Palästinenserin mit Patti Smith als „spiritueller Großmutter“
Rasha Nahas spielte beim Festival Salam im Wiener Flex – und erklärte der „Presse“, wogegen sie kämpft und wieso sie lieber in Berlin lebt.
Tätowiert, queer, eine kakophonische E-Gitarre spielend: Die 28-jährige Rasha Nahas aus Haifa wirkt durchaus nicht, wie man sich die typische Palästinenserin vorstellt. Auch nicht radikal. Das ist nur ihr Gitarrespiel. Sonst ist sie ein Mensch der Zwischentöne, das hört man in ihren Liedern. Gewieft jongliert sie mit weichen und harten Elementen. Und so haben auch Songs, bei denen sie gewaltige Lärmkaskaden im Grunge-Gitarrenstil aufsteigen lässt, zärtliche Momente.
Beide Darreichungsformen ihrer Musik wirkten im Flex. Einige Fans führten ihre Palästinensertücher aus, wiegten sich im gefährlichen Rhythmus, den Nahas und ihre zwei Begleiter wohldosiert produzierten. Das patinierte Haus am Kanal erzitterte in den zuweilen beigemischten elektronischen Geräuschen und im Feedback-Inferno.
„Patti Smith könnte man als meine spirituelle Großmutter bezeichnen“, sagte sie davor lachend im Gespräch mit der „Presse“. Bei aller Liebe zum Renegatengeist von Smith, Nahas Gitarrenspiel ist von einer anderen Popgröße geprägt. „Joni Mitchell ist da mein absolutes Vorbild. Sie ist als Songwriterin weltweit anerkannt, aber als Gitarristin ziemlich unterschätzt.“Mit Popmusik kam sie erstmals über John Lennon in Berührung. Ihr Vater hatte zwei CDs im Familienauto, die er jahrelang bei der wöchentlichen Fahrt ins Nebendomizil in Galiläa spielte. „Oh Yoko!“war ihr erstes Lieblingslied von ihm.
Das Gefühl, in Israel Staatsbürgerin zweiter Klasse zu sein, ließ sich auf Dauer nicht von den mannigfaltigen Ideen von Freiheit, die Popmusik so transportiert, beschwichtigen. So lebt Nahas seit 2017 in Berlin. Entdeckt wurde sie allerdings in Ramallah, auf einer internationalen Popmusikmesse, von einem Agenten des britischen Labels Cooking Vinyl, bei dem sie nun ihr zweites Album „Amrat“(„Manchmal“) herausgebracht hat.
Ihr erstes Album hatte sie in Berlin aufgenommen, das zweite entstand im Studio 67 auf den Golanhöhen. Auf ihm wechselte sie beim Gesang von Englisch auf Arabisch, um ihre Themen besser ausdrücken zu können:
Entfremdung, Getrenntsein, Nostalgie. Oft kreisen ihre Lieder um Fragen der Identität. Etwa das eindringliche „Wrood“(„Rosen“), ein Höhepunkt des Abends im Flex.
Ein Kind, eine Frau, ein Mann in ihr
Zum besseren Verständnis trug sie davor eine Strophe des Arabisch gesungenen Liedes auf Englisch vor. Darin identifiziert sie drei Personen in sich selbst: ein Kind, das spielen will; eine Frau, die es zu entfesseln gilt ; einen Mann, der seine Gewohnheiten ändern muss. So muss sie den Kampf gegen das Patriarchat auch gegen sich selbst führen: eine kluge Wendung. Weiters kämpfe sie mit den Mitteln der Kunst gegen die „Unterdrückung, der wir in Israel ausgesetzt sind“, sagt sie.
Ihr Leitsatz beim Formulieren ihres Kummers, ihres Zorns und ihrer Freude ist ein Diktum des schottischen Dichters John Burnside: „Es sind die Poesie und die Kunst, die die Welt jeden Tag retten.“Mit diesem Ansatz rettet sich Nahas wohl auch selbst ein wenig. Das Publikum sowieso. Ihr paradoxer Mix aus rüdem Grunge und berührender Popballade faszinierte. Schade nur, dass sie ihre funkelnde Version von Leonard Cohens „Lover, Lover, Lover“in Wien nicht darbot.