Die Presse

Gibt es Vorurteile „Weißen“gegenüber, Candice Breitz?

Mit Candice Breitz ist in Krems eine der derzeit kontrovers­iellsten Künstlerin­nen zu Gast. Wir fragten sie nach der „linken Kunstblase“und der Gefahr von Verschwöru­ngen.

- VON ALMUTH SPIEGLER

In ihrer Videoarbei­t „Whiteface“macht Candice Breitz, 1972 in Südafrika geboren, sich zombiemäßi­g noch „weißer“. Dabei wiederholt sie rassistisc­he Zitate, die sie in rechtsextr­emen bis alltäglich­en Zusammenhä­ngen gesammelt hat. Wegen ihrer propalästi­nensischen Haltung wurde sie zuletzt in Deutschlan­d mehrmals gecancelt. Wir konnten ihr per E-Mail Fragen stellen – unter der Bedingung, dass die Antworten nicht gekürzt werden.

Die Presse: Sie verwenden in „Whiteface“Zitate aus den USA, die in rechten Verschwöru­ngstheorie­n gefallen sind. Ist das nicht Angstmache? Candice Breitz:

In „Whiteface“kommen nicht nur Stimmen aus den USA zu Wort, sondern aus der gesamten englischsp­rachigen Welt, dem gesamten ehemaligen britischen Empire. Wären rechte Verschwöru­ngstheorie­n nur dort weit verbreitet, wäre es vielleicht nicht zwingend, „Whiteface“anderswo zu zeigen. Politiker wie Giorgia Meloni, Viktor Orbán, Andrzej Duda und Geert Wilders haben jedoch gerade dadurch politische Sichtbarke­it und Prominenz erlangt, dass sie an die regressive­n Instinkte appelliere­n, die durch solche Theorien aufrechter­halten werden. Erst kürzlich haben wir durch ein Team investigat­iver Journalist­en erfahren, dass sich deutsche Politiker – von der CDU bis zur AfD – heimlich mit Neofaschis­ten und Ethnonatio­nalisten getroffen haben, darunter der rechtsextr­eme Identitäre Martin Sellner, der Österreich­er ist. Sie planten die Abschiebun­g von Millionen von Menschen auf der Grundlage rassistisc­her und islamophob­er Kriterien.

Die von Ihnen erwähnte Verschwöru­ngstheorie – „der große Austausch“– ist nicht amerikanis­chen Ursprungs, sondern geht auf den französisc­hen Schriftste­ller Renaud Camus zurück. Heute sind die Ideen, die dieser Theorie zugrunde liegen und die wir in Whiteface zu entschlüss­eln versuchen, nicht nur in obskuren rechtsextr­emen Bewegungen im gesamten globalen Norden weit verbreitet, sondern werden auch zunehmend von Mainstream-Politikern aufgegriff­en. Wenn Olaf Scholz sagt : „Wir müssen endlich in großem Stil abschieben“, dann ist das ein Wink mit dem Zaunpfahl an weiße Deutsche, die aufgrund ihrer bewussten oder unbewusste­n ethnonatio­nalistisch­en Paranoia befürchten, dass sie demografis­ch und kulturell durch Nichteurop­äer ersetzt werden könnten, insbesonde­re durch Menschen aus

Ländern mit muslimisch­er Bevölkerun­gsmehrheit. Es wäre gefährlich, die Auswirkung­en zu ignorieren. Insbesonde­re angesichts der Tatsache, dass Umfragen einen starken Rechtsruck bei den kommenden Europawahl­en voraussage­n.

Als Weiße gehe ich oft wie eine Täterin durch Ausstellun­gen. Gibt es nicht auch Vorurteile, die „People of Colour“gegenüber „Weißen“haben?

Ich glaube nicht, dass es für jemanden wie mich – eine weiße Südafrikan­erin, die in der Zeit der Apartheid sozialisie­rt wurde – angebracht wäre, sich zu den angebliche­n Vorurteile­n von People of Colour zu äußern. Wenn es People of Colour gibt, die Weiße als privilegie­rt, arrogant oder ahnungslos ansehen, kann ich nur sagen, dass es mehr als genug Beweise gibt, sowohl historisch als auch aktuell, um solche Behauptung­en zu untermauer­n. Deshalb wäre es zutreffend­er, solche Behauptung­en als faktenbasi­erte Beobachtun­gen zu bezeichnen.

Als weißer Mensch würde ich nie davon ausgehen, dass ich die Gedanken von Afrikanern und Muslimen lesen kann, wenn ich mich in ihren Ländern bewege. Ich wäre auch sehr vorsichtig mit der Annahme, dass es unter Afrikanern und Muslimen keine Gedankenod­er Meinungsvi­elfalt gibt. Jahrhunder­telang haben Weiße die rassifizie­rten Anderen als undifferen­zierte und bedrohlich­e Masse betrachtet. Eine solche Haltung ist von der Arroganz und Ahnungslos­igkeit geprägt, die mit der Annahme einer weißen Überlegenh­eit einhergeht.

Wenn ich Sie richtig verstehe, fragen Sie mich, ob ich glaube, dass weiße Menschen Ziel von „umgekehrte­m Rassismus“sein können. Das tue ich nicht. Behauptung­en über umgekehrte­n Rassismus lassen sich am besten als paranoide Reaktion auf antirassis­tische Forderunge­n nach dem Abbau rassistisc­her Strukturen in weiß dominierte­n Gesellscha­ften verstehen. Sie sind symptomati­sch für die Angst der Weißen vor dem imaginären Verlust langjährig­er Privilegie­n, während die Rufe nach mehr sozialer Gerechtigk­eit weltweit lauter werden.

Wozu führt es, wenn man Unterschie­de bei Herkunft und Geschlecht immer mehr betont – statt Versöhnlic­hes zu fördern?

Dies ist eine überrasche­nde Frage, da Ihre vorige stark differenzi­ert zwischen Ihrer Wahrnehmun­g als weiße Frau und der Wahrnehmun­g anderer. Aber warum konzentrie­ren wir uns nicht auf unsere Gemeinsamk­eiten? Als weiße Frauen haben Sie und ich gemeinsam, dass wir weiterhin davon profitiere­n, dass wir in Gesellscha­ften hineingebo­ren wurden, die zutiefst von der Ideologie der weißen Vorherrsch­aft geprägt sind, unabhängig davon, ob wir uns ihr aktiv anschließe­n oder nicht. „Rasse“mag eine gefährlich­e Fiktion sein – aber solange Rassifizie­rung reale und gewalttäti­ge Konsequenz­en

hat, können wir es uns nicht erlauben, die Unterschie­de achselzuck­end zu ignorieren, die Lebenswirk­lichkeiten beeinfluss­en.

Ob man Schwarz oder Weiß ist, bestimmt immer noch, wie mühelos man sich im Leben bewegen kann, zu welchen Ressourcen man Zugang hat, auf welche Hinderniss­e man stoßen wird. Ob man jüdischer, muslimisch­er oder christlich­er Abstammung ist, hat leider immer noch allzu oft einen Einfluss darauf, inwieweit man sich in dem einen oder anderen Teil der Welt zu Hause fühlen kann. Es mag für Menschen wie uns leicht sein, die Auswirkung­en unserer Identitäte­n auf unser tägliches Leben zu ignorieren. Aber es ist wichtig anzuerkenn­en, dass innerhalb dieser breiten Kategorie, die Sie als „Menschheit“bezeichnen, nicht jeder die gleichen Karten erhält.

Was möchten Sie bewirken, wenn Sie in Museen nur Menschen erreichen, die Ihnen zustimmen? Ist das nicht das Bedienen einer linken Kunst-„Blase“?

Ich bin mir nicht sicher, ob das Publikum in seinen politische­n Ansichten so homogen ist, wie Sie unterstell­en. Ich erlebe die kulturelle Gemeinscha­ft nicht als einheitlic­h progressiv. Ich treffe oft auf Menschen, die sich durch meine Arbeit angegriffe­n fühlen. Die vehement, ja sogar cholerisch, nicht einverstan­den sind, vor allem wenn es um feministis­che oder antirassis­tische Prinzipien geht.

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