„Wir treffen unsere eigenen Entscheidungen“
Israels Premier, Netanjahu, weist Rat westlicher Außenminister zurück. Der Westen kündigt eine Verschärfung der Sanktionen gegen den Iran an.
Ebrahim Raisi sagte sich zu einem baldigen Besuch in Pakistan an, um die Spannungen zwischen den Nachbarstaaten, die Anfang des Jahres mit gegenseitigen Rakatenangriffen eskaliert waren, endgültig zu begraben. Ob es angesichts der Drohungen eines Vergeltungsschlags aus Israel indessen ratsam für den iranischen Präsidenten ist, nach Islamabad zu reisen, statt im Land zu bleiben? Der große Konflikt im Nahen Osten könnte so richtig ausbrechen und sich in einem Krieg entladen.
Raisi bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen Drohen und Deeskalieren. Bei einer Militärparade am Mittwoch in Teheran erklärte er, der Iran habe bewusst lediglich einen „limitierten“Angriff gegen Israel lanciert. Das mag für die 170 Drohnen zutreffen, aber nicht für die 120 Raketen und 30 Marschflugkörper, die Israel und die Alliierten größtenteils vom Himmel geholt haben.
Raketenarsenal im Visier
Hätte der Iran nur gewollt, wäre vom „zionistischen Regime“nichts übrig geblieben, tönte der Staatschef. Selbst bei der „geringsten Aggression“wäre ein Gegenschlag „verheerend“. Nach dem Erfolg der antiiranischen Allianz dürfte sich die Angst in Israel indessen in Grenzen halten.
Auf ebendieses militärische Potenzial, auf die Drohnen- und Raketenproduktion, zielt die Verschärfung der Sanktionen, die der Westen gegen das Regime in Teheran plant. Die USA und die EU haben die Verhängung neuer Sanktionen angekündigt. Die formale Umsetzung beim EU-Gipfel in Brüssel ist nur noch Formsache. Auch die G7, die Außenminister der sieben führenden westlichen Industriestaaten, befassen sich mit der Causa bei ihrem Treffen auf Capri.
Vor der Sitzung mit den Kolleginnen und Kollegen aus Italien, Frankreich, Japan, Kanada und den USA auf der Ferieninsel im Golf von Neapel reisten David Cameron und Annalena Baerbock, die Chefdiplomaten Großbritanniens und Deutschlands, zum wiederholten Mal nach Israel. Ihre Doppelmission bestand darin, ihre Solidarität mit Israel zum Ausdruck zu bringen, gleichzeitig die Regierung Netanjahu zur Mäßigung aufzurufen – sowohl im Gazastreifen als auch beim Gegenschlag gegen den Iran. Die Opferzahl von mehr als 10.000 Frauen im Gazastreifen ist ein jüngstes Alarmzeichen.
Die beiden Außenminister machten sich keine Illusion, dass sie Israel von einem Vergeltungsschlag gegen den Erzfeind in Teheran abbringen könnten. Doch sie plädierten bei ihren Terminen in Jerusalem für eine moderate Reaktion, die keine Eskalationsspirale in Gang setzen würde.
„Hart und smart“
Israels Premier empfing sie zu getrennten Gesprächen und bedankte sich diplomatisch für die Unterstützung Israels „in Worten und Taten“und auch für ihre Ratschläge und Vorschläge. Um schließlich jedoch klarzustellen: „Wir treffen unsere eigenen Entscheidungen. Der Staat Israel wird alles Notwendige tun, um sich selbst zu verteidigen.“
Cameron brachte es auf die Formel „Hart und smart“.
Es zeigt die Grenzen für die europäische Diplomatie in Israel auf. Cameron, immerhin Ex-Premier, und Baerbock bleibt nichts anderes übrig, als ihre westlichen Konterparts in Capri über den Entscheidungsprozess auf den neuesten Stand zu bringen.
Konzertierte Politik
US-Außenminister Antony Blinken weiß wegen des permanenten Austauschs zwischen Washington und Jerusalem ohnehin bestens Bescheid. Doch selbst Blinken läuft zuweilen in Israel gegen Mauern. Als Schutzmacht Israels haben die USA am Wochenende des iranischen Angriffs ihren Wert unter Beweis gestellt.
Wie geeint der Westen in großen Zügen der Nahost-Politik in Gaza wie im Iran ist, das zeigt auch die einhellige Kritik an der Siedlergewalt im Westjordanland. Die USA und die EU haben gegen mehrere radikale jüdische Aktivisten der Siedlerbewegung Sanktionen verhängt, die von Kontosperren bis zu Einreiseverboten reichen. Zuletzt ist die Gewalt erneut aufgeflammt, als Siedler zwei Palästinenser getötet haben. Westliche Politiker appellieren an die Regierung Netanjahu, vehementer gegen die Aktionen der Siedler vorzugehen – mit bisher mäßigem Erfolg. Denn das politische Überleben Benjamin Netanjahus und seiner Koalition hängt maßgeblich von den Ministern Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich und ihren rechtsextremischen Parteien ab.
Die Bedrohung für Israel durch den Iran und die proiranischen Milizen ist indes nicht zu Ende. Am Mittwoch verübte die Hisbollah einen Vergeltungsschlag für den Tod einiger Kommandanten der Terrororganisation im Südlibanon. Ein Angriff auf ein Gemeindezentrum eines Beduinendorfs, in dem sich angeblich israelische Soldaten aufgehalten hätten, forderte mehr als ein Dutzend Verletzte.
Während die Verhandlungen über einen Geiseldeal mit der Hamas stocken, hofiert die Türkei den Exilführer Ismael Hanijeh. Am Mittwoch traf der türkische Außenminister den Hamas-Führer in Katar, am Samstag wird ihn Präsident Erdoğan in der Türkei empfangen. Zugleich feuerte der starke Mann von Ankara erneut eine massive verbale Salve gegen Netanjahu.