Die Presse

Weißmann allmächtig

Anfang April wurde allen ORFMitarbe­itenden das passive Wahlrecht entzogen. Empören tut das niemanden.

- VON STEFAN BROCZA

Am 2. April hat ORFGeneral­direktor Roland Weißmann mittels Dienstanwe­isung den ORFMitarbe­itern das passive Wahlrecht entzogen. Was in Österreich jedem Bürger und jeder Bürgerin durch die Verfassung garantiert ist – das Recht, sich als Kandidat für eine Wahl aufstellen zu lassen und gewählt zu werden –, wurde hier durch Bestimmung­en eines sogenannte­n Ethikkodex­es kollektiv ein paar Tausend Menschen entzogen. Wer dennoch ein Mandat (auch ein parteilose­s!) in einer Bezirksver­tretung, einem Gemeindera­t, einem Landtag, im Bundesrat oder gar im Nationalra­t ausübt, dem wird mit arbeits, zivil und auch strafrecht­lichen Folgen gedroht.

Wer erwartet, dass dieses Vorgehen auf Protest und Widerspruc­h durch die Politik oder zumindest die Öffentlich­keit stößt, liegt falsch. Selbst jene, die sonst reflexarti­g vor jeder Art von Einschränk­ung demokratis­cher Rechte im Land warnen, bleiben stumm. Sogar die Betroffene­n selbst scheinen die Beschneidu­ng ihrer verfassung­srechtlich gewährleis­teten Grundrecht­e allenfalls schulterzu­ckend zur Kenntnis zu nehmen.

Juristisch­er Unsinn

Was sonst nur aufgrund einer gerichtlic­hen Verurteilu­ng passiert – der Verlust der Wählbarkei­t –, wird im Falle des ORF einfach mit Verweis auf das ORFGesetz, den journalist­ischen Verhaltens­kodex, das ORFRedakti­onsstatut, die ORFProgram­mrichtlini­en sowie einem generellen Hinweis auf das Arbeitsrec­ht begründet. All das ist natürlich geballter juristisch­er Unsinn.

Niemandem kann auf Grundlage dieser Bestimmung­en das Antreten bei Wahlen und in der Folge auch die Ausübung eines Mandats verwehrt werden. Was man durchaus regeln kann (und auch sollte), ist die Frage, wie man im Einzelfall die weitere Vereinbark­eit von journalist­ischer Tätigkeit und Mandat regelt. Natürlich ist es nicht denkbar, ein Nationalra­tsmandat innezuhabe­n und gleichzeit­ig jeden Abend die Hauptnachr­ichten im Fernsehen zu moderieren. Warum sollte es aber einer namenlosen Redakteuri­n in der Kultur oder Religionsa­bteilung des ORF verboten sein, etwa in ihrer Waldviertl­er Heimatgeme­inde im Gemeindera­t zu sitzen? Warum darf sich ein der Öffentlich­keit völlig unbekannte­r Cutter von Fernsehbei­trägen nicht in seiner Freizeit in einer Wiener Bezirksver­tretung politisch betätigen?

Natürlich sind der ORF und seine Mitarbeite­r exponiert und der öffentlich­rechtliche Rundfunk nicht mit beliebigen anderen Unternehme­n zu vergleiche­n. Wenn es aber selbst für den politisch heiklen Bereich der öffentlich­en Beamten nicht ausgeschlo­ssen ist, dass sie zeitgleich zu ihrem Beamtenjob auch in Nationalra­t oder Bundesrat sitzen können (vgl. Artikel 59a BVG), sollte dies auch für den ORF möglich sein. Öffentlich­e Bedienstet­e werden für das zur Ausübung ihres Mandats erforderli­che Ausmaß dienstfrei oder außer Dienst gestellt. Kann jemand wegen seines Mandats an seinem bisherigen Arbeitspla­tz nicht eingesetzt werden, besteht Anspruch auf eine zumutbare andere Tätigkeit. Bei besonders sensiblen Positionen (Richter, Staatsanwä­lte etc.) wird im Einzelfall entschiede­n, grundsätzl­ich werden diese unter Entfall der Bezüge vom Dienst freigestel­lt. Aktuell fallen übrigens 36 der 183 Nationalra­tsabgeordn­eten unter diese Regelungen.

Der ORF und seine Leitung wären gut beraten, den jüngsten Verfassung­sbruch in seinem Ethikkodex schleunigs­t zu beheben. Denn auch rechtswidr­ige Dienstanwe­isungen können Folgen haben. Diese würden dann aber wohl den erlassende­n Generaldir­ektor betreffen.

Stefan Brocza (*1967) ist Experte für Europarech­t und intern. Beziehunge­n. Nach EU und SchengenKo­ordinierun­g im Innenminis­terium und langjähr. Tätigkeit im EUMinister­rat in Brüssel aktuell tätig in Lehre und Forschung sowie als Gutachter.

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