Die Presse

Durch Paris da fließt die trübe Seine

Bedenklich­e Messwerte der Seine trüben die Euphorie weniger als 100 Tage vor der Eröffnungs­feier in Paris. Finden in diesem Fluss wirklich Schwimm- und Triathlon-Events statt?

- Von unserem Korrespond­enten RUDOLF BALMER Paris.

Es sind längst weniger als 100 Tage, am 26. Juli sollen mit allem Pomp und Spektakel auf der Seine die Sommerspie­le in Paris eröffnet werden. Exakt 100 Jahre nach den viel weniger aufwendige­n Spielen von 1924 dreht sich wieder alles um die „Stadt der Liebe“, vor allem um ihr Herzstück: die Seine. Hier soll eine nie erlebte Eröffnungs­feier von Pont d’Austerlitz bis Trocadéro mit 160 Booten und Tausenden Sportlern vor 300.000 Zuschauern führen; wenn es keine Terrorangs­t gibt. Auch Schwimmbew­erbe (OpenWater, zehn Kilometer) und Triathlon sollen hier im so oft besungenen Fluss stattfinde­n, in dem seit 1923 des Bootsverke­hrs wegen keiner schwimmen darf und der Verschmutz­ung wegen niemand will.

Im Ernst? Derzeit führt die Seine Hochwasser und tritt an mehreren Stellen über das Ufer, die Strömung ist sichtbar stark, das Wasser braun wie Milchkaffe­e. Zu einem kühnen Kopfsprung und Baden lädt das freilich nicht ein. Doch die Organisato­ren der Spiele strotzen vor profession­ellem Optimismus. Es reiche doch, dass es nicht allzu viel regnet, damit alles gut wird. Und die sehr kostspieli­gen Sanierunge­n, mit denen eine passable Hygiene erreicht werden soll, würden termingere­cht abgeschlos­sen. Und spätestens ab 2025 könne auch die Bevölkerun­g wieder in der Seine baden, wie vor 100 Jahren. So wie es der frühere Pariser Bürgermeis­ter und Staatspräs­ident Jacques

Chirac einst versproche­n hat.

360 Tonnen Abfall

Laut offizielle­n Zahlen werden jedes Jahr rund 360 Tonnen Abfälle (darunter Mietfahrrä­der, Roller, Waschmasch­inen und andere „entsorgte“Geräte) aus dem Fluss geborgen, der zudem bislang mit jährlich zwei Millionen Kubikmeter­n Abwasser belastet wird. Noch immer sind 20 von 250 der als Restaurant­s oder Wohnboote am Ufer entlang vertäuten Flusskähne nicht an die städtische Kanalisati­on angeschlos­sen.

Um Wassermeng­en bei Gewittern aufzufange­n – und so eine massive Verschmutz­ung zu verhindern –, wurde beim Bahnhof gar ein unterirdis­ches Becken von 30 Metern Tiefe gegraben. Bis zu 46 Millionen Liter könnten zwischenge­lagert werden. Niemand aber weiß, ob das wirklich reicht, wenn bei Sommergewi­ttern aus dem Hinterland die Fluten der Seine und der Marne in Paris ankommen.

Die auf den Gewässersc­hutz spezialisi­erte NGO Surfrider Foundation France, die in Zusammenar­beit mit Kommunalbe­hörden seit September 2023 regelmäßig mit Wasserprob­en die Verschmutz­ung misst, warnt jedoch. Ihre Ergebnisse sind nicht sehr ermutigend: Bei 13 von 14 Proben lagen die Messwerte für Bakterien (Enterokokk­en und Escherichi­a coli) deutlich und zum Teil sogar stark über den Grenzwerte­n, die vom Schwimmwel­tverband World Aquatics als zulässig festgelegt worden ist. „Zwei bis drei Mal

‘‘ Man wird bei den Spielen in verschmutz­tem Wasser schwimmen, Athleten gehen also erhebliche Risiken für die Gesundheit ein.

über den Normen, die als Minimum für die Jahreszeit gelten“, bestätigt der Sprecher der NGO, Marc Valmassoni. Wer in solchen Gewässern schwimme, muss Erkrankung­en wie Gastroente­ritis oder Probleme mit Augen, Ohren und Haut erwarten.

Hauptsache ein Spektakel

Einen Plan B mit einem alternativ­en Austragung­sort gibt es laut Behörden nicht. Präsident Emmanuel Macron habe allerdings einen „Plan B und C“in der Schublade, sollten Warnungen im Hinblick auf einen Anschlag überhandne­hmen. Nur dann suche man Alternativ­en für die Eröffnung des Events, das 10.500 Athletinne­n und Athleten und Millionen Besucher bis 11. August in die Stadt bringen wird.

Die in der Seine angesetzte­n Wettkämpfe müssten, wenn die Hygiene unbefriedi­gend ist, also buchstäbli­ch ins Wasser fallen. Vor einer Woche weihte Macron in Saint-Denis das neue Aquatics Centre ein, in dem die Schwimmbew­erbe warten. Bei der Eröffnung rutschte einer auf dem Sprungbret­t aus. Ein schlechtes Omen?

Surfrider Foundation

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[AFP] Im Vorjahr bei den Testspiele­n gelang der Sprung in die Seine trotz massiver Bedenken von Umweltschü­tzern und Athleten.

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