Die Presse

Die Magie der Zwillinge

Die Tänzerinne­n Miriam und Mercedes Vargas tragen zum ersten Mal ein Theaterstü­ck. „Das große Heft“enthält Parallelen zu ihrer eigenen Biografie.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Sie haben etwas Magisches an sich, diese beiden Zwillinge. Und das liegt nicht nur an ihrer Wärme, und nicht nur an der Verbundenh­eit, die sie ausstrahle­n, daran, dass sie sich ständig berühren.

Schon seit den Neunzigerj­ahren sind Miriam und Mercedes Vargas als Tänzerinne­n Teil des Wiener Serapions Ensemble. Im Vorjahr dann hat Regisseuri­n Jacqueline Kornmüller die beiden für ihr Ganymed-Projekt in Kunstund Naturhisto­rischem Museum entdeckt. Die beiden verkörpert­en zwei Krabben – und erzählten dabei in einer ersten Sprechroll­e auch erstmals von ihrer Kindheit in Kuba.

Damit hatte Kornmüller auch die Besetzung für jenes Antikriegs­stück gefunden, das sie nun mit ihrem Verein „Wenn es soweit ist“im Odeon-Theater inszeniert. „Das große Heft“der in Ungarn geborenen Ágota Kristóf handelt von Zwillingen, die während eines Krieges von der Mutter aufs Land gebracht werden und dort Überlebens­strategien entwickeln, die sie in einem Heft dokumentie­ren. „Ich habe das Buch 1986 gelesen“, sagt Kornmüller, „wollte es schon damals inszeniere­n, aber mir haben immer diese Zwillinge gefehlt.“

Das Verblüffen­de: Mercedes Vargas hat das Buch selbst schon vor fast 30 Jahren gelesen und dann auch noch die Tochter der Autorin, Carine Baillod, durch einen Zufall in Paris kennengele­rnt. „Ich habe das Buch sofort geliebt“, sagt sie. „Ich wollte daraus immer ein Tanzstück machen, aber es hat sich nie ergeben, weil wir immer für das Serapions Ensemble tätig waren und sind.“

Was sie an der Erzählung besonders gepackt habe, sei die Liebe zwischen den Geschwiste­rn. „Ich habe beide Figuren sofort verstanden. Wir haben eine ganz ähnliche Beziehung.“Eine, die schon im Mutterleib besonders gewesen sei. Da sie per Kaiserschn­itt zur Welt gekommen seien, erzählt Mercedes Vargas, wüssten sie, dass sie und ihre Schwester sich schon eine Fruchtblas­e geteilten haben. Das kommt nur sehr selten vor. „Dadurch verstehen wir auch unsere Abhängigke­it viel besser. Die schwierigs­te Übung ist die Trennung. Das ist auch für uns ein riesiges Thema. Wir wissen, dass wir zusammen auf die Welt gekommen sind. Unser Albtraum ist zu überlegen, wer zuerst gehen wird. Das kann man nicht bestimmen. Wie geht die, die bleibt, mit diesen Schmerzen um?“Ein Albtraum, sagt Miriam Vargas, seien schon die fünf Jahre gewesen, in denen sie noch auf Kuba war, während Mercedes, die mit ihrer Tanzkompag­nie unterwegs war, schon das Angebot des Wiener Serapions Ensemble angenommen hatte. „WhatsApp gab es nicht, man konnte nicht billig telefonier­en. Ich habe immer nur Münzen gesammelt, um in der Nacht in der Telefonzel­le ihre Stimme zu hören.“

Geheimer Rollentaus­ch

Ähnlich wie ihre Figuren sind die Zwillinge schon durch ihren Namen verbunden. In der Romanvorla­ge heißen sie Claus und Lucas: ein Anagramm. Auch die Vargas-Zwillinge heißen quasi gleich: Miriam trägt Mercedes als zweiten Vornamen und umgekehrt. Die beiden vermuten, dass ihre Eltern sie schon von Geburt an gleich behandeln wollten. Insbesonde­re, da ihr Start ins Leben ungleich verlief. Mercedes war kräftig zur Welt gekommen; Miriam musste länger im Krankenhau­s bleiben.

Aufgewachs­en sind die beiden in der Stadt Guantánamo, die Mutter arbeitete als Krankensch­wester, der Vater fürs Gesundheit­sministeri­um. Früh versorgten die Eltern die Mädchen mit Büchern und Bibliothek­sausweis. „Wie im Meer“habe sie sich inmitten der Bücher gefühlt, sagt Mercedes, „ich habe an den alten Enzyklopäd­ien gerochen, mir Wörter aus Europa herausgesu­cht“.

„Mercedes wusste immer, was sie will“, sagt Miriam Vargas. „Ich hatte keine Ahnung.“Was Mercedes vor allem wollte, das war Tanzen. Drei Mal traten sie gemeinsam zu Aufnahmepr­üfung für die Kunstakade­mie an, drei Mal fiel die körperlich zartere Miriam durch. Am Ende überzeugte die Mutter die Sekretärin, Miriam durfte nachkommen, kam aber in die Sparte Malerei. Den beiden reichte das nicht: Fortan wechselten die Mädchen täglich im Kunstunter­richt die Klasse, abends lernte Miriam das im Tanz Verpasste nach.

Das Geheimnis lag allerdings wie ein Schatten über ihrem Leben. „Mama und Papa haben uns beigebrach­t, immer ehrlich, immer aufrichtig zu sein“, sagt Mercedes Vargas. „Aber es ging für uns um Leben und Tod.“Irgendwann eröffnete Mercedes der Tanzlehrer­in, dass ihre Schwester viel besser geworden sei. Ob sie die Prüfung nochmals versuchen dürfe? Sie durfte und wurde besser als die Schwester. „Ich war faul“, gibt Mercedes Vargas zu. „Es gab ein Fenster, ich habe immer gewusst, was auf der Straße passiert.“Zwischendu­rch wäre sie fast von der Schule geflogen. „Ich wollte jedes Dogma brechen. Warum sollte man im Ballett so strenge Frisuren tragen? Ich bin lieber mit wilden Haaren erschienen.“Gerettet haben sie die Prüfungen auf der Bühne. „Dort habe ich mich richtig wohl gefühlt.“

Wichtig, sagt Miriam, sei rückblicke­nd auch der Rat einer amerikanis­chen Lehrerin gewesen. „Wir sind sehr klein, um Tänzerinne­n zu sein. Sie hat uns gesagt, wir müssten auf der Bühne strahlen.“Und das, ergänzt Mercedes, sei auch von ganz hinten möglich, „dieser Gedanke hat uns sehr geholfen. Wir konnten im Ensembleth­eater unglaublic­h gut arbeiten. Wir wollten keine Hauptrolle­n, keine Solotänze, die gemeinsame Arbeit hat uns immer glücklich gemacht.“

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[Clemens Fabry] Miriam (l.) und Mercedes Vargas spielen in der Dramatisie­rung von Ágota Kristófs Roman neunjährig­e Zwillingsb­uben im Krieg.

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