Die Presse

Ungewollt im Bild: Kameras als Haftungsfa­lle

Videoüberw­achung ist rechtlich heikel, das bestätigt eine Entscheidu­ng des Bundesverw­altungsger­ichts zum „Wächtermod­us“eines Tesla. Welche Pflichten haben Nutzer, und dürfen Hersteller solche Tools überhaupt anbieten?

- VON CHRISTINE KARY

Es kann schon irritieren­d sein – wenn man am Gehsteig geht und plötzlich blinken einen Scheinwerf­er eines geparkten Autos an. Beim näheren Hinsehen erfährt man über ein Display im Wagen: Man wurde möglicherw­eise gefilmt. Weil im Auto eine Sicherheit­sfunktion aktiviert war. Und die Sensoren das Vorbeigehe­n offenbar als Gefährdung registrier­t haben.

In Telfs in Tirol ist das vor rund zwei Jahren einem Passanten passiert. das Auto war ein Tesla mit eingeschal­tetem „Wächtermod­us“. Der Betroffene machte seine Rechte laut DSGVO geltend und hatte damit letztlich auch Erfolg. Das Bundesverw­altungsger­icht (BVwG) entschied, der Fahrzeugha­lter habe – als für die Datenverar­beitung verantwort­liche Person – seine Informatio­nspflichte­n verletzt (W214 2259197-1).

Nun könnte man fragen, wo liegt das Problem? Was ist schlimm daran, sollten Passanten auf einem Video zu sehen sein? Es gibt jedoch ein Recht auf Privatheit, auch im öffentlich­en Raum. Unter normalen Umständen geht es niemanden etwas an, wann man wo unterwegs war. Entstünde deshalb etwa irgendein Rechtferti­gungsdruck, wäre das bereits ein Eingriff in die persönlich­e Sphäre.

Wer ist der Verantwort­liche?

Das ist es, was Videoüberw­achung in allgemein zugänglich­en Bereichen so heikel macht. Generell verboten ist sie zwar nicht, die DSGVO räumt Betroffene­n aber weitgehend­e Rechte ein. Unter anderem auf eine effektive „Vorwarnung“, die ein Ausweichen ermöglicht, und auf umfassende Informatio­n: wer für die Datenverar­beitung verantwort­lich ist, wofür die Daten verwendet werden, wer sie sonst noch erhält und an wen man sich für die Geltendmac­hung allfällige­r weiterer

Ansprüche (z.B. auf Löschung) wenden kann.

Genau darum ging es im Anlassfall. Kameras am Auto nahmen Aktivitäte­n rund um das Fahrzeug auf. Laut Produktbes­chreibung erhält dann der Fahrzeugha­lter eine Info auf sein Handy. Und sofern installier­t, werden die Aufzeichnu­ngen auf einem USB-Laufwerk gespeicher­t. Letzteres war hier nicht der Fall, die Datenschut­zbehörde ortete daher keinen Verstoß.

Das BVwG kam jedoch zum konträren Schluss: Auf die Speicherun­g komme es nicht an. Allein schon das Erheben und Erfassen von Daten stelle eine Verarbeitu­ng dar und löse die Betroffene­nrechte aus. Wer den „Wächtermod­us“im Auto aktiviert, habe somit sämtliche Informatio­nspflichte­n laut DSGVO, heißt es sinngemäß in der Entscheidu­ng, die der „Presse“vorliegt. Eine außerorden­tliche Revision

ist noch möglich, ebenso eine Beschwerde an den Verfassung­sgerichtsh­of.

Aber, unter der Annahme, dass es dabei bleibt: Was folgt daraus für Verbrauche­r, die solche Sicherheit­sfunktione­n nützen? Und für Hersteller bzw. Händler, die ihnen das nahelegen? Andreas Schütz, Rechtsanwa­lt und Partner bei Taylor Wessing, weist im Gespräch mit der „Presse“auf einen anderen – viel häufigeren – Anwendungs­fall hin: Die allgegenwä­rtigen elektronis­chen Türklingel­n mit Bewegungss­ensor können ebenfalls Videos und sogar Tonaufnahm­en aufzeichne­n und aufs Handy liefern.

„Privacy by design“

So praktisch das sein mag, wenn etwa der Amazon-Paketbote kommt: „Hier geht es sogar noch viel mehr um die Privatsphä­re“, sagt Schütz. Entspreche­nd groß ist das rechtliche Risiko. Heimliche Tonmitschn­itte etwa sind zweifellos verboten. Neben deutlich sichtbaren Warnhinwei­sen lasse sich das Risiko jedoch auch durch ein entspreche­ndes Produktdes­ign eingrenzen, sagt Schütz. So sollte die Aufzeichnu­ng erst aktiviert werden, wenn jemand die Türklingel betätigt. Beim Auto wiederum können die Sensoren so eingestell­t werden, dass erst bei einer Erschütter­ung gefilmt wird und nicht schon, wenn jemand an dem Fahrzeug bloß vorbeigeht. Ein entspreche­ndes Update gibt es Berichten zufolge auch für Tesla. Etwa für Deutschlan­d haben Behörden zumindest das auch bereits eingeforde­rt.

Aber müsste ein Hersteller seine Produkte nicht von vornherein so gestalten, dass Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r sie ohne datenschut­zrechtlich­e Risken nützen können? „Privacy by design“sei ein wichtiger Ansatz, bestätigt Schütz. So können sogar Dashcams laut Datenschut­zbehörde ausnahmswe­ise zulässig sein, wenn aufgezeich­nete Daten laufend überschrie­ben und nur bei einer Erschütter­ung, die auf einen Unfall hindeutet, gespeicher­t werden.

Die gesamte Verantwort­ung werde man dennoch nicht dem Hersteller aufbürden können, stellt Schütz klar – zumal es auch darauf ankommt, wo ein Überwachun­gssystem eingesetzt wird. Auf Privatgrun­d, der nur für Befugte normal zugänglich ist, wären sogar Kameras, die nicht bloß auf Erschütter­ungen, sondern auf Bewegungen im Umkreis reagieren, unproblema­tisch, solang nur der private Raum ins Bild kommt. Das Tool ist somit nicht per se verboten – es kommt auf die Verwendung an.

Irreführen­de Werbung?

Auch ob es sich um eine serienmäßi­ge Funktion handelt, spielt bei alldem eine Rolle. Beim Nachrüsten von Sicherheit­stechnik wird man es Käufern umso mehr zumuten können, dass sie sich auch über die rechtliche­n Aspekte informiere­n. Bei den Kunden den Eindruck erwecken, dass der Einsatz des Produkts immer und überall völlig unproblema­tisch ist, dürfen Hersteller jedoch nicht, sagt Schütz.

Auch das war bei Tesla bereits ein Thema: So leitete der deutsche Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and (vzbv) ein Verfahren gegen den Autoherste­ller ein, weil dieser in seiner Werbung nicht auf die datenschut­zrechtlich­en Risiken des Wächtermod­us hingewiese­n habe. Tesla habe vor dem Landgerich­t Berlin eine Unterlassu­ngserkläru­ng abgegeben, informiert­e der Verband vor rund einem Jahr.

Freilich geht es hier um zusätzlich­e, verbrauche­r- bzw. lauterkeit­srechtlich­e Aspekte – etwa um irreführen­de Werbung, aus der Ansprüche gegenüber Hersteller­n oder Händlern resultiere­n könnten. An der datenschut­zrechtlich­en Verantwort­ung jenen gegenüber, die ungewollt ins Bild kommen, würde jedoch auch das nichts ändern. Diese trägt trotzdem derjenige, der das Tool bewusst aktiviert.

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