen.
Zahl der Sanktionen steigt
Generell hat der Einsatz restriktiver handelspolitischer Maßnahmen, um außen und sicherheitspolitische Interessen durchzusetzen, mit dem zunehmenden Wettbewerb der Großmächte deutlich zugenommen. Die Zahl aktiver Sanktionen hat sich seit 2000 fast verdreifacht. Im Jahr 2022 hat allein die EU zur Durchsetzung ihrer außenpolitischen Ziele 40 Sanktionsregime implementiert (die jüngste Sanktionslawine gegen Russland noch gar nicht mitgezählt). Aber auch gegen die EU sind derzeit 15 Sanktionsregime aufrecht, von immer häufigeren Sanktionsdrohungen ganz zu schweigen.
Ein neues Instrumentarium der EU, das eine entschlossene Gegenreaktion auf Wirtschaftssanktionen gegen EUMitglieder vereinfachen soll, ist das seit Ende letzten Jahres geltende „AntiNötigung“Instrument (ACI). Sollte sich etwa China entschließen, deutsche Autoimporte zu beschränken, könne die EU damit rasch und unbürokratisch Gegenmaßnahmen beschließen, erklärt Wolfmayr. Konkret könne das etwa die Einhebung von Einfuhrzöllen auf chinesische Schlüsselimporte wie Elektrogeräte und Chemikalien bedeuten. In einem realistischen Szenario würden die daraus resultierenden wirtschaftlichen Schäden geringer ausfallen als für China selbst, zeigt eine WifoBerechnung. Die österreichische Zulieferindustrie würde in diesem Fall sogar profitieren, indem sie chinesische Ausfälle kompensiere, so Wolfmayr.
Wichtig dabei sei dabei eine sorgfältige volkswirtschaftliche KostenNutzenAbwägung. Ziel des ACI sei aus EUSicht aber ohnehin die Abschreckung und Verhinderung von Handelskonflikten.