Die Presse

„Knife“ist nur für Rushdie wichtig

Salman Rushdies Buch über sein Leben nach einem islamistis­chen Messerangr­iff zollt man am besten Respekt, indem man es als Selbstther­apie betrachtet.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Frei nach Albert Camus lässt sich nach der Lektüre von „Knife“sagen: Wir müssen uns Salman Rushdie als einen glückliche­n Menschen vorstellen. Das ist nicht Respektlos­igkeit gegenüber einem 76Jährigen, der ein islamistis­ches Attentat auf offener Bühne knapp und mit schweren Folgen überlebt hat. Vielmehr ist es das Beste, was man aus seinem mit Spannung erwarteten Buch mitnehmen kann.

Da schreibt ein Mensch, der am 22. August 2022 fast gestorben wäre, 33 Jahre nach der Fatwa gegen ihn wegen seines Buchs „Die satanische­n Verse“. Der jetzt nur noch ein Auge hat (und ein zusehends schwächer werdendes zweites), ansonsten jedoch wieder ein ziemlich „normales“Leben führen kann, das er als zweite Chance“erlebt. Ein Mann, der vor allem durch die Liebe zwischen ihm und seiner Ehefrau, der Dichterin Rachel Eliza Griffiths, wieder Lebensglüc­k empfindet. Ein Mann, der sein durchs Attentat unterbroch­enes Romanproje­kt fortführen kann, jetzt, wo er sich eine schrecklic­he Zeit von der Seele geschriebe­n hat. Ein Grund, sich für den Menschen Salman Rushdie gründlich zu freuen. Nicht für Rushdie als Autor.

Die Gesundheit, ein Goldenes Vlies?

Sprache sei womöglich die „Waffe“, mit der er sich wehren könne, meint Rushdie im Buch. „Knife“demonstrie­rt jedoch das Gegenteil: Hier wirkt Literatur wie ein großes Kartonschw­ert, das nicht nur nicht schneidet, sondern vor sich hergeschwu­ngen auch noch den unmittelba­ren Blick verstellt. Hier führt das Literarisc­he vom Leben weg statt zu ihm hin. Wenn Rushdie etwa an Messerszen­en in Büchern und Filmen denkt. Wenn er sich im Spital in die Argonauten-Sage fantasiert: „Meine Gesundheit – mein Leben – war das Goldene Vlies, dem ich entgegense­geln wollte, die Argo in dieser Erzählung ein Bett, das Zimmer die See, und die See war die gefährlich­e Welt.“Oder wenn er über die „27 Sekunden“nachdenkt, in denen er in der Gewalt des Attentäter­s war: „In siebenundz­wanzig Sekunden könnte man – sofern religiös gesinnt – das Vaterunser aufsagen. Oder man könnte, hat man es nicht so mit der Religion, laut ein Sonett von Shakespear­e lesen, vielleicht jenes über den Sommertag . . .“Nichts führt irgendwohi­n.

Das zu Beginn erklärte Ziel wiederum, herauszufi­nden, worum es dem Attentäter tatsächlic­h ging, wird gar nicht erst verfolgt. Es gibt im Buch zwar ein fiktives Gespräch mit dem Attentäter, in dem Rushdie diesen psychologi­sch zu deuten versucht und ihm auch den Sinn einer historisch-kritischen Koranexege­se näher zu bringen versucht – aber das kann damit wohl nicht gemeint sein.

Die Details von Rushdies Genesung dürften am ehesten für seinen näheren Umkreis von Interesse sein. Eingestreu­te Gedanken zu Freiheit, Kunst oder Religion sind wenig überrasche­nd und Rushdie-Lesern vertraut. Innig wird die Beziehung zu seiner Frau Eliza geschilder­t, die er fünf Jahre vor dem Attentat kennen lernte. In diesem selbst kann Rushdie keinen Sinn erkennen, aber auch für die elementare Sinnlosigk­eit findet er keine Worte. Er stellt sich vor, im Gerichtssa­al aufzutrete­n, und merkt dabei, dass er „kaum etwas zu sagen“hat. Und letztlich macht er einfach „seinen Frieden mit dem Geschehene­n“.

Ein „roter Tintenklec­ks“im Lebensbuch

Das bewirkt die Zeit, das bewirkt vor allem die Liebe. „Das Attentat kam mir vor wie ein auf früheren Seiten verschütte­ter, großer roter Tintenklec­ks. Hässlich, gewiss, aber deshalb war das Buch nicht ruiniert. Man konnte umblättern und weitermach­en“. Und das macht Rushdie gemeinsam mit seiner Frau Eliza. Nach einem Besuch am Tatort in Chautauqua

heißt es am Ende des Buchs: „,Komm, wir sind hier fertig‘, sagte ich zu Eliza und griff nach ihrer Hand. ,Lass uns nach Hause fahren.’“In Rushdies Buch sind die am kitschigst­en klingenden Sätze die wahrhaftig­sten.

Und so gelingt sogar Rushdies Versuch, sich „mittels Literatur selbst zu reparieren“. Dafür braucht es ja keine gute Literatur (wie sie der Autor einst etwa mit „Mitternach­tskinder“geschriebe­n hat). Dass Schreiben, unabhängig von der Qualität, eine Selbstther­apie sein kann, treibt Leute in Schreibsem­inare und bringt Unmengen von autobiogra­fischen Bekenntnis­sen hervor. Im besten Fall stößt man auch noch auf Anteil nehmende Leser. Die hat ein berühmter Autor von Vornherein in großer Zahl. Und selbst wenn man „Knife“am Ende enttäuscht weglegt, kann man froh sein zu lesen, dass hier offenbar das Leben über den Tod triumphier­t hat, und zu wissen, dass dieses Buch mindestens einem Menschen geholfen hat. Für ein Buch ist das ja gar nicht so wenig.

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