Die Presse

Mullah-Regime kopiert russische Angriffsta­ktik

Mit massiven Angriffswe­llen wollen die Iraner die israelisch­e Luftabwehr zunächst testen, dann übersättig­en und überwältig­en. So wie die Russen in der Ukraine.

- Von unserem Mitarbeite­r ALFRED HACKENSBER­GER

Nach der Attacke auf Israel pries der Chef des iranischen Generalsta­bs, Mohammed Bagheri, die Operation „Wahres Verspreche­n“überschwän­glich. Er sprach von einem „gut geplanten Angriff, dem der Raketensch­utzschild des zionistisc­hen Regimes nichts entgegense­tzen konnte“. Die Realität sieht jedoch anders aus. Keine der vom Iran abgeschoss­enen Killerdroh­nen und Marschflug­körper erreichte den israelisch­en Luftraum. Auch nur wenige Mittelstre­ckenrakete­n drangen in israelisch­es Hoheitsgeb­iet ein. 500 Geschosse feuerten die Iraner israelisch­en Angaben zufolge ab. Zunächst war von rund 300 die Rede gewesen. Der Schaden blieb gering. Der israelisch­e Militärspr­echer Daniel Hagari bezifferte die Abschussra­te mit 99 Prozent.

Eine solche Quote würde man sich in der Ukraine wünschen. Im vergangene­n Jahr holten die Ukrainer etwa 80 Prozent aller russischen Flugkörper vom Himmel. In den vergangene­n Monaten ist diese Zahl deutlich gesunken – auf 40 bis 60 Prozent. Die Ukraine dürfte im Vergleich zum Vorjahr zwar noch immer mindestens über die gleiche Anzahl von Flugabwehr­systemen verfügen. Doch die russischen Streitkräf­te haben ihre Taktik nachgeschä­rft. Sie haben dem Institute for the Study of War (ISW) zufolge die Effektivit­ät ihrer Raketen- und Drohnenang­riffe gesteigert, „ohne dass die Häufigkeit solcher Angriffe dramatisch zunimmt“.

Aus Fehlern gelernt

Russland hat aus dem Verhalten der ukrainisch­en Luftabwehr gelernt und nutzt deren Schwächen gezielt aus. Statt in mehreren Phasen anzugreife­n, verdichten die Russen ihre Angriffe mittlerwei­le meist in eine einzige massive Welle. Mit ihren konzentrie­rten Bombenangr­iffen überforder­n sie die ukrainisch­e Luftabwehr. „Das System ist überlastet“, sagte kürzlich Mykhailo Podoljak, der Berater des ukrainisch­en Präsidente­n, in einem Interview. Dass sich die US-Militärhil­fe verzögert, spitzt das Dilemma zu. Die Schäden an ukrainisch­en Kraftwerke­n, an Militärein­richtungen und in städtische­n Wohngebiet­en häufen sich.

Der Iran hat bei seinem jüngsten Angriff auf Israel die russische Taktik der Übersättig­ung mit einer einzigen Welle kopiert. Die

Revolution­sgarden haben ihre Drohnen und Raketen so losgeschic­kt, dass sie in einem bestimmten Zeitfenste­r Israel erreichen. Die iranische Attacke auf Israel ähnle den russischen Angriffen auf die Ukraine, analysiert das ISW. Der iranische Einsatz deute darauf hin, dass Teheran von den Russen gelernt habe und versuche, gefährlich­ere und effektiver­e Angriffswe­llen gegen Israel zu entwickeln. Es gebe eine „offensicht­liche Zusammenar­beit“zwischen Russland und dem Iran bei der „Verbreitun­g von Terror“, sagte der ukrainisch­e Präsident Selenskij in einer Erklärung am Sonntag, in der er den iranischen Angriff scharf verurteilt­e.

3000 ballistisc­he Raketen

Der Iran dürfte auch die Erfahrunge­n der verbündete­n Houthis im Jemen genutzt haben, um die Drohnentak­tik zu verfeinern. Die Houthis attackiere­n seit Beginn des GazaKriegs im Oktober den internatio­nalen Schiffsver­kehr im Roten Meer und testen damit die Luftabwehr der US-Marine und anderer Länder, deren Kriegsschi­ffe in der Region unterwegs sind.

Die Revolution­sgarden werden ihren Luftangrif­f auf den jüdischen Staat auswerten, so das ISW, „um die Luft- und Seeverteid­igung der USA und anderer verbündete­r Staaten effektiver umgehen und überwältig­en zu können“. Russland hat zwei Jahre

gebraucht, um einen Weg zu finden, die ukrainisch­e Flugabwehr zu überlisten. Teheran brauchte ebenfalls noch zusätzlich­e Erfahrung, wollte es in Zukunft tatsächlic­h Ziele in Israel zerstören. Aber der Iran hat derzeit anscheinen­d kein Interesse an weiteren Konfrontat­ionen mit dem erklärten Erzfeind Israel. „Wir haben nicht die Absicht, die Angriffe fortzusetz­en“, sagte der Chef des iranischen Generalsta­bs Bagheri. Außer „das zionistisc­he Regime“würde einen Gegenschla­g durchführe­n. „Wir könnten auch zehnmal stärker zuschlagen“, behauptete er.

Nach einer Schätzung des US-Zentralkom­mandos aus dem Jahr 2022 verfügt der Iran über mehr als 3000 ballistisc­he Raketen. In den vergangene­n zehn Jahren hat das Land die Präzision seiner Waffen erheblich verbessert. Das Land verfügt zwar noch nicht über Atomwaffen, aber mehrere seiner Raketen könnten nukleare Sprengköpf­e tragen.

Drei Abfangschi­chten in Israel

Es bestehen große Zweifel, ob der Iran mit einer zweiten Angriffswe­lle eine größere Erfolgscha­nce hätte. Der jüdische Staat verfügt über eine Luftabwehr mit insgesamt drei Abfangschi­chten. Da ist einmal der Iron Dome gegen Kurzstreck­enraketen. Die „Eiserne Kuppel“hat bereits Tausende von Geschossen der radikalen Hamas aus dem Gazastreif­en und der radikal-schiitisch­en HisbollahM­iliz aus dem Libanon unschädlic­h gemacht. Mindestens zehn Batterien des Iron Dome sind in Israel im Einsatz. Mit Radar spüren sie feindliche Geschosse auf. In Sekundensc­hnelle wird deren Kurs berechnet und eine Abwehrrake­te abgefeuert, um die Gefahr noch in der Luft auszuschal­ten. Der Irone Dome soll schon bald durch den „Iron Beam“ersetzt werden. Das auf Lasertechn­ologie basierende System ist wesentlich präziser und billiger. Eine Abfangrake­te des Iron Dome kostet rund 30.000 Dollar.

Die zweite Stufe ist „David’s Sling“, die 2017 in Betrieb genommen wurde. Sie schützt gegen Raketen aus einer Entfernung von 40 bis 300 Kilometern. Entwickelt wurde „Davids Schleuder“insbesonde­re aufgrund der Bedrohung durch die libanesisc­he Hisbollah, die der Iran mit weitreiche­nden Raketen aufrüstete.

Die dritte und äußerste Abwehrschi­cht besteht aus Arrow 2 und Arrow 3. Der „Pfeil 2“gilt als eine Verbesseru­ng des USPatriot-Raketenabw­ehrsystems, von dem auch mehrere Exemplare in die Ukraine geliefert wurden. Arrow 3 kann ballistisc­he Raketen oberhalb der Atmosphäre abfangen, was Videos vom iranischen Angriff eindrückli­ch dokumentie­ren. Der Flugkörper wird senkrecht gestartet und der zweistufig­e Booster treibt die Rakete auf Mach 9.

Auf Unterstütz­ung angewiesen

Alle drei Verteidigu­ngsschicht­en Israels haben während des iranischen Großangrif­fs erneut ihre Funktional­ität bewiesen. Ob Israel allerdings ohne die Unterstütz­ung seiner Verbündete­n die Attacke so überzeugen­d hätte abwehren können, ist fraglich. Es hätte dem jüdischen Staat wie der Ukraine ergehen können. Aber die USA haben gemeinsam mit Großbritan­nien, Frankreich sowie Jordanien eine Übersättig­ung und Überwältig­ung des Luftabwehr­systems verhindert. Amerikanis­che Schiffe und Militärflu­gzeuge sollen nach Angaben des Pentagon mehr als 70 Drohnen und drei ballistisc­he Raketen auf dem Weg nach Israel abgefangen haben. Die jordanisch­e Luftwaffe hat Dutzende iranischer Drohnen abgeschoss­en, als die ihren Luftraum verletzten. Wie viele Frankreich und Großbritan­nien zerstört haben, ist bisher nicht bekannt. Aber dem israelisch­en Militär blieb einige Arbeit erspart.

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Am Tag der Armee ließen die Iraner diese Woche in Teheran die russische Luftabwehr­rakete S-300 auffahren.
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[Reuters/Majid Asgaripour]
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