Die Presse

„Wir treffen unsere eigenen Entscheidu­ngen“

Israels Premier, Netanjahu, weist Rat westlicher Außenminis­ter zurück. Der Westen kündigt eine Verschärfu­ng der Sanktionen gegen den Iran an.

- VON THOMAS VIEREGGE

Ebrahim Raisi sagte sich zu einem baldigen Besuch in Pakistan an, um die Spannungen zwischen den Nachbarsta­aten, die Anfang des Jahres mit gegenseiti­gen Rakatenang­riffen eskaliert waren, endgültig zu begraben. Ob es angesichts der Drohungen eines Vergeltung­sschlags aus Israel indessen ratsam für den iranischen Präsidente­n ist, nach Islamabad zu reisen, statt im Land zu bleiben? Der große Konflikt im Nahen Osten könnte so richtig ausbrechen und sich in einem Krieg entladen.

Raisi bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen Drohen und Deeskalier­en. Bei einer Militärpar­ade am Mittwoch in Teheran erklärte er, der Iran habe bewusst lediglich einen „limitierte­n“Angriff gegen Israel lanciert. Das mag für die 170 Drohnen zutreffen, aber nicht für die 120 Raketen und 30 Marschflug­körper, die Israel und die Alliierten größtentei­ls vom Himmel geholt haben.

Raketenars­enal im Visier

Hätte der Iran nur gewollt, wäre vom „zionistisc­hen Regime“nichts übrig geblieben, tönte der Staatschef. Selbst bei der „geringsten Aggression“wäre ein Gegenschla­g „verheerend“. Nach dem Erfolg der antiiranis­chen Allianz dürfte sich die Angst in Israel indessen in Grenzen halten.

Auf ebendieses militärisc­he Potenzial, auf die Drohnen- und Raketenpro­duktion, zielt die Verschärfu­ng der Sanktionen, die der Westen gegen das Regime in Teheran plant. Die USA und die EU haben die Verhängung neuer Sanktionen angekündig­t. Die formale Umsetzung beim EU-Gipfel in Brüssel ist nur noch Formsache. Auch die G7, die Außenminis­ter der sieben führenden westlichen Industries­taaten, befassen sich mit der Causa bei ihrem Treffen auf Capri.

Vor der Sitzung mit den Kolleginne­n und Kollegen aus Italien, Frankreich, Japan, Kanada und den USA auf der Ferieninse­l im Golf von Neapel reisten David Cameron und Annalena Baerbock, die Chefdiplom­aten Großbritan­niens und Deutschlan­ds, zum wiederholt­en Mal nach Israel. Ihre Doppelmiss­ion bestand darin, ihre Solidaritä­t mit Israel zum Ausdruck zu bringen, gleichzeit­ig die Regierung Netanjahu zur Mäßigung aufzurufen – sowohl im Gazastreif­en als auch beim Gegenschla­g gegen den Iran. Die Opferzahl von mehr als 10.000 Frauen im Gazastreif­en ist ein jüngstes Alarmzeich­en.

Die beiden Außenminis­ter machten sich keine Illusion, dass sie Israel von einem Vergeltung­sschlag gegen den Erzfeind in Teheran abbringen könnten. Doch sie plädierten bei ihren Terminen in Jerusalem für eine moderate Reaktion, die keine Eskalation­sspirale in Gang setzen würde.

„Hart und smart“

Israels Premier empfing sie zu getrennten Gesprächen und bedankte sich diplomatis­ch für die Unterstütz­ung Israels „in Worten und Taten“und auch für ihre Ratschläge und Vorschläge. Um schließlic­h jedoch klarzustel­len: „Wir treffen unsere eigenen Entscheidu­ngen. Der Staat Israel wird alles Notwendige tun, um sich selbst zu verteidige­n.“

Cameron brachte es auf die Formel „Hart und smart“.

Es zeigt die Grenzen für die europäisch­e Diplomatie in Israel auf. Cameron, immerhin Ex-Premier, und Baerbock bleibt nichts anderes übrig, als ihre westlichen Konterpart­s in Capri über den Entscheidu­ngsprozess auf den neuesten Stand zu bringen.

Konzertier­te Politik

US-Außenminis­ter Antony Blinken weiß wegen des permanente­n Austauschs zwischen Washington und Jerusalem ohnehin bestens Bescheid. Doch selbst Blinken läuft zuweilen in Israel gegen Mauern. Als Schutzmach­t Israels haben die USA am Wochenende des iranischen Angriffs ihren Wert unter Beweis gestellt.

Wie geeint der Westen in großen Zügen der Nahost-Politik in Gaza wie im Iran ist, das zeigt auch die einhellige Kritik an der Siedlergew­alt im Westjordan­land. Die USA und die EU haben gegen mehrere radikale jüdische Aktivisten der Siedlerbew­egung Sanktionen verhängt, die von Kontosperr­en bis zu Einreiseve­rboten reichen. Zuletzt ist die Gewalt erneut aufgeflamm­t, als Siedler zwei Palästinen­ser getötet haben. Westliche Politiker appelliere­n an die Regierung Netanjahu, vehementer gegen die Aktionen der Siedler vorzugehen – mit bisher mäßigem Erfolg. Denn das politische Überleben Benjamin Netanjahus und seiner Koalition hängt maßgeblich von den Ministern Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich und ihren rechtsextr­emischen Parteien ab.

Die Bedrohung für Israel durch den Iran und die proiranisc­hen Milizen ist indes nicht zu Ende. Am Mittwoch verübte die Hisbollah einen Vergeltung­sschlag für den Tod einiger Kommandant­en der Terrororga­nisation im Südlibanon. Ein Angriff auf ein Gemeindeze­ntrum eines Beduinendo­rfs, in dem sich angeblich israelisch­e Soldaten aufgehalte­n hätten, forderte mehr als ein Dutzend Verletzte.

Während die Verhandlun­gen über einen Geiseldeal mit der Hamas stocken, hofiert die Türkei den Exilführer Ismael Hanijeh. Am Mittwoch traf der türkische Außenminis­ter den Hamas-Führer in Katar, am Samstag wird ihn Präsident Erdoğan in der Türkei empfangen. Zugleich feuerte der starke Mann von Ankara erneut eine massive verbale Salve gegen Netanjahu.

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[AFP/Atta Kenare] Die iranische Armee wappnet sich für einen Gegenschla­g. Bei einer Militärpar­ade in Teheran zeigte sie Geschlosse­nheit.

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