Ungewollt im Bild: Kameras als Haftungsfalle
Videoüberwachung ist rechtlich heikel, das bestätigt eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum „Wächtermodus“eines Tesla. Welche Pflichten haben Nutzer, und dürfen Hersteller solche Tools überhaupt anbieten?
Es kann schon irritierend sein – wenn man am Gehsteig geht und plötzlich blinken einen Scheinwerfer eines geparkten Autos an. Beim näheren Hinsehen erfährt man über ein Display im Wagen: Man wurde möglicherweise gefilmt. Weil im Auto eine Sicherheitsfunktion aktiviert war. Und die Sensoren das Vorbeigehen offenbar als Gefährdung registriert haben.
In Telfs in Tirol ist das vor rund zwei Jahren einem Passanten passiert. das Auto war ein Tesla mit eingeschaltetem „Wächtermodus“. Der Betroffene machte seine Rechte laut DSGVO geltend und hatte damit letztlich auch Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) entschied, der Fahrzeughalter habe – als für die Datenverarbeitung verantwortliche Person – seine Informationspflichten verletzt (W214 2259197-1).
Nun könnte man fragen, wo liegt das Problem? Was ist schlimm daran, sollten Passanten auf einem Video zu sehen sein? Es gibt jedoch ein Recht auf Privatheit, auch im öffentlichen Raum. Unter normalen Umständen geht es niemanden etwas an, wann man wo unterwegs war. Entstünde deshalb etwa irgendein Rechtfertigungsdruck, wäre das bereits ein Eingriff in die persönliche Sphäre.
Wer ist der Verantwortliche?
Das ist es, was Videoüberwachung in allgemein zugänglichen Bereichen so heikel macht. Generell verboten ist sie zwar nicht, die DSGVO räumt Betroffenen aber weitgehende Rechte ein. Unter anderem auf eine effektive „Vorwarnung“, die ein Ausweichen ermöglicht, und auf umfassende Information: wer für die Datenverarbeitung verantwortlich ist, wofür die Daten verwendet werden, wer sie sonst noch erhält und an wen man sich für die Geltendmachung allfälliger weiterer
Ansprüche (z.B. auf Löschung) wenden kann.
Genau darum ging es im Anlassfall. Kameras am Auto nahmen Aktivitäten rund um das Fahrzeug auf. Laut Produktbeschreibung erhält dann der Fahrzeughalter eine Info auf sein Handy. Und sofern installiert, werden die Aufzeichnungen auf einem USB-Laufwerk gespeichert. Letzteres war hier nicht der Fall, die Datenschutzbehörde ortete daher keinen Verstoß.
Das BVwG kam jedoch zum konträren Schluss: Auf die Speicherung komme es nicht an. Allein schon das Erheben und Erfassen von Daten stelle eine Verarbeitung dar und löse die Betroffenenrechte aus. Wer den „Wächtermodus“im Auto aktiviert, habe somit sämtliche Informationspflichten laut DSGVO, heißt es sinngemäß in der Entscheidung, die der „Presse“vorliegt. Eine außerordentliche Revision
ist noch möglich, ebenso eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.
Aber, unter der Annahme, dass es dabei bleibt: Was folgt daraus für Verbraucher, die solche Sicherheitsfunktionen nützen? Und für Hersteller bzw. Händler, die ihnen das nahelegen? Andreas Schütz, Rechtsanwalt und Partner bei Taylor Wessing, weist im Gespräch mit der „Presse“auf einen anderen – viel häufigeren – Anwendungsfall hin: Die allgegenwärtigen elektronischen Türklingeln mit Bewegungssensor können ebenfalls Videos und sogar Tonaufnahmen aufzeichnen und aufs Handy liefern.
„Privacy by design“
So praktisch das sein mag, wenn etwa der Amazon-Paketbote kommt: „Hier geht es sogar noch viel mehr um die Privatsphäre“, sagt Schütz. Entsprechend groß ist das rechtliche Risiko. Heimliche Tonmitschnitte etwa sind zweifellos verboten. Neben deutlich sichtbaren Warnhinweisen lasse sich das Risiko jedoch auch durch ein entsprechendes Produktdesign eingrenzen, sagt Schütz. So sollte die Aufzeichnung erst aktiviert werden, wenn jemand die Türklingel betätigt. Beim Auto wiederum können die Sensoren so eingestellt werden, dass erst bei einer Erschütterung gefilmt wird und nicht schon, wenn jemand an dem Fahrzeug bloß vorbeigeht. Ein entsprechendes Update gibt es Berichten zufolge auch für Tesla. Etwa für Deutschland haben Behörden zumindest das auch bereits eingefordert.
Aber müsste ein Hersteller seine Produkte nicht von vornherein so gestalten, dass Verbraucherinnen und Verbraucher sie ohne datenschutzrechtliche Risken nützen können? „Privacy by design“sei ein wichtiger Ansatz, bestätigt Schütz. So können sogar Dashcams laut Datenschutzbehörde ausnahmsweise zulässig sein, wenn aufgezeichnete Daten laufend überschrieben und nur bei einer Erschütterung, die auf einen Unfall hindeutet, gespeichert werden.
Die gesamte Verantwortung werde man dennoch nicht dem Hersteller aufbürden können, stellt Schütz klar – zumal es auch darauf ankommt, wo ein Überwachungssystem eingesetzt wird. Auf Privatgrund, der nur für Befugte normal zugänglich ist, wären sogar Kameras, die nicht bloß auf Erschütterungen, sondern auf Bewegungen im Umkreis reagieren, unproblematisch, solang nur der private Raum ins Bild kommt. Das Tool ist somit nicht per se verboten – es kommt auf die Verwendung an.
Irreführende Werbung?
Auch ob es sich um eine serienmäßige Funktion handelt, spielt bei alldem eine Rolle. Beim Nachrüsten von Sicherheitstechnik wird man es Käufern umso mehr zumuten können, dass sie sich auch über die rechtlichen Aspekte informieren. Bei den Kunden den Eindruck erwecken, dass der Einsatz des Produkts immer und überall völlig unproblematisch ist, dürfen Hersteller jedoch nicht, sagt Schütz.
Auch das war bei Tesla bereits ein Thema: So leitete der deutsche Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) ein Verfahren gegen den Autohersteller ein, weil dieser in seiner Werbung nicht auf die datenschutzrechtlichen Risiken des Wächtermodus hingewiesen habe. Tesla habe vor dem Landgericht Berlin eine Unterlassungserklärung abgegeben, informierte der Verband vor rund einem Jahr.
Freilich geht es hier um zusätzliche, verbraucher- bzw. lauterkeitsrechtliche Aspekte – etwa um irreführende Werbung, aus der Ansprüche gegenüber Herstellern oder Händlern resultieren könnten. An der datenschutzrechtlichen Verantwortung jenen gegenüber, die ungewollt ins Bild kommen, würde jedoch auch das nichts ändern. Diese trägt trotzdem derjenige, der das Tool bewusst aktiviert.