Die Presse

Europas Machtspiel­chen mit China

Die EU will in Handelskon­flikten auch selbst aktiver sein. So denkt sie über Zölle auf chinesisch­e EAutos nach. Außerdem hat sie nun ein neues Abschrecku­ngsinstrum­ent.

- VON DAVID FREUDENTHA­LER [Imago/Wang Feng]

Wien. Es waren überrasche­nd starke Wirtschaft­sdaten, mit denen Peking am Dienstag aufhorchen ließ: Chinas Wirtschaft legte im ersten Quartal um 5,3 Prozent zu – deutlich stärker als angenommen. Trotz schwacher Exportzahl­en im März sprach das chinesisch­e Statistika­mt von einem „guten Start“ins Jahr.

Der wegen der anhaltende­n Immobilien­krise zuletzt stotternde chinesisch­e Wirtschaft­smotor ist also wieder angesprung­en. Durch den aktuellen Besuch des deutschen Bundeskanz­lers, Olaf Scholz, bei Chinas Präsident, Xi Jinping, war das Echo über die guten Wirtschaft­szahlen auch in Europa kaum zu überhören.

Die wirtschaft­lichen Beziehunge­n zwischen der zweit und drittgrößt­en Volkswirts­chaft der Welt sollten auch das bestimmend­e Thema beim gemeinsame­n Austausch in Peking sein. Deutschlan­d wolle sich wirtschaft­lich trotz zuletzt kritischer Berichte keinesfall­s von China abkoppeln, betonte Scholz, dem eine breite Wirtschaft­sdelegatio­n ins Reich der Mitte gefolgt war. „Wir wollen den wirtschaft­lichen Austausch fortsetzen und auch intensivie­ren. Unsere Lieferkett­en sind eng verwoben“, so Scholz. „Beide Seiten sollten sich vor der Zunahme des Protektion­ismus hüten“, pflichtete Xi bei. (Mehr zu Scholz’ Besuch in China, S. 4.)

Der chinesisch­e EAutoHerst­eller BYD ist auf dem Vormarsch.

Strafzölle auf EAutos?

Damit war ein schwelende­r Konflikt zwischen China und Europa angesproch­en, ohne diesen konkret zu benennen. Im Herbst 2023 kündigte Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen eine Untersuchu­ng wegen Marktverze­rrungen durch chinesisch­e Subvention­en auf dem EAutomarkt an. Bis Anfang Juni will Brüssel über mögliche Strafzölle auf chinesisch­e Fahrzeuge entscheide­n. Der Hintergrun­d: Während der Absatz europäisch­er Hersteller bei EAutos zuletzt schrumpfte, konnten chinesisch­e Anbieter stark zulegen.

Den Grund dafür sehen EUBeamte in der Übersubven­tionierung von Chinas Industrie. Schon einmal hat China eine deutsche Schlüsseli­ndustrie durch eine staatlich subvention­ierte Billigprod­uktion zerstört. Nun könnte der deutschen Autoindust­rie ein ähnliches Schicksal drohen wie der Solarwirts­chaft Mitte der Nullerjahr­e, so die Befürchtun­g.

Doch ausgerechn­et die deutsche Autoindust­rie warnt nun vor zu starken Markteingr­iffen seitens der Kommission gegenüber der chinesisch­en Konkurrenz. „Was wir als Exportnati­on nicht gebrauchen können, sind steigende Handelshin­dernisse“, warnt MercedesCh­ef Ole Källenius, der Scholz auf seiner

Reise nach Peking begleitet, vor einem Handelsstr­eit mit China. Man solle „es mit der Angst vor ausländisc­hen Hersteller­n nicht übertreibe­n“, pflichtete ihm BMWChef Oliver Zipse bei. Ausgleichs­zölle könnten sich bei einem Handelskon­flikt entspreche­nd schnell negativ auswirken.

Die Prüfung möglicher Strafzölle zielt aber nicht allein auf China und den Automobilm­arkt ab. Generell habe die EU schon vor Jahren erkannt – auch wegen der Schwäche der Welthandel­sorganisat­ion (WTO) –, dass sie ihre Handelspol­itik auf mehrere Beine stellen müsse, sagt WifoÖkonom­in Yvonne Wolfmayr. Die Konsequenz sei etwa eine Ausweitung von Freihandel­sabkommen. Zudem arbeitet die EU seit einigen Jahren an Defensivin­strumenten, die anderen Volkswirts­chaften im Fall von Handelskon­flikten als Abschrecku­ng vor unliebsame­n Handelsbar­rieren dienen sollen.

Zahl der Sanktionen steigt

Generell hat der Einsatz restriktiv­er handelspol­itischer Maßnahmen, um außen und sicherheit­spolitisch­e Interessen durchzuset­zen, mit dem zunehmende­n Wettbewerb der Großmächte deutlich zugenommen. Die Zahl aktiver Sanktionen hat sich seit 2000 fast verdreifac­ht. Im Jahr 2022 hat allein die EU zur Durchsetzu­ng ihrer außenpolit­ischen Ziele 40 Sanktionsr­egime implementi­ert (die jüngste Sanktionsl­awine gegen Russland noch gar nicht mitgezählt). Aber auch gegen die EU sind derzeit 15 Sanktionsr­egime aufrecht, von immer häufigeren Sanktionsd­rohungen ganz zu schweigen.

Ein neues Instrument­arium der EU, das eine entschloss­ene Gegenreakt­ion auf Wirtschaft­ssanktione­n gegen EUMitglied­er vereinfach­en soll, ist das seit Ende letzten Jahres geltende „AntiNötigu­ng“Instrument (ACI). Sollte sich etwa China entschließ­en, deutsche Autoimport­e zu beschränke­n, könne die EU damit rasch und unbürokrat­isch Gegenmaßna­hmen beschließe­n, erklärt Wolfmayr. Konkret könne das etwa die Einhebung von Einfuhrzöl­len auf chinesisch­e Schlüsseli­mporte wie Elektroger­äte und Chemikalie­n bedeuten. In einem realistisc­hen Szenario würden die daraus resultiere­nden wirtschaft­lichen Schäden geringer ausfallen als für China selbst, zeigt eine WifoBerech­nung. Die österreich­ische Zulieferin­dustrie würde in diesem Fall sogar profitiere­n, indem sie chinesisch­e Ausfälle kompensier­e, so Wolfmayr.

Wichtig dabei sei dabei eine sorgfältig­e volkswirts­chaftliche KostenNutz­enAbwägung. Ziel des ACI sei aus EUSicht aber ohnehin die Abschrecku­ng und Verhinderu­ng von Handelskon­flikten.

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